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Donnerstag, Oktober 10, 2024

Kunst als Widerspruch – Stephan von Wiese über POINTS OF RESISTANCE in der Zionskirche Berlin

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Seit Ostersonntag wird in der Berliner Zionskirche auf der Grenze zwischen den Bezirken Mitte und Prenzlauer Berg die Gruppenausstellung POINTS OF RESISTANCE gezeigt (4. April bis 26. April 2021). Die Ausstellung ist kuratiert von Constanze Kleiner und Rachel Rits-Volloch in Zusammenarbeit mit David Elliott, Jan Kage und Stephan von Wiese. Zur Ausstellung und dem Thema “Kunst als Widerspruch” ein Text von Stephan von Wiese:

Ausstellungsansicht Points of Resistance Group Exhibiton
Vorn: Manfred Peckl, Hämathom, Flash, Atom, 2008; Hintergrund li.: AES+F, Last Riot 2, 2006; Hintergrund Mitte/vorn: Günther Uecker, Kunstpranger, 2008; dahinter: Maik Schierloh, o.t., 2021; re.: Jani Leinonen, We find love in hopeless places, 2019

Dem Rad in die Speichen greifen!
Kunst als Widerspruch

Das Kirchengebäude der Zionskirche liegt wie ein aufragendes Schiff mitten in Prenzlauer Berg. In der Ausstellung „Points of Resistance“ finden dort 55 Künstler einen temporären Ort, um trotz Pandemie neue Werke zu präsentieren. Die Zionskirche wird zu einer Art Arche für die Kunst, diese kommt im Kirchenschiff gewissermaßen zu ihren Ursprüngen zurück, ist sie doch einst aus religiösen Kulthandlungen hervorgegangen. Man mag andererseits im Kontext der Philosophie an Hegels „Phänomenologie des Geistes“ denken, wo es heißt, daß der “wirkliche Geist“ erst in der Phase der „Kunstreligion“ das Bewusstsein vom „absoluten Wesen“ erlangt habe und damit zu sich gefunden habe. Ob im Kult oder in der Philosophie: Kunst und Kirche waren in der Geschichte immer wieder miteinander verklammert, zeitweise im Einklang, zeitweise im heftigen Widerstreit.

Kirsten Palz, Below the Sun 2020 + Chronicle of Extinction, 2021

Ihre „absolute“ Haltung bringt die Kunst immer wieder in eine Rolle der Opposition. Aber gerade auch für „freie“ Geister, standen die Räume des Gebäudes der Zionskirche meist offen. Auch die sozialen Fragen wurden hier, mitten in einem großen gesellschaftlichen Brennpunkt, vehement debattiert. Von Beginn an war die Zionskirche ein Ort für die sozial Benachteiligten. Die Gemeinde wurde in der Folge immer wieder ein Herd des Widerstandes gegen Gewalt und Verfolgung. Eingeweiht wurde das Gebäude 1873, es lag mitten in einem in der Industrialisierung schnell hochgezogenen, dicht bevölkerten Viertel, hier war das Proletariat zu Haus. Zahlreiche soziale Hilfsprogramme der Kirche wurden hier gestartet.

John Isaacs, Past Errors of Judgement Made Real in the Future Lives Affected, 2010

1931 übernahm der junge Theologe Dietrich Bonhoeffer für die protestantische Gemeinde anderthalb Jahre den Konfirmandenunterricht. Er prangerte sofort die sozialen Mißstände an und praktizierte sein Gegen-Konzept der „Kirche für andere“, kämpfte dann besonders für die Unterstützung der Kirche in seinem erbitterten Kampf gegen den „Arierparagraphen“ und schrieb damals unter anderem: „Die Kirche ist den Opfern jeder Gesellschaftsordnung in unbedingter Weise verpflichtet, auch wenn sie nicht der christlichen Gemeinde angehören.“ Und daraus folgend: „Die Kirche muss nicht nur die Opfer unter dem Rad verbinden, sondern muß dem Rad selbst in die Speichen fallen.“ Etwa ab 1938 schloss sich Bonhoeffer dem Widerstand an. Er wurde 1945 hingerichtet.

In unmittelbarer Nähe zur Zionskirche befanden sich in den 12 Jahren Nazi-Herrschaft einige geheime Treffpunkte des Widerstandsnetzwerks „Rote Kapelle“, hier druckte man illegal Flugblätter, half Juden und Oppositionellen, dokumentierte so weit wie möglich die Verbrechen des NS-Regimes. Mehrere Personen aus diesem engagierten Kreis wurden 1942/43 hingerichtet, einige entstammten Künstlerkreisen, so der Bildhauer Kurt Schumacher und seine Frau Elisabeth, Malerin und Grafikerin, und die junge Holländerin Cato Bontjes van Beek aus der Künstlerkolonie Worpswede/Fischerhude; diese druckte und verteilte illegale Schriften und Flugblätter, die zum Kampf und zum Widerstand gegen die Nazis aufriefen.

Das Aufkommen der Friedensbewegung in der DDR, Ende der 1970er-Jahre, stärkte dort die Kräfte des Widerspruchs. Unter dem Schutz der Evangelischen Zionskirche wurde in den Kellerräumen des Pfarrhauses, nach dem Atomdesaster von Tschernobyl, die junge Gruppierung „Die Umwelt-Bibliothek (UB)“ gegründet. Dieser Kreis nahm zu Fragen der Friedens- und Umweltpolitik Stellung, diskutierte Tabuthemen, machte kritische Literatur zugänglich und gab in kleiner Auflage eine Zeitschrift heraus. Die Gruppe war der Regierung bald sehr suspekt.

So erlebte die Zionskirche in ihrem neogotischen Mauerwerk kontinuierlich immer wieder Akte des Muts und der Verzweiflung, so wie in unserer Ausstellung der „Lastenbär“, eine Sandsteinskulptur von Stefan Rinck, einen Mauerstein ständig auf dem Rücken schleppt. Diese Skulptur wurde zu einem Signum für die Ausstellung und soll, wenn möglich, später in größerer Form im Berliner Außenbereich als Memorial verbleiben.

Stefan Rinck, Lastenbär, 2010

Schon allein die große Zahl der teilnehmenden Künstler in dieser Ausstellung ist eine Demonstration, konterkariert den weitgehenden Verlust von Präsentationsmöglichkeiten infolge der Epidemie und schafft darüber hinaus ein Gegenmodell zum drohenden Verblassen der Kunst in reine Digitalität. Das Kirchenschiff als Ausstellungsraum ist zudem auch Antithese zur puren Ästhetik des „white cube“, bindet stattdessen die Kunst in gelebte Lebensspuren ein. Selbst hochästhetische Werke stehen immer auch in Korrespondenz und in Interdependenz zu einem realen gesellschaftlichen Umfeld. Einige Beispiele aus unserer Ausstellung seien hier angeführt.

Ausstellungsansicht / Empore Zionskirche

Günther Ueckers Skulptur „Kunstpranger“, 2008, mit einem umgeschlagenen großen Baumstamm, ist ein Werk von reduzierter „armer“ Ästhetik. Der aufrecht platzierte Stamm, der sich demonstrativ hier wieder zu erheben scheint, ist auch entschiedener Protest gegen Umweltzerstörung und Waldsterben. Es gingen mehrteilige Werkensembles von „Nagelwäldern“ ab 1984 in Ueckers Werk voraus. Oben auf den Stamm sitzt jeweils wie eine Dornenkrone eine sich aggressiv spreizende Nagelformation, als sei dies eine klaffende Wunde in der Natur.

Otto Pienes lithographisches Blatt „Der bemooste Stein“ mit dem grimmig lachenden Totenkopf aus dem Mappenwerk: „Die Gärten des Heliogabalus“, 2014, ist das letzte Werk des Künstlers. Die zehn Blätter ziehen eine Art Lebenssumme.  Das Paradiesische, das Friedenssymbol und das Groteske, ja Dämonische bilden Thesen und Antithesen, durchdringen sich. Das Haupt der Medusa, bei deren Blick man versteinert, zwinkert uns in Form des Totenschädels zu. Auf anderen Blättern werden beispielsweise Haifische, ganz unsakral, in vergiftet-grünem Wasser gekreuzigt, rote blutbeschmierte Arme recken sich aus dem Wasser: Rufen sie auf zu Revolution und Widerstand? Dies ist Leben in all seinen Antagonismen.

Ausstellungsansicht
li.: Kerstin Dzewior, Red Boxing Gloves, 2021; Mitte: Stefan Rinck, Lastenbär, 2020;
re.: Otto Piene, Der bemooste Stein, aus dem Mappenwerk Die Nächte des Heliogabalus, 2014

Bill Viola Video-Sound-Installation „The Raft“, Das Floß, 2004, symbolisiert den Grenzbereich zwischen Leben und Tod, dem  Bewußten und dem Unbewußten.. Eine Gruppe von Menschen verschiedenster Herkunft wird auf einem Floß von heftigen Wasserfluten überspült. In extremer Zeitlupe werden die individuellen Reaktionen gegen die Sintflut gezeigt. Es geht hier, so Viola, um Vernichtung oder Überleben, um Bedrohung, Hoffnung, Untergang oder mögliche Erlösung. Am Ende bietet sich ein Bild des Elends. Das berühmte Gemälde von Théodore Rousseau: „Das Floß der Medusa“, 1819, war hier Vorbild.

Bill Viola, Tempest (Study for The Raft), 2006

Auch zahlreiche weitere Werke in „Points of Resistance“ reflektieren gelebtes Leben, Tragik, und Rebellion. David Krippendorffs Zeichnung „Burning Atlanta“ mit brennenden Häusern ist dem Film „Vom Winde verweht“, Hollywood 1938, entlehnt und in der Gewaltanprangerung weiterhin von brennender Aktualität. Der Film steht auch in enger Verbindung zu David Krippendorffs neuem Film, der ebenfalls ein Ereignis von 1938 wieder aufgreift, nämlich das Auftrittsverbot für die schwarze Opernsängerin Marion Anderson in Washington, D.C..

„1938“ ist auch das Gemälde für die Ausstellung von Kerstin Serz betitelt, es zeigt Sophie Scholl, Mitglied der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“, auf einem frühen Foto aus eben diesem Jahr, ringsum ein blühender Kranz mit den „Blumen des Widerstands“. Man wird an den Mut und an die Aufrichtigkeit von Sophie Scholl erinnert, deren Kampf gegen die Nazi-Diktatur  in letzter Zeit mehrfach von der falschen Seite in Anspruch genommen wurde. Am 18. Februar 1943 warfen die Geschwister Hans und Sophie Scholl einen Stapel ihres sechsten Flugblattes, mit einem Widerstands-Aufruf an die Kommilitoninnen und Kommilitonen, von der Galerie im zweiten Stock in den Lichthof der Ludwig-Maximilians-Universität in München, sie wurden damals denunziert, verhaftet und hingerichtet.

Kerstin Serz, 1938, 2021

Franziska Klotz thematisiert in ihrem Gemälde „Leviathan“, 2020, eins der wichtigsten Werke zur modernen Staatstheorie: Thomas Hobbes ging hier in seinen Darlegungen zur Notwendigkeit einem Gesellschaftsvertrag. 1651, in tiefer Skepsis davon aus, daß der Mensch dem Menschen ewig ein Wolf sei und bleibe: „Homo homini lupus“; es herrsche von Natur aus ein „Krieg aller gegen alle“. Solch ein Exzess der Macht und Gewalt mit dem Blut und Feuer einer Kampfesszene kommt in dem Bild komplex zur Darstellung.

Franziska Klotz, Leviathan, 2020

Manfred Peckl erweitert noch einmal die Optik und zeigt drei Beispiele aus seiner Skulpturengruppe „Skyamonds“, 3008, die Weltzerstörung als vom Himmel kommendes Ereignis begreift. Materie und Antimaterie sind dabei zu einem großen Brocken aus Glasfaser zusammengeschmolzen, diese dunklen unförmigen skulpturalen Körper sind teilweise mit Fragmenten von Sternenkarten collagiert.

Maik Schierlohs breite Farbpartitur schließlich erscheint zunächst völlig realitätslosgelöst, hat in Wirklichkeit aber einen engen Bezug zum Zions-Kirchenschiff, nämlich zur großen Orgel, seit deren Zerstörung ist ja die Orgelempore leer. Maik Schierloh, ursprünglich Orgelbauer, gibt dem Instrument in malerischer Metapher farbige Präsenz- Ein Erinnerungsstück. Und eine Utopie!

Text: Stephan von Wiese

Jani Leinonon, There is love in hopeless places / Installation Chapel of Remorse, 2019
POINTS OF RESISTANCE

WO? Zionskirche, Zionskirchplatz, 10119 Berlin-Mitte

WANN? Ostersonntag 2021 – 26.04.2021, Mo-So 13:00 – 18:00 Uhr

Sowie in der KLEINERVONWIESE Galerie, Friedrichstraße 204, 10117 Berlin-Mitte

Künstler:innen: AES+F, Chrissy Angliker, Inna Artemova, Lutz Becker, Tom Biber, Andreas Blank, Anina Brisolla, Claus Brunsmann, Claudia Chaseling, Chto Delat, Brad Downey, Thomas Draschan, Kerstin Dzewior, Margret Eicher, Nezaket Ekici, Amir Fattal, Doug Fishbone, Daniel Grüttner, Chris Hammerlein, John Isaacs, Anne Jungjohann, Gülsün Karamustafa, Franziska Klotz, David Krippendorff , Via Lewandowsky, Jani Leinonen, MAP Office, Shahar Marcus, Milovan Destil Markovic, Sara Masüger, Kate McMillan, Almagul Menlibayeva, Robert C. Morgan, Matthias Moseke, Jan Muche, Gulnur Mukazhanova, Kirsten Palz, Manfred Peckl, Otto Piene, Stefan Rinck, Jörg Schaller, Maik Schierloh, Nina E. Schönefeld, Kerstin Serz, Varvara Shavrova, Pola Sieverding, Barthélémy Toguo, Mariana Vassileva, Günther Uecker, Bill Viola, Marta Vovk, Michael Wutz, Jindrich Zeithamml, Ireen Zielonka

Kurator:innen: Constanze Kleiner und Rachel Rits-Volloch in Kooperation mit David Elliott, Jan Kage und Stephan von Wiese, initiiert von KLEINERVONWIESE in Zusammenarbeit mit MOMENTUM BERLIN

Konzert im Rahmen der Ausstellung (Finissage):
TRES MOMENTOS
Komponist: Sven Helbig
Dirigent: Wilhelm Keitel

WANN? Samstag, 26. April 2021 (Finissage) um 19:00 Uhr und 21:30 Uhr

Dank gilt dem Förderverein der Zionskirche und den Brandenburgische Festspielen. Die Ausstellung ist gefördert von der Stiftung Kunstfonds.

www.points-of-resistance.org

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