Die Rückgabe von Kulturgütern, die während des NS enteignet wurden, ist nach wie vor eine zentrale Aufgabe für Museen in Deutschland. Der Fall des Gemäldes Hl. Anna Selbdritt aus dem Umfeld Lucas Cranachs des Älteren veranschaulicht beispielhaft die historischen, rechtlichen und ethischen Herausforderungen der Rückgabe von Kunstwerken, die im Kontext von Verfolgung erworben wurden. Auf der Grundlage einer umfassenden Überprüfung der Provenienz und unter Berücksichtigung des neuen Bewertungsrahmens für den Umgang mit nationalsozialistischer Raubkunst haben die Staatlichen Gemäldesammlungen Bayerns beschlossen, das Werk an die Erben von Ernst Magnus zurückzugeben. Der Prozess verdeutlicht sowohl die Entwicklung der Restitutionspraxis als auch die institutionelle Verantwortung für einen transparenten und kritischen Umgang mit dem Erbe des NS.
Abb oben: Lucas Cranach d. Ä. (Anonymer Schüler), Hl. Anna Selbdritt, um 1522-1525 Buchenholz (Fagus sp.), Ausflickung Falz Nadelholz, 32 x 25 cm Foto: Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Sibylle Forster
Rückgabe eines Gemäldes aus dem Umkreis Lucas Cranach des älteren
Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen geben das Gemälde „Hl. Anna Selbdritt“ (um 1522–1525), aus dem Umkreis Lucas Cranach des Älteren, an die Erben von Ernst Magnus (Hannover) zurück.
Das kleinformatige Werk war 1940 von Ernst Magnus bei der Galerie Fischer in Luzern in Kommission gegeben worden und wurde 1941 über den Kunsthändler Walter Andreas Hofer an Hermann Göring verkauft. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs stellten die amerikanischen Alliierten das Gemälde im Central Collecting Point sicher und übergaben es zunächst treuhänderisch an den Bayerischen Ministerpräsidenten. 1961 ging das Werk als Erwerbung aus NS-Besitz in die Sammlung der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen über.
Bereits 2009 stellten die Erben ein Restitutionsgesuch, das 2010 nach damaliger Rechtslage abgelehnt wurde. Eine erneute Prüfung auf Grundlage des neuen Bewertungsrahmens der Schiedsgerichtsbarkeit NS-Raubgut führte nun zu einer Revision der Entscheidung und zur Bewilligung der Restitution.
Kunstminister Markus Blume betont, dass der erweiterte Kriterienkatalog des neuen Bewertungsrahmens erstmals klare rechtliche Voraussetzungen für die Rückgabe des Gemäldes schaffe. Der neue Rahmen konkretisiere die Washingtoner Prinzipien und ermögliche eine zeitgemäße, differenzierte Bewertung auch bislang ungeklärter Konstellationen wie Händlerware, Auslandverkäufe und sogenanntes Fluchtgut. Dies eröffne Museen die Möglichkeit, komplexe Fälle erneut fundiert zu prüfen.
Anton Biebl, Leiter der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, sieht in der Rückgabe ein sichtbares Zeichen für die Weiterentwicklung der Restitutionspraxis und unterstreicht die Verantwortung gegenüber den Opfern des NS-Unrechts und ihren Nachfahren.
Hannah Cavendish-Palmer, Urenkelin von Ernst Magnus, dankt den deutschen Institutionen für ihre Bereitschaft, zuzuhören, zu erinnern und das erlittene Unrecht anzuerkennen, und appelliert an weitere Rückgaben geraubter Kunstwerke.
Biografischer Hintergrund der Familie Magnus
Ernst Magnus (1871–1942) lebte mit seiner Frau Ida lange Jahre in Hannover. Er war Direktor der Commerz- und Disconto-Bank Hannover sowie Mitglied in mehreren Aufsichtsgremien. Gemeinsam bauten sie eine bedeutende Kunstsammlung auf. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde die Familie systematisch entrechtet. Konten wurden gesperrt, Vermögenswerte unter Wert veräußert, hohe Sonderabgaben erhoben.
1935 emigrierte Ernst Magnus nach Lausanne und nahm Teile seiner Sammlung mit. Um die Kosten der Emigration und ein Visum für Kuba zu finanzieren, sah er sich gezwungen, weitere Werke zu verkaufen, darunter „Hl. Anna Selbdritt“. 1941 gelang der Familie die Flucht über Sevilla nach Havanna, wo Ernst Magnus 1942 verstarb. Seine Frau und Tochter konnten später in die USA weiterreisen.
Provenienzforschung und Bewertung von Fluchtgut
Der Fall verdeutlicht die Herausforderungen der Provenienzforschung, insbesondere bei Verkäufen im Ausland während der NS-Zeit. Diese erfolgten häufig unter formal freien Marktbedingungen, waren jedoch vielfach durch existenzielle Zwangslagen geprägt. Der 2024 verabschiedete neue Bewertungsrahmen ermöglicht eine differenziertere Einordnung, indem er verfolgungsbedingte wirtschaftliche Nöte stärker berücksichtigt und auch außerhalb des Reichsgebiets erzwungene Verkäufe anerkennt.
Für die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen und das neu gegründete Referat für Provenienzforschung bedeutet dies, frühere Entscheidungen erneut zu überprüfen und die Provenienzforschung kontinuierlich auszubauen. Die Restitution des Gemäldes „Hl. Anna Selbdritt“ steht somit auch für das fortgesetzte Engagement der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen im verantwortungsvollen Umgang mit NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut.





