KioskShop berlin (KSb) im Jahr 2007 (Foto: Semjon + Silke Helmerdig)
Am 5. November 2021 wird in Berlin-Mitte das installative Langzeit-Kunstobjekt “KioskShop berlin”, welches 11 Jahre lang verborgen war, reaktiviert und für einen kurzen Zeitraum wieder zugänglich gemacht. Von Dezember 2000 bis zum Frühjahr 2010 hatte der Berliner Künstler und heutige Galerist Semjon H. N. Semjon mit seinem auf Dauer angelegten Projekt »KioskShop berlin (KSb)« in Berlin-Mitte den Einzelhandel und die Kunstwelt auf einzigartige Weise miteinander verbunden. Seit seiner Eröffnung im Oktober 2001 bis zum Frühjahr 2010 haben zahlreiche Besucher:innen den »KioskShop« besucht, die sich an diese Installation auch heute noch gut erinnern.
Auf Umwegen über eine weitere komplexe Kunstinstallation – »Konstruktion der Moderne: Die Berliner Sammlung Dr. Carl Theodor Gottlob Grouwet (1919)« – wurde »KioskShop« im Jahr 2010 durch Wände, die den Salon der Sammlung darstellten, eingehaust und zur Galerieeröffnung von Semjon Contemporary im September für elf Jahre als Straßen-Salon der Galerie genutzt.
Kurzzeitige Wiederauferstehung
Im Oktober 2021 wurden die Wände abgebaut, um »KioskShop« als Ganzes wieder in Erscheinung treten zu lassen. Die Wiedereröffnung ist für den 5. November 2021 geplant. Eine zwischenzeitlich erfolgte Kündigung der Galerieräume durch die Berggruen Holding, die das Gebäude erworben hatte, veranlassten Semjon nach einem zehnjährigen künstlerischen Sabbatical, sein eigenes Werk in der Schröderstraße zu zeigen – vermutlich ein letztes Mal. Die Zukunft dieser Installation ist ungewiss, denn mit dem Auszug der Galerie muss der »KioskShop« wohl zerschlagen und zerstört werden. Das Kunstwerk ist in situ für diesen Ort geschaffen worden, u.a. wurden die Holzdielen gegen einen erschütterungsfreien Estrichboden ausgetauscht, der Terrazzoboden vom Künstler selbst gefertigt, sowie die selbstgebauten Ladenmöbel zu einem Ganzen verschraubt, verspachtelt und lackiert. Eine Treppenverlegung und der Einbau einer Heizung ohne Beeinträchtigung der Ladenarchitektur gehörten ebenso dazu.
Über zehn Jahre hat das Kunstwerk als fester Bestandteil die Entwicklung der Schröderstraße mitgestaltet: Die Räume des »KioskShop« waren im November 2000 die dritte vermietete Ladeneinheit in der Straße. Erst 11 Jahre später waren dann alle Läden in der Schröderstraße mit Leben gefüllt.
Das Kunstwerk “KioskShop berlin”
Die auf Dauer angelegte Installation simuliert einerseits einen kleinen Kiezladen, andererseits spielt das Kunstwerk mit den Wahrnehmungen, und löst Reflexionen über die Warenwelt und deren Vertrieb aus.
Im Mittelpunkt des begehbaren Kunstwerkes stehen unzählige »Product Sculptures«. Dies sind mit gebleichtem Bienenwachs überarbeitete Produktpackungen, zumeist samt Inhalt: Brandt Zwieback, Ariel-Waschmittel, Coca-Cola-Dosen, Zeitungen und Zeitschriften, Süßigkeiten, Zigaretten und vieles mehr. Wie in einem Geschäft sind sie seriell in dafür entworfenen und gebauten Ladenmöbeln aufgestellt. Die malerisch weißen und fremd wirkenden Produktskulpturen, das minimalistische Design der weißen Möbel und der hell erleuchtete Raum schaffen Distanz und transzendieren das wohlbekannte Ladenambiente in eine andere Wahrnehmungs- und Erkenntnisebene. »Wie vor einem Gemälde wird Abstand vom Betrachter gefordert und gleichzeitig Neugier geweckt« (Jan Maruhn in einem Text zum »KioskShop«, ca. 2001).
Das Design sollte eine abstrahierende Wahrnehmungssynthese aus der Erinnerung vom längst vergessenen Kolonialwarenladen über den Nachkriegs-Tante-Emma-Laden und dem heutigen, vorwiegend von Migranten betriebenen Späti sein. Die Installation war als Work-in-progress angelegt worden. Wie ein wirklicher Laden kamen ständig neue ›Produkte‹ dazu, die auch zu erwerben waren. Dafür hatte Semjon ein Präsentationssystem entwickelt, das zum einen das empfindliche Kunstwerk physisch schützt und zugleich seinen Mehrwert durch den Schaukastencharakter optisch und metaphorisch erhöht. Parallel zum Hauptkunstwerk hat Semjon einen ›MultipleShop‹ eingerichtet, der weitere, zumeist Auflagenobjekte oder auch in Serie hergestellte »Product Paintings« angeboten hat, zuweilen auch Kunstwerke von den ›Interventionskünstlern‹.
Interventionen
Die »Interventionen«-Reihe mit Gastkünstler:innen wurde von Semjon 2003 ins Leben gerufen, um zu überprüfen, ob es möglich ist, in einem eindeutig vorformulierten Ausstellungskontext, wie ihn »KioskShop« darstellte, ›fremde‹ Kunstwerke von anderen Künstler:innen vorzustellen, ohne sie zu ersticken bzw. beliebiges Chaos zu kreieren. Dieses Konzept ist aufgegangen, und bis zum Frühjahr 2011 wurden über 30 »Interventionen« mit Gästen durchgeführt. Diese Erfahrung hat u.a. zur späteren Gründung der Galerie Semjon Contemporary geführt.
Finanzierung
»KioskShop berlin« wurde finanziert durch ein Subskriptionssystem, das von rund 20 Förderern getragen wurde. Zudem konnte der Künstler mit dem Kunstwerk sowohl den Hauptstadt-Kulturfonds sowie den Berliner Senat überzeugen, das Projekt substantiell zu fördern. Auch die Verkäufe der »Produktskulpturen« und der Multiples und »Product Paintings« haben zur Finanzierung des anspruchsvollen Kunstprojektes beigetragen. Der »KSb« war in all den Jahren täglich von Dienstag bis Samstag von 14 bis 19 Uhr für das Publikum geöffnet.
Zukunft
Damit der »KioskShop berlin (KSb)« von Semjon H.N. Semjon am historischen Standort überleben kann, verfolgt der Künstler derzeit mehrere Strategien. Unter anderem versucht er, den Hauseigentümer und Kunstsammler Nicolas Berggruen davon zu überzeugen, das Kunstwerk durch ein Weiterführen des Mietvertrags zu retten. Gleichzeitig möchte Semjon mit seinen Künstler:innen, den Freund:innen der Galerie und des KioskShops, sowie Sammler:innen der Galeriekünstler:innen und Kunstleuten aus Berlin und weltweit eine Kunst-Allianz eingehen, um in der analogen und digitalen Welt und in Foren die Kommunikation darüber zu intensivieren und zu einer wirkungsvollen Macht weiterzuentwickeln.
WAS?
KioskShop berlin (KSb)
Wiederauferstehung nach 11 Jahren
WANN?
Freitag, 5. November, 19 – 21:30 Uhr
voraussichtlich bis 22.12.2021
WO?
Semjon Contemporary, Schröderstraße 1, 10117 Berlin-Mitte
Es gilt die 2 G-Regel (geimpft / genesen)
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