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Wenn Bilder sprechen. Provenienzforschung zur Sammlung der Liebermann-Villa | 01.10.2022-13.03.2023

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Ab 1. Oktober 2022 präsentiert die Liebermann-Villa am Wannsee die Ergebnisse des ersten Provenienzforschungsprojekts des Museums in der Ausstellung „Wenn Bilder sprechen. Provenienzforschung zur Sammlung der Liebermann-Villa“. Seit 2020 konnten rund 150 Werke der Sammlung der Max-Liebermann-Gesellschaft Berlin e.V., dem Trägerverein des Hauses, dank einer großzügigen Förderung des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste systematisch auf NS-verfolgungsbedingten Entzug überprüft werden. Im Vordergrund der neuen Sonderschau stehen die Provenienzen einer exemplarischen Auswahl aus der Sammlung.

Abb. oben: Max Liebermann, Blick aus dem Nutzgarten nach Osten auf den Eingang zum Landhaus, 1919, Öl auf Leinwand, 50 x 75 cm, Max-Liebermann-Gesellschaft Berlin, Foto: Oliver Ziebe.

Die Ausstellung vermittelt damit auch Einblicke in das Umfeld des deutschjüdischen Malers Max Liebermann (1847–1935) und seiner Frau Martha Liebermann (1857–1943). Ebenso thematisiert sie die Herausforderungen, die das Forschungsfeld heute bereithält. Höhepunkt der Ausstellung ist das Werk „Kopf eines St. Adriansschützen aus dem Jahr 1627, Kopie nach Frans Hals“, das eindeutig als NS-Raubkunst zu bezeichnen ist. Die überaus großzügige Einigung, die die Erbinnen von Max und Martha Liebermann hier ermöglicht haben, ist ein erfreuliches Beispiel für eine faire und gerechte Lösungen im Sinne der „Washington Principles“ von 1998.

DR. LUCY WASENSTEINER, DIREKTORIN DER LIEBERMANN-VILLA:
„Welche Wege haben die Werke Max Liebermanns seit ihrer Entstehung bis zu ihrem Eingang in unsere Sammlung genommen? Dass wir dieser längst überfälligen Frage systematisch nachgehen konnten, verdanken wir der großzügigen Förderung des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste. Sie ermöglicht unserem im Wesentlichen mit privaten Mitteln getragenem Museum, unrechtmäßige Besitzwechsel während der NS-Zeit offenzulegen und eine gerechte und faire Lösung mit den Erbinnen von Max und Martha Liebermann zu finden.“

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Max Liebermann, Kopf eines St. Adriansschützen aus dem Jahr 1627, Kopie nach Frans Hals, 1896, Öl auf Leinwand, 41 x 32 cm, Max-Liebermann-Gesellschaft Berlin, Foto: Oliver Ziebe, Berlin.

DR. JOHANNES NATHAN, VORSITZENDER DER MAX-LIEBERMANN-GESELLSCHAFT:
„Die Ausstellung ist das Ergebnis eines weiteren wichtigen Forschungsprojekts der Liebermann-Villa am Wannsee. Seit ihrer Gründung im Jahr 1995 hat die Max-Liebermann-Gesellschaft innerhalb kurzer Zeit eine Sammlung aufgebaut. Nicht immer konnte im Zuge dieser Ankäufe und Schenkungen die Provenienz eines Objekts eindeutig geklärt werden. Die großzügige Förderung des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste hat es uns ermöglicht, die Herkunftsgeschichten in unserem Bestand genauer zu erforschen. In den meisten Fällen dürfen wir nun davon ausgehen, dass die Provenienzen der uns gehörenden Arbeiten unbelastet sind. In einem Fall hat sich aber leider erwiesen, dass das fragliche Objekt als Raubkunst zu bezeichnen ist. Unmittelbar nach Kenntnisnahme dieses Sachverhalts wurden die hier anspruchsberechtigten Erbinnen von Max und Martha Liebermann orientiert. Diese boten in der Folge Hand zu einer überaus großherzigen Einigung, wofür wir ihnen zutiefst dankbar sind. Dankbar sind wir auch der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Claudia Roth, die sich höchst liebenswürdig bereit erklärt hat, die Schirmfrauschaft über unsere Ausstellung zu übernehmen und uns damit in unserer Arbeit für die Erinnerung an Max Liebermann und seine Familie sehr bestärkt.“

PROF. DR. GILBERT LUPFER, VORSTAND DEUTSCHES ZENTRUM KULTURGUTVERLUSTE:
„Werke von Max Liebermann, einem der bedeutendsten deutschen Künstler des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, sind häufig der Gegenstand von Provenienzforschung. Viele von ihnen befanden sich im Eigentum jüdischer Sammlerinnen und Sammler, die von 1933 an zur Emigration genötigt, ausgeplündert, ermordet wurden. Doch auch die Familie Liebermann selbst war Opfer antisemitischer Verfolgung und verlor ihre eigene Kunstsammlung. Die engagierte Provenienzforschung des Teams der Liebermann-Villa erlaubt nun unter anderem, die Herkunft eines Gemäldes aus der LiebermannSammlung zu rekonstruieren, das die Max-Liebermann-Gesellschaft Jahrzehnte später gutgläubig erworben hat. Dieser Fund ist ein kleiner, aber keineswegs unwichtiger Beitrag zur Aufklärung des NS-Kunstraubes und zeigt, wie wichtig Provenienzforschung und wie sinnvoll ihre Unterstützung durch das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste ist. Sehr gerne fördern wir auch private Einrichtungen wie eben die Liebermann-Villa und ihren Trägerverein, die Max-Liebermann-Gesellschaft.“

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Max Liebermann, Die Blumenterrasse im Wannseegarten nach Nordwesten, 1915, Öl auf Leinwand, 50,7 x 75,5 cm, Max-Liebermann-Gesellschaft Berlin, Foto: Oliver Ziebe

BEISPIEL EINER „GERECHTEN UND FAIREN LÖSUNG“ AUS DER SAMMLUNG DER LIEBERMANN-VILLA AM WANNSEE

Im Laufe der Recherchen stellte sich heraus, dass ein Objekt in der Sammlung der Max-Liebermann-Gesellschaft eindeutig als NS-Raubkunst zu bezeichnen ist. Es handelt sich um eine 1876 von Liebermann gemalte Kopie eines „St. Adriansschützen“ nach einem Gemälde des niederländischen Malers Frans Hals (1582–1666). Die am unteren rechten Bildrand erhaltene Liebermann-Signatur auf unserem Bild erwies sich als Abdruck des sogenannten Nachlassstempels, mit dem Martha Liebermann kurz nach dem Tod ihres Ehemanns im Februar 1935 alle noch unsignierten Werke des Künstlers in ihrem Besitz bezeichnete. Die Signatur ist Indiz dafür, dass das Werk aus der Kunstsammlung von Max und Martha Liebermann stammt.

Im Zuge der Verfolgung durch das NS-Regime verlor Martha Liebermann fast ihr gesamtes Vermögen. Im Herbst 1935 zog sie in eine Wohnung in der Graf-Spee-Straße 23 (heute Hiroshimastraße); 1938 durfte sie das Familienhaus am Pariser Platz nicht mehr betreten; 1940 wurde sie gezwungen, die Villa am Wannsee zu verkaufen. Im März 1943 entzog sie sich durch Suizid der drohenden Deportation in das Konzentrationslager Theresienstadt. Kurz darauf beschlagnahmten und „verwerteten“ die Gestapo und der Oberfinanzpräsident von Berlin-Brandenburg ihren Besitz. Ob der „St. Adriansschütze“ erst dann beschlagnahmt wurde, oder ob Martha Liebermann ihn schon zuvor wegen ihrer Notlage verkaufen musste, konnte nicht abschließend geklärt werden. In beiden Fällen ist das Gemälde aber eindeutig als NS-Raubkunst einzustufen.

Das Werk wurde 2003 im Nachverkauf einer Berliner Auktion für die damals junge und schnell wachsende Sammlung der 1995 gegründeten Max-Liebermann-Gesellschaft erworben, also noch vor der offiziellen Eröffnung des Museums im Jahr 2006. In der Folge der aktuellen Forschungen im Rahmen des durch das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste geförderten Projekts konnte nun eine Einigung mit den hier anspruchsberechtigten Urenkelinnen von Martha und Max Liebermann getroffen werden. Diese verzichteten großzügig auf eine Entschädigung oder Rückgabe des Gemäldes – unter der Bedingung, dass bei dessen Ausstellung immer auf das Schicksal der Familie Liebermann, auf die Provenienz des Bildes und auf die ausgesprochen entgegenkommende Einigung hingewiesen wird.

PUBLIKATION
Begleitend zur Ausstellung erscheint auf der – von der Universität Heidelberg betriebenen – Plattform arthistoricum.net – ART-Books eine kostenlose digitale Publikation zu neuen Erkenntnissen der Provenienzforschung im Kontext von Max Liebermann und seinem Netzwerk. Diese Open-Access-Publikation geht aus der Online-Konferenz „Provenienzforschung zu Max Liebermann und seinem Netzwerk. Berichte aus der Praxis“ hervor, die im Herbst 2021 in Kooperation mit Prof. Dr. Meike Hopp, Juniorprofessorin für Digitale Provenienzforschung an der Technischen Universität Berlin, durch die Liebermann-Villa veranstaltet wurde.

WO?
LIEBERMANN-VILLA AM WANNSEE
Colomierstr. 3
14109 Berlin

WANN?
Samstag, 1 Oktober 2022 bis Montag, 13. März 2023

KOSTET?
Regulär 10 €, ermäßigt 6 €
Freier Eintritt für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren

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