Betritt man zum Jubiläum der Bildgießerei Hermann Noack die auf dem Firmengelände auf zwei Ebenen eingerichtete gleichnamige Werkstattgalerie mit ihren musealen Räumen, um die von Sammlungsleiterin und Chefkuratorin Isabella Mannozzi zusammengestellte Retrospektive aus Skulpturenpositionen der vergangenen 125 Jahre zu besuchen, ergibt sich ein Überblick von der Moderne bis in die Gegenwartskunst. Ausgestellt sind bedeutende deutsche wie namhafteste internationale Künstler und alle rund 50 gezeigten künstlerischen Positionen der Ausstellung eint dabei, dass sämtliche Werke ihre Geburtsstunde in der Bronzegießerei Noack erhielten.
Abb. oben: Blick auf den von NOACK im Jahre 2010 neu bezogenen Standort an der Spree in Charlottenburg. Copyright: Archiv Bildgießerei Hermann Noack
Für die Umsetzung dieses Ausstellungs-Vorhabens nutzte Noack mit seinem Team nahezu zwei Jahre in der Vorbereitung, um neben dem überwiegenden Teil an Werken aus der Unternehmenssammlung, diese durch seltene und wertvolle Exponate internationaler Sammler zu ergänzen. Herausgekommen ist dabei eine Schau der Superlative, bei der die Kuratorin die Sichtachsen für einen Dialog gekonnt in Szene setzt. Hat man erst einmal den Eingangsbereich mit historischen Fotografien von Hermann I vor den Wisenten von August Gaul aus dem Jahr 1913 mit Belegschaft sitzend, bis Hermann Noack IV durchlaufen und die Installation mit Bronzeschlitten von Rolf Sachs der Skulptur „Stürzender II“ (2006) von Rainer Fetting passiert, setzt sich in der rechten großen Halle der Blick auf die zeitgenössische Kunst fort.
Im Zentrum steht hier die in Aluminiumguss umgesetzte makroskopische „Tropfen“-Skulptur der deutsch-russischen Bildhauerin Anna Bogouchevskaia, die sich in ihrem aktuellen Werk mit Naturthemen und der Klimakrise befasst; Themen, der die gegenüberliegende Position von Elmgreen & Dragset mit einem ironischen Statement durch ihre goldpolierte Bronze „Dirty Socks“ von 2019 begegnet. Sie erscheint als Fanal eines zur Schau getragenen Fatalismus einer hirnlosen Generation, bei der das Chillen und nicht zu viel Gedanken machen, zum wohlständischen Lebensmotto dazugehört. Die als Stiefel von Georg Baselitz geformte und hier gezeigte Plastik „Pace Piece“ (2003) betrachtet dieser als Selbstportrait. Während der deutsche Neo-Expressionist die Analogie hier über das Bein mit Stiefel definiert, steht diesem ein abstrakter Kopf, als Ikone bekannt mit dem Titel „Skulptur 23“, von Rudolf Belling aus dem Jahr 1923 gegenüber. Beide Künstler eint hier die stilistisch abstrakte Ebene. Wenngleich Belling hier einen Assoziationsraum schafft, in dem die Verheißung und der Schrecken des Maschinenzeitalters in ihrer Ambivalenz fühlbar wird, eint beide Künstler dann doch wieder, dass sie von den Nazis ins Exil getrieben wurden. Und so setzen sich die Dialoge in dieser sehr sehenswerten Ausstellung fort. Die hängende Skulptur von Jone Kvie trifft hier auf Per Dybvik und die beiden Briten, Eduardo Paolozzi, mit seinem Relief „Stadtlandschaft“ von 1979, hängt hier im kalkulierten Widerspruch gegenüber der Plastik von Tony Cragg. Der zweite große Raum links vom Eingang, verspricht ähnlich spannende Spannungsdreiecke.
Während Alexander Archipenko neben Picasso zu den ersten modernen Künstlern zählte, die den Naturalismus und Neo-Klassizismus ihrer Zeit ablehnten, vielmehr ein radikal neues Formverständnis dem entgegensetzten und sich nicht auf Abbildung, Impression oder Naturvorbild reduzieren ließen, sondern sich auch mit Kubismus und Futurismus auseinandersetzten, schuf dies bei Archipenko eine ganz eigengesetzliche Form der Abstraktion, die in der antiken Bildhauerei ihre Anregung fand, sich jedoch klaren stilistischen oder schulischen Zuordnungen entzog. Aus dieser Zeit ist die in der Retrospektive bei Noack gezeigte Bronze „Flat Torso“, die der Künstler in Zusammenarbeit mit Noack im Jahr 1910 gießen sollte und die hier kuratorisch in direktem Bezug zu gegensätzlichen Auffassungen der deutschen Bildhauer Georg Kolbe durch seine gezeigte Bronze der „Auferstehung“ aus dem Jahr 1919 und Fritz Klimsch mit „Sitzendes Mädchen“ aus dem Jahr 1936 steht.
Während in der Rezeption von Kolbes Werk der Schwerpunkt heute immer noch auf die moderne und innovative Ästhetik der 1910er und 20er Jahre gelegt wird, in der eine lebensbejahende, vitale und optimistische Mission der Bildhauerei zu erkennen ist, zeichnet sich in der von Fritz Klimsch im Jahr 1936 gefertigten Bronze bereits die Ästhetik einer später noch stärker ideologisierten Formsprache ab. Ähnliche Kontraste ergeben hier die Tierplastiken in den Gegenüberstellungen der Positionen von Renée Sintenis und Ewald Mataré und somit Esel trifft auf liegende Kuh. Jedoch die zentrale Position im Raum nimmt hier Henry Moores mittelgroße abstrakte Skulptur ein. Ganz so wie in der Unternehmenshistorie, in der Moore aufgrund seiner Popularität und des Auftragsvolumens über lange Zeit zum wichtigsten Künstler bei Noack avancierte.
Die Ausstellung „125 Jahre NOACK“ eröffnet am 11. November und wird bis 03. Februar 2023 zu sehen sein. Öffnungszeiten sind Montag bis Freitag zwischen 12 bis 17 Uhr. Der Eintritt ist kostenlos.
Vom DISTANZ-Verlag wird eine 208-seitige Ausstellungspublikation in Englisch und Deutsch veröffentlicht, die ab sofort erhältlich ist.
WANN?
Ausstellungsdaten: Freitag, 11. November 2022 bis Freitag, 3. Februar 2023
KOSTET?
Eintritt frei
WO?
Bildgießerei Hermann Noack
Spreebord 9
10589 Berlin