27.3 C
Berlin
Samstag, Juni 21, 2025

THE INTERVIEW IN|DEEDS: WHO IS … Anja Nürnberg

Editors’ Choice

PROLOG | PERSÖNLICHES

Anja, stelle Dir vor, Du würdest uns in Deinem Atelier oder Zuhause empfangen. Wo sprechen wir zusammen, wo treffen wir Dich? Wenn ich Besuch empfange, dann am liebsten im großen Raum unseres Werkhauses – an einem langen Tisch, der selbst gebaut ist, aus Buchenholz mit schmaler Platte, damit Nähe beim Sprechen entsteht.
Das Gebäude trägt heute den Namen Werkhaus – ein Ort, an dem Wohnen und Arbeiten ineinandergreifen. Hier fühle ich mich immer ein wenig anglophil, fast wie in einem Atelier in London – nur dass es in Halle-Kröllwitz liegt, in einem ehemaligen Doppelhaus mit rotem Backstein und einer pinken und grünen Tür. 
Mein Mann und ich haben es in Eigenleistung umgebaut, damit Atelier und Familienleben unter einem Dach möglich werden. Ich liebe diesen Ort, weil er mein Arbeiten, mein Leben zusammenführt. Alles hier ist mit eigenen Händen gestaltet.  

Abb.oben: Portrait Anja Nürnberg, G7 Anja mit Leinwand

Vielleicht sitzen wir an Deinem Lieblingsplatz?
Wir sitzen vielleicht mit einer dampfenden Tasse Tee auf der angrenzenden Galerie, ein paar Schritte über der offenen Küche. Von hier hat man einen weiten Blick durch den Raum. 

credits Anja Nürnberg_DSC07074
© Anja Nürnberg

Du wurdest 1982 geboren. Erzähle uns bitte, wo Du geboren wurdest bzw. aufgewachsen bist und welche Stationen und Menschen Dich in Deinem bisherigen Leben besonders geprägt haben. 
Ich wurde 1982 in Magdeburg geboren und bin in Berlin-Hohenschönhausen aufgewachsen – in einem Neubauviertel, das seine eigene Poesie hatte: gleichförmige Fassaden, lange Schatten zwischen den Häusern, viel Beton und dennoch Licht. Die Atmosphäre meiner Kindheit war geprägt von einem Alltag zwischen Ordnung, Waschbeton-Spielplätzen und nach Kiefern duftenden Gartenmomenten bei meinen Großeltern in Magdeburg. 

Ich gehöre zur sogenannten Dritten Generation Ost – einer Generation, die als Kind in einem festen System lebte und als Jugendliche plötzlich in einer offenen, aber auch ungewissen Welt stand. Dieser Umbruch hat mich tief geprägt. Nicht als politisches Thema, sondern als inneres Erleben: das Gefühl, dass etwas Bestehendes kippt und man neu schauen, neu denken muss. 

Ein prägendes Jahr verbrachte ich als Schülerin in Irland, später studierte ich Betriebswirtschaft in Kalifornien und arbeitete für ein Berliner Start-up am Hausvogteiplatz – ein spannender Einblick in eine ganz andere Welt. Doch irgendwann wurde klar: Ich brauche Farbe, Offenheit, das Prozesshafte. Ich entschied mich für ein Kunststudium an der Burg Giebichenstein – eine bewusste Rückkehr zu dem, was mich wirklich bewegt. 

credits Anja Nürnberg_DWF6733
© Anja Nürnberg

Geprägt haben mich neben dem Studium vor allem Aufenthalte in Irland, Südfrankreich, Italien und an der Ostsee – Orte, an denen Licht und Stille eine eigene Sprache sprechen. 

Entscheidend waren aber nicht nur Orte, sondern Menschen: meine Familie, besonders meine Großeltern, sowie viele Weggefährtinnen und Künstlerfreunde, die mir Resonanz und Reibung ermöglicht haben. 

Und nicht zuletzt – mein Mann und unsere beiden Kinder. Sie sind keine Kulisse, sondern Teil meines künstlerischen Denkens. Sie erinnern mich täglich daran, dass das Leben selbst der größte Erfahrungsraum ist. 

Welche Schriftsteller*innen findest Du derzeit spannend und welche Bücher finden sich in Deinem Bücherregal?
Ich bin ein Fan von Ewald Arenz, Benjamin Meyer, aktuell Eva Lohmann, Joachim Meyerhoff. In meinem Bücherregal stehen viele Bücher, die sich mit Erinnerungen, Stimmungen und inneren Landschaften beschäftigen – weniger große Plots, mehr Zwischenräume.  

Daneben stehen in meinem Regal viele Kunstbücher – über Pierre Bonnard, Matisse, Helen Frankenthaler oder jüngere Positionen, wie Monika Michalko – „Here in the real world“ oder, Katharina Grossem “Studio Paintings“ die mich formal und inhaltlich inspirieren. Sie sind für mich kein Nachschlagewerk, sondern Gesprächspartner – visuelle Denkpausen mitten im Alltag. 

Welche Bücher haben Dich beeinflusst oder geprägt?
Das Werk „Offene See“ von Benjamin Myers. 

Was liest Du aktuell und wo liegt das Buch griffbereit? „Dopesick“ von Beth Macy (Sollte jeder lesen!) und parallel „Wie du mich ansiehst“ von Eva Lohmann. 

credits Anja Nürnberg_DSC9654
© Anja Nürnberg

Welche Musik hörst Du und wann?
Je nach Stimmung: Beim Malen gerne Britten oder Chopin, weil sie mich fokussieren. Für Trotzgefühle hilft Måneskin, für Geschichten zwischendurch Andrew Bird. Und wenn’s zu ernst wird, rettet mich Grönemeyer aber auch Funny van Dannen mit seinem schrägen Humor. Musik ist für mich Tagesform – genau wie die Kunst. 

Wenn Du etwas für uns kochen würdest, was wäre es?
Es ist Frühling fast Sommer. Spontan – knusprig gegrillter Lachs mit Gurken-Joghurt. 

Was isst Du am liebsten?
Lege ich mich besser nicht fest. Ich liebe gutes Essen und koche leidenschaftlich gern. Kleine, feine Kompositionen faszinieren mich. Wir probieren viel aus. 

Was hältst Du vom Frühstücken?
Am Wochenende ist Frühstück bei uns fast schon ein Ritual – Zeit für die Familie, guter Kaffee, alles ein bisschen langsamer. Unter der Woche eher Luxus, der selten vorkommt. 

credits Anja Nürnberg_DWF6948
© Anja Nürnberg

Welchen Sport oder Ausgleich zu Deiner künstlerischen Arbeit betreibst Du?
Radfahren ist mein täglicher Ausgleich – mal allein, mal mit unserem kleinen Sohn als Co-Pilot. Und Wasser zieht mich magisch an: Ich liebe Wassersport, auch wenn ich da eher noch Schülerin bin. Aber die Lust, mehr zu lernen, ist definitiv da. 

Für welche besonderen Leidenschaften oder Hobbies brennst Du?
Ich liebe es, Dinge gemeinsam auf die Beine zu stellen – vor allem mit Jugendlichen. Projekte, bei denen es nicht nur ums Ergebnis geht, sondern um den Weg dahin: Ideen spinnen, ins Machen kommen, zusammen wachsen. Diese Energie gibt mir viel zurück. 

Welches Persönlichkeitsmerkmal macht Dich besonders aus? 
Ich bin Macherin. 

Hast Du ein Anliegen, das Du mit uns teilen möchtest? Oder eine Antwort auf eine (nicht von uns gestellte) Frage, die Dich aktuell bewegt?  
Ich wünsche mir, dass wir wieder mehr echte Begegnungen haben – ohne ständig aufs Handy zu schauen, sondern mit echtem Interesse füreinander. Diese kleinen, ehrlichen Gespräche machen für mich den Unterschied. 

INTERVIEW | KÜNSTLER + POSITION

Wir möchten kurz Deinen künstlerischen Werdegang vorstellen. Du hast zuerst gänzlich kunstfern von 2002 bis 2005 ein Studium der Internationalen Betriebswirtschaft in Deutschland und den U.S.A. absolviert. In den Jahren 2008 bis 2013 hast Du dann an der Burg Giebichenstein, Hochschule für Kunst und Design Halle studiert, mit dem Schwerpunkt Malerei + Grafik. Bitte erzähle uns, wie es zu diesem Wechsel kam und nenne uns ggf. weitere Stationen Deines künstlerischen Werdegangs. 
Nach dem internationalen BWL-Studium und einigen Berufsjahren habe ich gemerkt: Ich will nicht nur Abläufe optimieren, sondern wirklich gestalten – mit den Händen, mit Farben, mit eigenen Ideen. Es ging mir darum, Dinge selber zu bewegen und mich nicht bewegen zu lassen. Diese Sehnsucht hat mich zur Kunst geführt. 
Ich habe dann an der Burg Giebichenstein, Hochschule für Kunst und Design Halle, Malerei und Grafik studiert. Seitdem stelle ich regelmäßig in Galerie aber auch städtischen Häusern aus und bin seit 2022 auf der art Karlsruhe vertreten.  
Im Jahr 2022 wurde ich mit dem Preis der Kunststiftung Sachsen-Anhalt ausgezeichnet – eine Anerkennung, die meine künstlerische Position unterstreicht.  

Wie bist Du zur Kunst gekommen? Warum Kunst? 
Ich male, seitdem ich denken kann. Ich male überall – in meinem Kopf, auf Papier, in den Sand, oder mit Sonnencreme auf den Körpern meiner Kinder. Vielleicht hat es damals begonnen, als ich mit meiner Oma beim Picknick an der Elbe saß. Sie hat mir die Kunst gezeigt: als Stadtbilderklärerin, als Museumsbegleiterin, als Entdeckerin von Farben, Momenten und kleinen Orten des Glücks. 
Diese Erlebnisse tragen mich bis heute. Auch wenn es turbulent wird, schöpfe ich Kraft aus diesen kleinen Augenblicken – und aus der Kunst. Denn jedes Mal, wenn ich Kunst sehe, weiß ich: Menschen können etwas ganz Wunderbares erschaffen. 

Was macht Dich aktuell glücklich?
Orte der Freude, des Feierns und des Erinnerns – das sind für mich die wahren Kraftquellen. Wenn ich male, ist es genau dieses Gefühl, das mich antreibt. Die Farben spielen dabei die Hauptrolle: Ein wärmendes Rot, ein lebensfrohes Gelb, ein beruhigendes Blau. Farben wecken Erinnerungen, bringen Emotionen zurück und machen mich im besten Sinne lebendig. Ohne Farben wäre ich verloren. 

Was macht Dir aktuell Angst?
Mich beunruhigt, wie laut und schnell alles geworden ist – als ob es keinen Platz mehr für Zwischentöne gibt. Diese ständige Überforderung durch Bilder, Meinungen, Erwartungen. Ich habe Sorge, dass wir verlernen, genau hinzuschauen, im Kleinen das Wichtige zu sehen. 

Mittagsruhe mit Pfirsich (2024), 200x80cm, Mischtechnik auf Leinwand CROPPED
© Anja Nürnberg, Mittagsruhe mit Pfirsich, (2024), 200 x 80 cm, Mischtechnik auf Leinwand CROPPED

Glaubst Du, dass Kunst eine gesellschaftliche Verantwortung trägt? Und was denkst Du, was sie bewirken kann? 
Ja, aber nicht im Sinne von Erziehungsauftrag oder moralischem Zeigefinger. Kunst schafft Räume, in denen wir Dinge anders sehen, neu fühlen, Erinnerungen aufleben lassen. Sie zwingt uns nicht, aber sie lädt uns ein, genauer hinzuschauen. Gerade in einer Zeit, in der alles fragmentiert wirkt, kann Kunst Verbindungen schaffen – zwischen Menschen, Generationen, Gedanken. Das ist für mich Verantwortung: nicht belehren, sondern Möglichkeiten öffnen. 

Was macht Deine Kunst aus? Worum geht es in Deinem Werk – was sind die zentralen Themen?  
Meine Malerei ist kein Abbild, sondern ein Erfahrungsraum. Mich interessiert, was zwischen Farbe, Fläche und Form passiert – dieses Unbestimmte, das sich erst beim Betrachten entfaltet. Ich möchte nichts erklären, sondern etwas in Bewegung bringen. 
Erinnerung spielt dabei eine große Rolle: nicht als starres Archiv, sondern als lebendiger Prozess. Meine Kunst lädt dazu ein, eigene innere Bilder entstehen zu lassen – wie bei einem Kaleidoskop, das sich mit jeder Bewegung verändert. 
Meine Prägung als Teil der Dritten Generation Ost ist dabei spürbar, auch wenn sie nicht Thema im klassischen Sinn ist. Es geht mir darum, das Fragile sichtbar zu machen, bevor es verschwindet – nicht nostalgisch, sondern offen, durchlässig und sehr gegenwärtig. 

Wie schützt Du Dich in der heutigen Zeit vor zu viel Inspiration? 
Ich glaube, wahre Inspiration braucht Leere. Ganz ehrlich: Das mit der Leere gelingt mir nicht immer. Ich lasse mich schnell begeistern, verliere mich gern in Bildern, Farben, Details. Aber ich merke auch, dass genau dann der Punkt kommt, wo ich raus muss – an die frische Luft, aufs Rad, in die Natur. Da sortiert sich vieles von selbst. Es ist ein ständiges Austarieren zwischen Reiz und Ruhe. 

Grün gestreift im Wind (2024), 200x160cm, Mischtechnikauf Leinwand
© Anja Nürnberg, Grün gestreift im Wind, (2024), 200 x 160 cm, Mischtechnikauf Leinwand

Wie viel in Deinen Arbeiten ist vorher geplant – wie viel entsteht intuitiv? 
Am Anfang steht nie ein fertiger Plan. Ich habe vielleicht eine Stimmung im Kopf, ein Gefühl, eine Farbkombination – aber das Bild selbst entwickelt sich im Tun. Die Intuition spielt dabei eine große Rolle. Natürlich gibt es handwerkliche Entscheidungen, die bewusst getroffen werden, aber die wirklich spannenden Momente entstehen oft ungeplant. Es ist ein Wechselspiel: Kontrolle abgeben, hinschauen, reagieren. So wird jedes Bild zu einer eigenen Erfahrung. 

Was sind Deine (nächsten) Ziele? 
Ich möchte meine künstlerische Arbeit weiter sichtbar machen – mit Ausstellungen, die nicht nur Bilder zeigen, sondern echte Erfahrungsräume eröffnen. Gleichzeitig reizt mich die Idee, stärker in den öffentlichen Raum zu gehen, Kunst aus dem klassischen White Cube herauszuholen.  
Und persönlich? Mich reizt es, künstlerisch noch mehr zur Reduktion zu finden – das Wesentliche sichtbar zu machen, ohne alles erzählen zu müssen. Vielleicht das Arbeiten mit Materialien wie Holz und Keramik auszubauen um meine malerische Idee in den Raum zu holen. 

Wie stehst Du zum Thema Glauben? Hast Du Glaubensgrundsätze oder gibt es einen Leitspruch?  

Glauben ist für mich weniger eine Frage von Religion, sondern von innerer Haltung. In Los Angeles hat mir eine Buddhistin einmal vor der Meditation das Mantra mitgegeben: ‚I am a happy little Buddha.‘ Damals habe ich das als freundliche Geste gesehen – heute weiß ich, dass sie mir damit etwas sehr Wertvolles auf den Weg gegeben hat: die Erinnerung daran, dass Gelassenheit und Freude nicht im Außen entstehen, sondern bei mir selbst anfangen. 

Welches Projekt würdest Du gerne noch realisieren, wenn fehlende Zeit, mangelnder Mut oder finanzielle Ressourcen keine Rolle spielen würden? 
Ich würde gern noch größer arbeiten – im wahrsten Sinne. In der Malerei träume ich von Formaten, wie sie Julian Schnabel geschaffen hat: monumental, raumgreifend, überwältigend. Und auch im plastischen Arbeiten fasziniert mich diese Dimension, wie sie bei Louise Bourgeois spürbar wird. Solche Projekte brauchen Raum, Zeit und Mut. Aber man darf ja träumen … 

Was sind aus Deiner Sicht Attribute für gute Kunst? 
Ich mag ehrliche Kunst – kein Gemurkse, kein verkopftes Konzept, das das Werk überlagert. Besonders in der Malerei gilt für mich: Malerei soll Malerei sein. Nicht nur Mittel zum Zweck, nicht bloßes Transportmittel für Inhalte. Farbe, Form, Fläche – das darf für sich stehen. Wenn das Werk wahrhaftig ist, spürt man das sofort, wie z.B. bei Katharina Grosse. 

Zitronen im Küchenallerlei(2025) Mischtechnik auf Leinwand 200x80cm
© Anja Nürnberg, Zitronen im Küchenallerlei, (2025), Mischtechnik auf Leinwand, 200 x 80 cm

Wird man als Künstler*in geboren? Oder ist ein Kunststudium Pflicht? 
Ich glaube, das Künstlerische trägt man in sich – diesen Drang, Dinge zu hinterfragen, zu gestalten, sichtbar zu machen. Aber Talent allein reicht nicht. Ein Kunststudium ist kein Muss, aber es bietet Raum zum Experimentieren, zum Scheitern, zum Lernen von anderen. Für mich war es wichtig, um mich künstlerisch zu schärfen. Entscheidend ist aber nicht das Diplom, sondern die Haltung: Neugier, Ausdauer, und der Mut, den eigenen Weg zu gehen. 

Wie siehst Du die Zukunft von Kunst im Zeitalter von KI? 
Die Spur eines Pinsels bleibt die Spur eines Pinsels. Sie erzählt von einem Menschen, von einem Moment, von einer echten Berührung. Diese Unvollkommenheit ist für mich das Wertvolle. Kunst ist kein Datenprodukt. I 

Wie stehst Du zum Thema NFT? 
Ich finde NFTs als Plattform für digitale Kunst spannend – endlich gibt es hier einen Markt, der diesen Arbeiten Sichtbarkeit und Wertschätzung gibt. Für die klassische Malerei sehe ich das allerdings kritisch. Die Spur eines Pinsels, die Materialität, das echte Gegenüber – das lässt sich nicht ins Digitale übersetzen. NFTs sind ein tolles Medium, aber eben nicht für alles. 

Wem zeigst Du ein neues Werk zuerst? 
Mein ehrlichstes Publikum: meine Familie. 

Wie sieht die erste Stunde Deines Tages aus? 
Ganz bodenständig: Familienleben pur.  

Sofa gestreift mit geblümten Krug (2025) Mischtechnik auf Leinwand 200x160cm
© Anja Nürnberg, Sofa gestreift mit geblümten Krug, (2025), Mischtechnik auf Leinwand, 200 x 160 cm

Sind im Zeitalter des Internets der Dinge Galerien noch notwendig? Wenn ja, warum und wofür?
Unbedingt. Kunst braucht reale Räume, um ihre ganze Wirkung entfalten zu können. Eine Galerie ist mehr als ein Verkaufsort – sie ist ein Erfahrungsraum, ein Ort der Begegnung, des Dialogs. Online kann ich Bilder sehen, aber nicht wirklich erleben. Die Atmosphäre, das Licht, die Dimensionen – all das spürt man nur vor Ort. Gerade in einer digitalen Welt sind solche analogen Orte wichtiger denn je. 

Aktuell habe ich mit Sandra Schindler von der Galerie Schindler in Potsdam ein Reel zum Thema Beziehung gemacht. Es dreht sich um genau das: die Beziehung zwischen Mensch und Kunst – zwischen Sammler, Künstler und Galerist. Diese Verbindungen kann man digital erzählen, aber wirklich erlebt werden sie im direkten Kontakt. 

Social-Media – Segen oder Fluch?
Social Media ist ein Werkzeug. Es kann Türen öffnen, Kunst zugänglich machen und echte Begegnungen anstoßen. Aber es verführt auch dazu, nur Bilderfluten zu konsumieren, statt sich wirklich einzulassen. Für mich ist die Herausforderung, Tiefe in einem schnellen Medium zu bewahren – nicht Masse, sondern Resonanz. Folgt mir 🙂  

Lies mehr über die künstlerische Botschaft von Anja Nürnberg in THE DEED | DAS WERK:

THE DEED | DAS WERK: Anja Nürnberg

Die 1982 in Magdeburg geborene und seit 2008 in Halle (Saale) lebende Künstlerin Anja Nürnberg spricht über die zentrale Botschaft ihres künstlerischen Werks.

Bitte beschreibe das Kernthema und die zentrale Botschaft Deines Werks. 

Meine Kunst ist ein Raum für Erfahrung – nicht für Erklärung. Es geht mir darum, das Fragile, Flüchtige und Bewegliche sichtbar zu machen. Erinnerungen, Stimmungen, Momente: nicht festgehalten, sondern in Bewegung. Ich nutze Malerei, um Räume zu öffnen, in denen sich Betrachter*innen mit eigenen inneren Bildern verbinden können. Farbe, Fläche und Form sind dabei kein Mittel zum Zweck, sondern sie selbst die Botschaft. 

Stelle uns die Arbeit vor, die exemplarisch für die Botschaft Deines Werks steht, oder diese aus Deiner Sicht am besten verkörpert.  

„Leichtigkeit mit Strauß“  bringt vieles auf den Punkt, was meine Malerei ausmacht: Farbe als emotionale Trägerin, das Fragmentarische als Qualität, und das Zusammenspiel von Fläche und Erinnerung. Es geht nicht um die haarscharfe Erkennbarkeit eines Motivs, sondern darum, einen Moment erfahrbar zu machen. 

Das Bild erzählt von einem scheinbar beiläufigen Augenblick – ein Tisch, ein Strauß, Licht. Doch gerade in dieser Leichtigkeit liegt Tiefe. Wer genau hinschaut, entdeckt in der Komposition kleine Verschiebungen, Andeutungen, Leerstellen. 

Leichtigkeit mit Strauß(2025) Mischtechnik auf Leinwand 200x160cm
© Anja Nürnberg, Leichtigkeit mit Strauß, (2025), Mischtechnik auf Leinwand, 200 x 160 cm

Diese Offenheit ist mir wichtig: Das Bild bietet einen Raum an, aber was darin geschieht, entscheidet der Blick der Betrachter*innen. Genau das ist der Kern meiner Arbeit: Kunst als Einladung zur eigenen Erinnerung. 

Was ist das Ziel Deiner Kunst, Deines künstlerischen Werks? Was soll es beim Betrachtenden bewirken? 
Mein Ziel ist es, Räume für eigene Erfahrungen zu öffnen – ohne Vorgaben, ohne festgelegte Lesart. Meine Kunst soll nicht erklären, sondern berühren. Ich möchte, dass Menschen beim Betrachten meiner Arbeiten innehalten und ihre eigenen Erinnerungen, Stimmungen und Gedanken auftauchen lassen. Dabei interessiert mich weniger die große Erzählung als vielmehr der Moment dazwischen: das Fragile, das Flüchtige, das nicht Greifbare. Ich sehe meine Werke als Erfahrungsräume. Sie geben eine Richtung vor, bieten Atmosphäre, lassen aber offen, was sich darin zeigt. Das Bild ist nicht das Ende der Geschichte, sondern ihr Anfang. 

Ein gutes Beispiel dafür ist die hier vorgestellte Arbeit „Leichtigkeit mit Strauß“. Sie zeigt eine alltägliche Szene: ein Tisch mit Blumen, Früchten, Andeutungen von Architektur und Natur. Doch nichts daran ist realistisch im klassischen Sinn. Die Farben übernehmen die Hauptrolle: leuchtendes Gelb, vibrierendes Rot, zartes Blau – sie transportieren Stimmungen und machen sichtbar, was sich nicht in Worte fassen lässt. 

Diese Offenheit ist kein Zufall, sondern Haltung. Ich arbeite bewusst mit Fragmenten, lasse Dinge anklingen, statt sie festzulegen. Für mich ist Malerei kein Mittel zum Zweck, sondern ein eigener Kosmos aus Farbe, Fläche und Rhythmus. Ich orientiere mich dabei an Künstler*innen, die ähnlich gedacht haben: Pierre Bonnard, der das Alltägliche in pure Malerei übersetzt hat. Oder Joan Mitchell, deren abstrakte Werke von einer unglaublichen emotionalen Wucht sind. Auch der von Theo van Doesburg abgeleitete Satz begleitet mich: „Eine Linie ist eine Linie. Eine Farbe ist eine Farbe.“ Für mich ist das kein Dogma, sondern eine Haltung von Ehrlichkeit gegenüber dem Medium. MALEREI! 

Anja Nürnberg, Leichtigkeit mit Strauß, (2025), Mischtechnik auf Leinwand, 200 x 160 cm
© Anja Nürnberg, Leichtigkeit mit Strauß, (2025), Mischtechnik auf Leinwand, 200 x 160 cm CROPPED

Ich wünsche mir, dass meine Arbeiten als Einladung verstanden werden – nicht als Statement. In einer Welt, die oft laut und überinszeniert ist, sollen meine Bilder Gegenpole sein: Räume für Stille, für das eigene Sehen, Fühlen und Erinnern. Sie fordern nichts, aber sie bieten etwas an: einen Moment des Innehaltens, der im besten Fall nachwirkt. 

Dabei geht es mir nicht um nostalgische Rückblicke oder politische Kommentare. Meine Prägung als Teil der Dritten Generation Ost ist zwar Teil meines Denkens, aber meine Kunst will keine Zeitzeugenschaft liefern. Sie spiegelt Atmosphären, innere Bewegungen, emotionale Topografien. 

Ich sehe meine Arbeiten als offen, durchlässig, atmend. Wer sich darauf einlässt, kann eigene Resonanzräume entdecken. Und genau darin liegt für mich die größte Kraft der Kunst: Sie zeigt nicht, was sie bedeutet. Sie bedeutet, was sie zeigt – im Moment des Betrachtens. 


Die Frage nach THE DEED | DAS WERK ist ein ergänzender und separat präsentierter Teil des THE INTERVIEW IN|DEEDS mit Anja Nürnberg.

EPILOG | AKTUELLES

Die Einzelausstellung Back to Green mit Werken von Anja Nürnberg wird derzeit in der Potsdamer Galerie Schindler gezeigt. Sie ist vom 15. Mai bis zum 28. Juni 2025 in den Galerieräumen in der Charlottenstraße 86 in Potsdam zu sehen.

Instagram: @anja.nuernberg.art

Website: www.anjanuernberg.de.


DEEDS-Interviews werden von unserer Redaktion nicht redigiert oder gekürzt und stets im O-Ton wiedergegeben. Daher nehmen wir auch keine Übersetzung des Interviews in Englische bzw. Deutsche vor, es sei denn, diese wird seitens des/der Interviewten eingereicht, oder wir werden mit der Übersetzung betraut. Hier wurden die deutsche und die englische Version des Interviews von der Künstlerin selbst eingereicht.

- Advertisement -spot_img

IHRE MEINUNG | YOUR OPINION

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

OPEN CALL 2025

spot_img
- Advertisement -spot_img

Latest article