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Dienstag, September 10, 2024

Berlin Art Week 2024: Pier Paolo Pasolini: Porcili – n.b.k. | 11.09.-10.11.2024

Editors’ Choice

Die Ausstellung Pier Paolo Pasolini. Porcili ab 11. September 2024 im Neuen Berliner Kunstverein (n.b.k.) rekonstruiert anhand zahlreicher Originalmaterialien – darunter Fotografien, Filme, Zeitungen, Bücher und Filmkostüme – den „corpo“ Pasolinis. Sie zeichnet dessen Schaffen und Gedankenwelt nach und widmet sich dem visionären Leben und Werk des Regisseurs, Dichters und Denkers. Pasolinis radikale Diversität und seine Auflehnung gegen soziale Konventionen haben innerhalb der italienischen Gesellschaft der 1950er bis 1970er Jahre stets Anstoß erregt. Er provozierte vor allem durch seine Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei und durch seine offen gelebte Homosexualität und litt unter öffentlicher Verhöhnung und gerichtlicher Verfolgung. 1975 wurde er unter nicht ganz geklärten Umständen ermordet. Die Ausstellung im n.b.k. bildet eine Chronik dieser Ereignisse ab und führt die Brutalität von Pasolinis Verfolgung vor Augen. Sie dokumentiert die systematische Diskriminierung eines Andersdenkenden, der zwischen Gerichtssälen, Straßenangriffen, Zensur und Spott soziale Missstände offenlegte und die Freiheit besang.

Abb. oben: Pier Paolo Pasolini bei den Dreharbeiten zu Decameron (1971)

Der Titel der Ausstellung im n.b.k. nimmt Bezug auf Pasolinis 1969 gedrehten Film Porcile (Der Schweinestall), mit dem der Regisseur eine drastische Allegorie gesellschaftlicher Abgründe schuf. Die italienische Öffentlichkeit sah in Pasolini jemanden, der von ihnen bewohnte Orte und Umgebungen als „Schweineställe“ (porcili) verunglimpfte. Pasolini solidarisierte sich mit der italienischen Unterschicht, äußerte sich blasphemisch, verteidigte sexuelle Lust und rebellierte gegen alle dem Körper aufgezwungenen Einschränkungen – und wurde dafür von Bürgertum, Kirche, Justiz, Politik und Medien angegriffen. In Porcile (Der Schweinestall) inszenierte Pasolini mittels einer radikalen Umkehrung von Wertvorstellungen die Grausamkeit jener auf Kontrollmechanismen beruhenden Gesellschaft, der er selbst zum Opfer fiel.

Biografisches
Pier Paolo Pasolini (1922 in Bologna, †1975 in Lido di Ostia /Italien) gehört zu den einflussreichsten und radikalsten Künstlerinnen und Intellektuellen des 20. Jahrhunderts. Als Filmemacher, Schriftsteller, Lyriker, Theaterregisseur, Essayist, Maler und Schauspieler löste er zeitlebens Kontroversen und öffentliche Debatten aus. Der ehemalige Volksschullehrer veröffentlichte 1955 seinen Erstlingsroman Ragazzi di vita, gefolgt von dem Gedichtband Le ceneri di Gramsci (Gramsci‘s Asche, 1957) sowie dem Roman Una vita violenta (1959) und schrieb regelmäßig für politisch linksorientierte Medien. 1961 erschien sein Filmdebüt Accattone (Accattone – Wer nie sein Brot mit Tränen aß). In den 14 Jahren bis zu dem 1975 kurz vor seinem Tod abgeschlossenen Skandalwerk Salò o le 120 giornate di Sodoma (Die 120 Tage von Sodom) drehte er über 20 Spiel- und Dokumentarfilme, u. a. La ricotta (Der Weichkäse, 1963); Comizi d‘amore (Gastmahl der Liebe, 1964); Medea (1969); Decameron (1971). Sein Werk wurde in zahlreichen institutionellen Präsentationen geehrt, u. a. Palazzo delle Esposizioni, Rom; MAXXI – Museo nazionale delle arti del XXI secolo, Rom; Gallerie Nazionali d’Arte Antica Palazzo Barberini, Rom (alle 2022–2023); DFF – Deutsches Filminstitut Filmmuseum, Frankfurt/Main (2022); Academy Museum of Motion Pictures, Los Angeles (2022); Museum of Modern Art, New York (2012–2013).

DEED.NEWS - nbk - Pier Paolo Pasolini 1
Pier Paolo Pasolini, Filmstill aus Decameron (1971)

Filmprogramm – Werkschau Pier Paolo Pasolini
Mit Einführungen und Kommentaren von Thomas Macho, Hito Steyerl, Klaus Theweleit und Margarethe von Trotta.
Parallel zu der Ausstellung zeigt der Neue Berliner Kunstverein im Babylon Kino eine Filmreihe von Pier Paolo Pasolini. Die umfassende Werkschau präsentiert eine Auswahl seiner prominentesten Filme und ermöglicht einen Einblick in zentrale Motive sowie in die politischen und ästhetischen Grundprinzipien seines Schaffens. Für Pasolini schien das Kino mehr als jedes andere Medium geeignet, die Wirklichkeit abzubilden; eine Wirklichkeit, in deren Zentrum die „Heiligkeit“ und Unschuld des Körpers standen. Seine Filmfiguren sind zwar außerhalb der Gesellschaft und der Geschichte verortet, aber sie verkörpern für ihn das Leben – die Vagabunden, die Diebe, die Mädchen und Jungen. Das Bürgertum mit seiner Tyrannei des Konsums betrachtete Pasolini als ultimative Verkörperung von Unwirklichkeit. Die in der Reihe versammelten Filme sind voll von staubigen, prekären Orten und von durch Armut gezeichneten, entwaffnenden Darsteller*innen. In Meisterwerken wie Accattone, La ricotta, Il Vangelo secondo Matteo und Decameron feiert Pasolini die Schönheit der Unschuld, während er mit Teorema, Porcile und Salò o le 120 giornate di Sodoma schonungslos Unmenschlichkeit und Machtmissbrauch offenlegt.
Die Filmreihe wird kuratiert von Giuseppe Garrera und Cesare Pietroiusti.
Alle Filme werden in der italienischen Originalfassung mit englischen Untertiteln gezeigt.

WANN?

Eröffnung: Mittwoch, 11. September 2024, 18 Uhr

Ausstellungsdaten: Mittwoch, 11 September bis Sonntag, 10. November 2024

Öffnungszeiten: Dienstag–Sonntag 12–18 Uhr / Donnerstag 12–20 Uhr

Babylon Kino: Mittwoch, 11 September bis Sonntag, 10. November 2024
Weitere Informationen unter babylonberlin.eu

WO?

Neuer Berliner Kunstverein
Chausseestraße 128/129
10115 Berlin

Babylon Kino
Rosa-Luxemburg-Str. 30
10178 Berlin

KOSTET?

n.b.k.: Eintritt frei

Babylon Kino: 9 € regulär (ab 130 min Filmlänge: 9,50 €)

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