Am Deutschen Theater Berlin feierte am 24. Oktober 2025 das Stück Die Marquise von O. und – in der Regie von Ildikó Gáspár Premiere. Die ungarische Regisseurin verbindet Heinrich von Kleists Novelle aus dem Jahr 1808 mit drei weiteren wahren Fällen sexueller Gewalt aus unterschiedlichen Jahrhunderten. Die Inszenierung ist im Oktober und November 2025 sowie am 1. Januar 2026 erneut zu sehen. An drei Abenden wird das Stück begleitet von der Veranstaltung „Die Scham muss die Seite wechseln” (Gisèle Pelicot) über gesellschaftlichen Umgang mit sexualisierter Gewalt, mit der Rechtsanwältin und Autorin Christina Clemm. Diese findet rund eine Stunde vor Stückbeginn im Rangfoyer statt.
Abb. oben: DIE MARQUISE VON O. UND – nach der Novelle von Heinrich von Kleist, Deutsches Theater, Foto: © Walkenhorst
In einer norditalienischen Festung geschieht das Undenkbare: Während russische Truppen die Stadt stürmen, wird die verwitwete Marquise von O. beinahe Opfer eines Übergriffs – bis ein russischer Offizier, der Graf F., sie scheinbar heldenhaft rettet. Er verschwindet nach dem Angriff ohne ein Wort, und alles scheint überstanden. Einige Wochen später stellt sie jedoch entsetzt fest: Sie ist schwanger. Ohne Erinnerung. Ohne Einwilligung. Und ohne eine Person, die ihren Unschuldsbeteuerungen Glauben schenkt. Verstoßen von der Familie sucht sie per Zeitungsannonce nach dem, der sie vergewaltigt und geschwängert hat.
Heinrich von Kleist veröffentlichte 1808 seine Novelle mit dem Hinweis „Nach einer wahren Begebenheit” und berichtet sachlich, nüchtern und in genauem Detail von der Geschichte der Marquise, nur für den Moment der Tat selbst setzt er den vielleicht berühmtesten Gedankenstrich der Weltliteratur: Die Sprache versagt, und es entsteht ein abrupter Schnitt dort, wo eigentlich das Entscheidende stehen müsste.

In ihrer ersten Arbeit am Deutschen Theater verwebt die ungarische Regisseurin Ildikó Gáspár drei weitere Fälle „nach wahren Begebenheiten“ mit dem der Marquise. Franca Viola wurde 1966 in Italien von ihrem kriminellen Ex-Verlobten entführt und vergewaltigt, um sie durch das juristische Mittel der „Wiederherstellungsehe” dazu zu zwingen, doch eine Ehe mit ihm zu schließen. Erika Renner wurde 2013 von ihrem Exfreund in ihrer eigenen Wohnung attackiert, betäubt – und anschließend mit Lauge verstümmelt. Und schließlich Gisèle Pelicot, die Frau, die nach 50 Jahren Ehe von Ermittlern erfährt, dass ihr Ehemann sie über fast zehn Jahre regelmäßig betäubt, vergewaltigt und in diesem Zustand dutzenden anderen Männern im Internet zur Vergewaltigung angeboten hatte.
Vier Frauen. Drei Jahrhunderte. Und doch dieselben Muster: Gewalt. Schweigen. Schuldumkehr. Aber auch: Widerstand. Stimme. Wandel. Ob fiktiv wie die Marquise, historisch wie Viola oder gegenwärtig wie Pelicot und Renner – sie alle erzählen uns, was passiert, wenn Frauen nicht länger schweigen, wenn sie den Raum der Scham verlassen und die Täter dorthin zwingen.

DT Kontext begleitet diese Inszenierung mit der Veranstaltung „Die Scham muss die Seite wechseln” (Gisèle Pelicot) über gesellschaftlichen Umgang mit sexualisierter Gewalt, mit Christina Clemm (Rechtsanwältin, Autorin) am 25.10., 08.11. und 25.11.2025. Christina Clemm berichtet aus ihrer fast 30-jährigen Erfahrung als Rechtsanwältin, die Betroffene geschlechtsbezogener Gewalt vertritt, wie mit Betroffenen in unserer Gesellschaft umgegangen wird, wie Presseberichterstattung helfen, aber auch schaden kann, wie die Justiz mit den Verfahren umgeht und was sich ändern sollte.
Regie: Ildikó Gáspár
Bühne und Kostüm: Lili Izsák
Musik: Flóra Lili Matisz
Video: András Juhász
Licht: Cornelia Gloth
Choreografie: Barnabás Horkay
Dramaturgie: Jasmin Maghames
Das Deutsche Theater weist darauf hin, dass dieses Theaterstück sexualisierte Gewalt, Vergewaltigung und Traumabewältigung thematisiert.
In diesem Stück kommen Stroboskop-Effekte zum Einsatz.
WANN?
Première: Freitag, 24. Oktober 2025
Weitere Aufführungen:
Samstag, 25. Oktober 2025, 19:30 Uhr
Sonntag, 2. November 2025, 19 Uhr
Samstag, 8. November 2025, 19:30 Uhr
Samstag, 22. November 2025, 20 Uhr
Dienstag, 25. November 2025, 20 Uhr
Donnerstag, 1. Januar 2026, 19 Uhr
Begleitveranstaltungen im Rangfoyer: „Die Scham muss die Seite wechseln” (Gisèle Pelicot) mit Christina Clemm (Rechtsanwältin, Autorin) am 25.10., 08.11. und 25.11.2025 (ca. 1 Std. vor Stückbeginn, Eintritt zur Begleitveranstaltung ist frei)
WO?
Deutsches Theater
Schumannstraße 13A
10117 Berlin-Mitte





