PROLOG | PERSÖNLICHES
Abb. oben: Bettina Hauke, Portrait, Foto: Andreas Letzel
Bettina, stelle Dir vor, Du würdest uns in Deinem Atelier oder Zuhause empfangen. Wo treffen wir Dich? Wir würden uns in Berlin Pankow in meinem Atelier treffen. Das Atelier ist hell und groß. Viele meiner Bilder hängen an der Wand, es liegen wahrscheinlich viele Papierschnipsel am Boden, Holzleim, Ölfarben, Bücher…Fotos…verteilt über die beiden Räume…alles etwas unordentlich. Für Euch würde ich etwas Ordnung schaffen. Wahrscheinlich würde ich frische Blumen in einer Vase auf den 70 er Jahre Fliesen-Tisch stellen. Vielleicht sitzen wir an Deinem Lieblingsplatz? Ja, es wäre in Berlin die Sitzecke mit dem alten Sofa mit weißem Überwurf, mit Blick auf die Wand, an der ich meistens an meinen Bildern arbeite. Ich würde Euch Tee oder Kaffee anbieten. Es gibt noch zwei weiße Ikea Stühle…oder ich würde Euch in meinem Oldenburger Atelier etwas über meine Arbeiten erzählen…Ihr hättet die Wahl…
Du wurdest 1968 in Duisburg geboren und lebst in Berlin und Oldenburg. Welche Stationen und Menschen haben Dich in Deinem bisherigen Leben besonders geprägt? Bis 12 habe ich in Duisburg gelebt, danach im hohen Norden…Bis ich 6 oder 7 Jahre alt war, in Duisburg, haben mich in Kindergarten und Hort und in der Grundschule einige superkreative Frauen betreut und mir den Spaß am Basteln und Malen vermittelt. Die waren großartig, ich erinnere mich noch heute an sie. Gleichzeitig habe ich sehr viel Zeit bei meiner Oma Alwine verbracht. Die war sehr lustig, immer zu Späßen bereit…ich habe dort oft mit meiner jüngsten Tante zusammen die Modelle aus Katalogen ausgeschnitten…dann haben wir uns Kleidung dazu ausgeschnitten und die Figuren immer wieder neu „angezogen“, indem wir die Sachen so drum rum geklemmt haben (mit diesen Zusatzstreifen, die man mit ausgeschnitten hat) daher wahrscheinlich mein Faible Ausgeschnittenes in meine Arbeiten einzubauen. Alle haben unglaublich viel und immer gleichzeitig gesprochen…in Oldenburg dann im Norden war das ganz anders…mein Mann ist auch mein Ruhepol und bringt mich meistens runter. Ich hatte eine unglaublich tolle Kunstlehrerin am Gymnasium, Frau Gerwing … Danke an sie! Welche Schriftsteller*innen findest Du derzeit spannend und welche Bücher finden sich in Deinem Bücherregal? Im Moment lese ich Sciences Fiction Romane zur Entspannung. In meinem Regal stehen Cixin Liu, Isaac Asimov, Bernhard Hennen neben Umberto Eco, Franz Kafka, E.A. Poe, Osho, Stephen Hawkings. Außerdem Jean Baudrillard, Felwine Sarr, Frantz Fanon, Edward W. Said, Michele Foucault, Jaques Derrida und Judith Butler.
Welche Bücher haben Dich beeinflusst oder geprägt? „Rhizom“ von Gille Deleuze und Félix Guattari. In Tom Robbins „Salomes siebter Schleier“ haben mich der bemalte Stab und die Muschel, die sich aufmachen, die Welt vor einer international geplanten Verschwörung zu retten, unheimlich beeindruckt. „Das bildnerische Denken“, Actus et imago von Charles S. Peirce und auch Karl Mannheim „Strukturen des Denkens“… alles um den Begriff Contagion und der damit verbundene Gedanke an Gegenstände, die einen als Wesenheiten berühren…das ist spannend! Ganz nach dem Motto Deleuze und Guattari: „Findet die Stellen in einem Buch, mit denen ihr etwas anfangen könnt“ „Macht Rhizome und keine Wurzeln! Seid nicht eins oder viele, seid Vielheiten!“ Was liest Du aktuell und wo liegt das Buch griffbereit? Neben meinem Bett auf dem Regal liegen 3 Büchlein von Isaac Asimov, Wasser für den Mars lese ich gerade… Welche Musik hörst Du und wann? Ähnlich wie beim Lesen, ich höre, was mir in die Finger/Ohren kommt und gerade passt zu mir und dem, was ich mache. Edward Grieg, Lang Lang, Keith Jarrett, George Winston oder auch Ryuichi Sakamoto, John Mc Laughlin, Nils Petter Molvaer…aber auch Kate Bush, Peter Gabriel, David Bowie oder Muse und Deichkind, Yello…und sehr viel Meditatives…Dalai Lama… Wenn Du etwas für uns kochen würdest, was wäre es? Entweder Mediterranes, mit Zucchinis und Tomaten und frischen Kräutern aus meinem Garten…oder Thailändisches … eine leckere Tom Kha Gai vielleicht…mit oder ohne Gai… Was isst Du am liebsten? Nudeln oder koreanisches Kimchi, oder auch Nudeln mit Kimchi… Was hältst Du vom Frühstücken? Wenn mein Mann nicht da ist, brauche ich kein Frühstück…
Welchen Sport oder Ausgleich zu Deiner künstlerischen Arbeit betreibst Du? Ich habe zwei sehr große Hunde…also Spazierengehen oder im Garten rumbuddeln…das erdet mich … Für welche besonderen Leidenschaften oder Hobbies brennst Du? Ich schreibe da an etwas. Immer, wenn es die Zeit erlaubt. Ich reise sehr gerne und sauge dann Neues auf. Aber die Kunst ist wohl meine größte Leidenschaft. Komisches Wort…was soll eigentlich ein Hobbie sein? Zeitvertreib…ich würde meine Zeit doch nicht vertreiben… Welches Persönlichkeitsmerkmal macht Dich besonders aus? Offenheit. Gewissenhaftigkeit? Andere sagen: unsteter neugieriger Geist…immer in Bewegung… Hast Du ein Anliegen, das Du mit uns teilen möchtest? Oder eine Antwort auf eine (nicht von uns gestellte) Frage, die Dich aktuell bewegt? So viele Fragen…so viele Antworten…neben den ganzen täglichen Dramen, muss wohl jeder zu sich selbst finden, seinen inneren Kern finden…dann würde die Welt vielleicht etwas besser und gerechter werden?
INTERVIEW | KÜNSTLER + POSITION
Wir möchten kurz Deinen künstlerischen Werdegang vorstellen. Nach einem Studium der Germanistik und Politikwissenschaft, Kunst und Anglistik in Oldenburg hast Du von 1995 bis 2003 an der Hochschule für Bildende Künste Bremen Malerei bei Prof. Jürgen Waller und Atelier für Zeitmedien bei Prof. J.F. Guiton studiert. 2002 hast Du die Diplomprüfung bei Prof. J.F. Guiton und 2003 die Meisterprüfung bei Prof. J.F. Guiton und David Bade absolviert. Darüber hinaus hast du zwei wissenschaftliche Arbeiten verfasst: Eine Bachelor-Arbeit zum Thema Objekte in ethnologischen Museen als migrationsgesellschaftliche Lernofferten und eine Masterarbeit über Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten – (kritische) Vermittlungsarbeit in Museen. Haben wir etwas übersehen? Falls ja, nenne uns weitere Stationen Deines künstlerischen Werdegangs.
Das sind die wichtigsten Stationen. Ich habe zwei Mal aus Frust alle meine Arbeiten zerstört…ich wollte dann wissenschaftlich arbeiten und meinen Dr. machen…aber es geht eben nicht ohne Kunst…jetzt weiß ich, ich habe mich richtig entschieden…
Wie bist Du zur Kunst gekommen? Warum Kunst?
Tja, was soll ich sagen…ich komme aus einem Arbeiterhaushalt…keine Ahnung, wie genau das passiert ist…wie bereits beschrieben, die richtigen Menschen zur richtigen Zeit haben mich beeinflusst…ich konnte mich immer tief versenken und war und bin ganz bei mir, wenn ich Ideen habe und umsetze…irgendwann war klar, das ist mein Weg…und der wird immer fokussierter, je älter ich werde…schön…in der Kunst kann ich machen, was ich will, ich fühle mich frei und irgendwann kommt dann so ein Kribbeln, ein Gefühl, das ist vielleicht das, was man Flow nennt, das ist unbeschreiblich gut…
Was macht Dich aktuell glücklich?
Das es künstlerisch voran geht… Dinge, die ich mir vorstelle, eintreten…dass immer was passiert…mein Mann, meine Familie und meine Freunde machen mich glücklich.
Was macht Dir aktuell Angst?
Grundsätzlich Stillstand. Der Rechtsruck der Gesellschaft, das Klima, die Kriege, Menschen, die meinen, sie wären besser als andere…eigentlich Vieles. Aber ich bin und bleibe Optimistin!
Glaubst Du, dass Kunst eine gesellschaftliche Verantwortung trägt? Und was denkst Du, was sie bewirken kann?
Es kommt immer auf den Kontext und die Perspektive an. Kunst kann viel bewirken, muss aber nicht…nein Verantwortung tragen wir Menschen…nicht die Kunst…
Was macht Deine Kunst aus? Worum geht es in Deinem Werk – was sind die zentralen Themen?
Es geht um das Fragmentarische des Daseins und um die Verbindungen aller Dinge und Menschen miteinander und über die Zeiten hinweg; Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft hängen zusammen und wir befinden uns mittendrin…können aber immer nur Ausschnitte davon wahrnehmen. Meine Arbeiten sind Versuche, inhaltlich und formal etwas davon abzubilden. Dabei stehen immer Menschen und Dinge im Zentrum, umgeben von Fragmenten aus Raum und Zeit…
THE DEED | DAS WERK: Bettina Hauke
Die 1968 in Duisburg (Deutschland) geborene und in Berlin und Oldenburg lebende Künstlerin Bettina Hauke spricht in ihrem Interview über die zentrale Botschaft ihres künstlerischen Werks.
Bitte beschreibe das Kernthema und die zentrale Botschaft Deines Werks.
Ich glaube, es gibt nicht das eine Kernthema oder die Kernbotschaft in meinem Werk.
Vielleicht können Kunsthistoriker sich damit auseinandersetzen. Ich glaube an das Fragmentarische des Daseins und an Vielheiten, an Überschreitungen, an Rhizome…die Inhalte meiner Arbeit hängen immer von Verbindungen mit dem Außen ab…auch von der Zeit der Betrachtung, der Art, der Perspektive, des Kontextes…
Was ich aber sagen kann ist: Es tauchen regelmäßig bestimmte Motive auf. Bäume, Blumen, Früchte oder Tiere, Symbole von 1999 haben über 20 Jahre ihre Bedeutung für mich behalten… ich habe das Gefühl, meine Arbeiten atmen ein und aus…egal, ob Malerei, Fotografie oder Videos und Installationen…
Ich arbeite figurativ narrativ, wobei ich der kunsthistorischen Tradition Motive und Elemente entnehme (besonders gerne aus Antike oder Renaissance…ich liebe Botticelli…) auch der Kreis spielt eine große Rolle in meinen Arbeiten. Das alles verbinde ich dann spielerisch mit aktuellen Themen und Figuren/Menschen aus meinem Umfeld… das erscheint mir interessant und von Bedeutung. Oft halten die abgebildeten Figuren Gegenstände in ihren Händen. Die Verbindung Mensch und Gegenstand ist für mich sehr wichtig. Ohne Gegenstände, Dinge in der Welt gäbe es keine Bezugspunkte, alles würde sich auflösen…vielleicht…so wie wir ohne unsere Gegenüber nicht existieren würden…ohne Vergangenheit gäbe es auch keine Gegenwart und keine Zukunft…also muss das auch alles in meinen Arbeiten auftauchen…alles ist miteinander verwoben…das versuche ich inhaltlich und auch formal umzusetzen…dabei spielen meine Gedanken eine große Rolle, die sind da immer mit eingewoben…der ein oder andere kann das lesen…oder wird irgendwie auf andere Weise von etwas in den Arbeiten berührt…Hauptsache diese Berührung passiert auch.
Stelle uns die Arbeit vor, die exemplarisch für die Botschaft Deines Werks steht, oder diese aus Deiner Sicht am besten verkörpert.
Das ist meine Oma Alwine, zu dieser Zeit war sie bereits gestorben, sie hatte Rheuma, war aber immer lustig…der Hintergrund erklärt sich selbst…die Fühler tauchen immer wieder in meinen Arbeiten auf, eine Art Gedankenaustauschtentakel …etwas, was anderes beseelt…eine Möglichkeit Vergangenheit und Gegenwart mit der Zukunft zu verbinden…auf formaler, inhaltlicher und sphärischer Ebene…Taster…irgendwie sowas…
Was ist das Ziel Deiner Kunst, Deines künstlerischen Werks? Was soll es beim Betrachter bewirken?
Hauptsache, es berührt auf irgendeine Weise…
Die Frage nach THE DEED | DAS WERK ist ein ergänzender und separat präsentierter Teil des THE INTERVIEW IN|DEEDS mit Bettina Hauke.
Wie schützt Du Dich in der heutigen Zeit vor zu viel Inspiration?
Wie kann es zu viel Inspiration geben?
Wie viel in Deinen Arbeiten ist vorher geplant – wie viel entsteht intuitiv?
Meistens plane ich etwas, verwerfe, arbeite intuitiv weiter…oder vice versa…ich fange intuitiv an, sehe etwas, und plane dann, wie es weitergeht…
Was sind Deine (nächsten) Ziele?
Ich hoffe, ich kann meinen Ateliervertrag in Berlin verlängern, falls nicht muss ich mir ein neues Atelier suchen…eine Galerienvertretung … und natürlich fokussiert weiterarbeiten…
Wie stehst Du zum Thema Glauben? Hast Du Glaubensgrundsätze oder gibt es einen Leitspruch?
Wenn ich etwas wirklich will, es auch sehen kann vor meinem Auge, dann passiert es mir auch…
Welches Projekt würdest Du gerne noch realisieren, wenn fehlende Zeit, mangelnder Mut oder finanzielle Ressourcen keine Rolle spielen würden?
Ich möchte eine Reihe großformatiger Portraits machen, von Menschen, die mich beeinflusst haben, … so richtig groß…mit viel Schnick Schnack drin… eine Installation mit wispernden Bäumen…wollte ich schon immer machen…
Was sind aus Deiner Sicht Attribute für gute Kunst?
Sie muss irgendwie bewegen, etwas machen…berühren!
Wird man als Künstler*in geboren? Oder ist ein Kunststudium Pflicht?
Wenn man die richtigen Lehrenden hat…kann ein Kunststudium gut sein…muss aber nicht…es kann den Geist auch einschränken…
Wie sieht denn ein geborener Künstler oder eine geborene Künstlerin aus? Hmmm…
Alles hängt davon ab, wo, zu welcher Zeit und von wem man in die Welt entlassen wird…und was und wer einen dann prägt…
Wie siehst Du die Zukunft von Kunst im Zeitalter von KI?
Ich habe keine Angst davor… wer weiß schon,was KI bewirken wird? Kunst und Wissenschaft können einander ergänzen … ich bin neugierig, was passiert…
Wie stehst Du zum Thema NFT?
Wenn ich Etwas erschaffe und das dann zerstöre, damit es in einen virtuellen Zustand übergehen kann und in der virtuellen Welt einen Wert bekommt…das ist schräg…aber ja, warum nicht…es ist dann ja noch da…irgendwie, woanders …in anderer Form…ich würde wahrscheinlich extra dafür etwas anfertigen…dann wäre das eben ein anderer Markt, eine Variante meines künstlerischen Schaffens…Bisher habe ich alle NFT-Anfragen ignoriert.
Wem zeigst Du ein neues Werk zuerst?
Meinem Mann, meiner Mutter, die Kommentare sind oft sehr gut und bringen mich weiter…insbesondere, wenn sie mich ärgern…
Wie sieht die erste Stunde Deines Tages aus?
Wenn ich in Oldenburg bin, bringt mir mein Mann meistens einen Kaffee ans Bett, ich checke meine Mails, social Media, dann Hunde…dann ins Atelier… in Berlin mache ich mir meinen Kaffee selbst und gehe direkt an die Arbeit…
Sind im Zeitalter des Internets der Dinge Galerien noch notwendig? Wenn ja, warum und wofür?
Unbedingt! Gerade im Zeitalter des Internets … um so wichtiger die persönlichen Kontakte und Gespräche… Ich denke professionelle Galerien, ein Vertrauensverhältnis zu den Galeristen, verschaffen einem/er Künstler*in die nötige Freiheit zu arbeiten, sich nicht um alles kümmern zu müssen. Im Alleingang ist das unglaublich zeitaufwendig…das Kerngeschäft leidet darunter…
Social-Media – Segen oder Fluch?
Als ich angefangen habe, gab es noch die ersten Modems…die mit dem langen, nervigen Ton beim Einwählen…heute kann ich mit meinem Handy fast alles erledigen…ich bin froh darüber…natürlich ist es wichtig, auch Auszeiten zu nehmen…um konzentriert zu arbeiten…es kann also auch zum Fluch werden…kommt auf das handling an…
EPILOG | AKTUELLES
Die Ausstellung „ÜBERSCHAU #11 VERMEER CONTEMPORARY“ mit verschiedenen Foto und Videoarbeiten von Bettina Hauke ist vom 25. August bis 23. September 2023 im CSR.ART Contemporary Showroom, Friedrichstraße 67-70 in 10117 Berlin-Mitte zu sehen. Die Arbeiten werden in einer Gruppenausstellung mit verschiedenen Künstlern präsentiert. Die Ausstellung ist Dienstag bis Samstag von 11:00 bis 19:00 Uhr geöffnet.
Bettina Hauke (Instagram: @bettinahauke.artist)
Die DEEDS-Interviews werden von unserer Redaktion nicht redigiert oder gekürzt und stets im O-Ton wiedergegeben. Daher nehmen wir auch keine Übersetzung des Interviews in Englische bzw. Deutsche vor, es sei denn, diese wird seitens des/der Interviewten eingereicht, oder wir werden mit der Übersetzung betraut. Hier wurde die deutsche Version des Interviews von der Künstlerin eingereicht.