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Kunstmuseum Stuttgart: Kubus. Sparda-Kunstpreis | 24.09.2022-08.01.2023

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Der gemeinsam von der Sparda-Bank Baden-Württemberg und dem Kunstmuseum Stuttgart ins Leben gerufene Kunstpreis »Kubus« wird 2022 zum fünften Mal vergeben. Seit 2015 steht er unter einem übergeordneten Themenschwerpunkt. In diesem Jahr sind drei Künstler:innen nominiert, die sich bildhauerischen Fragestellungen aus unterschiedlichen Perspektiven zuwenden. Ab dem 24. September 2022 zeigen Ulla von Brandenburg, Camill Leberer und Ülkü Süngün ihre Arbeiten im Kunstmuseum Stuttgart. Eine Jury wird für eine der Präsentationen noch während der Ausstellungslaufzeit den Preis vergeben. Es entscheidet aber nicht nur die Jury: Bei einem zusätzlich von der Sparda-Bank ausgelobten Publikumspreis dürfen auch die Besucher:innen bis zum Ende der Ausstellung mitstimmen.

Abb. oben: Ulla von Brandenburg Personne ne peint le milieu, 2019 Gefärbte Stoffe und fünf Super-16mm-Filme, übertragen auf HD-Video, Farbe, stumm Ausstellungsansicht Palais de Tokyo, Paris, 2020 Foto: Aurélien Mole Courtesy Ulla von Brandenburg und Art : Concept (Paris), Meyer Riegger (Berlin/Karlsruhe), Pilar Corrias Gallery (London), Produzentengalerie Hamburg © Ulla von Brandenburg.

Der mit 20.000 Euro dotierte »Kubus. Sparda-Kunstpreis« zeichnet sich in seiner Ausrichtung durch zwei Besonderheiten aus: Zum einen wird eine herausragende bildkünstlerische Leistung ungeachtet des Alters der Künstler:innen honoriert; der Kunstpreis ist somit weder ein Förderpreis für Nachwuchskünstler:innen, noch ein Anerkennungspreis für ein künstlerisches Lebenswerk. Auf diese Weise soll ein offener Blick auf das breite Kunstschaffen in BadenWürttemberg bewahrt werden. Einzige formale Teilnahmevoraussetzung ist ein biografischer Bezug zum Land Baden-Württemberg – die Künstler:innen können also hier geboren sein oder ihren Schwerpunkt künstlerischen Schaffens hierher verlegt haben. Zum anderen präsentieren sich die drei Kandidat:innen vor der eigentlichen Preisverleihung mit ausgewählten Arbeiten jeweils in eigenen Räumen im Museum. Dies ermöglicht dem Publikum, dem künstlerischen Werk unvoreingenommen zu begegnen.

Nominierung und Preisvergabe sind an ein mehrstufiges Verfahren gebunden. In einem ersten Schritt werden von rund 15 Vertreter:innen baden-württembergischer Kunst- und Kulturinstitutionen zu einem bestimmten Thema jeweils zwei Künstler:innen vorgeschlagen. Anschließend wählt eine erste Jury – 2022 gehörten dieser neben Vertreterinnen des Kunstmuseums Stuttgart Dr. Brigitte Franzen (Direktorin Senckenburg Naturmuseum Frankfurt), Prof. Peter Gorschlüter (Direktor Museum Folkwang) und Johann Holten (Direktor Kunsthalle Mannheim) an – aus den eingereichten Vorschlägen drei Positionen aus. Eine zweite Jury entscheidet über die/den Preisträger:in; die Bekanntgabe erfolgt am 4. November 2022. Neben dem Preis der Jury hat die Sparda-Bank erneut auch einen Publikumspreis in Höhe von 5.000 Euro ausgelobt. Bis zum Ausstellungsende können die Besucher:innen wählen.

Die für die diesjährige Ausgabe vorgeschlagenen Künstler:innen wenden sich aus unterschiedlichen Perspektiven bildhauerischen Fragen zu und stellen diese mit ihren Präsentationen im Kunstmuseum Stuttgart zur Diskussion. Mit den Arbeiten von Ulla von Brandenburg, Camill Leberer und Ülkü Süngün zeigt sich die Vielfalt innerhalb der zeitgenössischen Bildhauerei. Wurde diese lange Zeit vornehmlich von figurativen Skulpturen und Plastiken dominiert, so ließen sich im Laufe des vergangenen Jahrhunderts zunehmend Bestrebungen beobachten, die Kunstgattung um das Thema ›Raum‹ und Raumerfahrung zu erweitern. Neben skulptural-plastische Formulierungen treten in dieser aktualisierten Ausprägung der Bildhauerei Installationen und performative Inszenierungen, die im Bühnenhaften einen gemeinsamen Bezugsrahmen haben. Der Raum, der auch kultureller und sozialer Raum ist, spielt dabei eine wesentliche Rolle.

In den multimedialen Installationen von Ulla von Bradenburg (*1974 in Karlsruhe, lebt und arbeitet in Paris und Karlsruhe) verschmelzen Elemente aus Theater, Tanz und Folklore zu bühnenhaften Inszenierungen. Die Künstlerin greift mittels Farben, raumhohen Stoffbahnen, plastischen Objekten, Videos und Performances in die nüchterne Architektur des White Cube ein und schafft so sinnlich aufgeladene Räume, in die die Besucher:innen eintauchen können. Dabei verschwimmen die Grenzen zwischen Aufführung und Realität, zwischen Darstellenden und Publikum.

Die Videoinstallation »Personne ne peint le milieu« (2019) lässt die Besucher:innen in ein blau schimmerndes Halbdunkel eintauchen; sie bewegen sich durch ein Labyrinth im Raum schwebender Stoffe. Videos, die auf die Stoffe projiziert werden, erinnern an Unterwasseraufnahmen nach einem Schiffbruch. So scheinen verschiedene Gegenstände – ein Spiegel, Schuhe, ein Tamburin – langsam in die Tiefe zu sinken.

DEEDS NEWS -Kunstmuseum Stuttgart - Kunstpreis - brandenburg vorhang blau
DEEDS NEWS -Kunstmuseum Stuttgart – Kunstpreis – brandenburg vorhang blau

Menschliche Interaktions- und Kommunikationsformen, die über symbolisch aufgeladene Gegenstände, Gesang oder Tanz stattfinden, stehen im Mittelpunkt von Ulla von Brandenburgs dramatisch inszenierten Performances. Diese brechen bewusst mit den Regeln des klassischen Theaters, auf das sie sich in der Ausstellung mehrfach bezieht.

Mit der Installation »Color Notation« (2022) verwandelt die Künstlerin den White Cube, der üblicherweise die Aufmerksamkeit der Betrachter:innen einzig auf die Exponate lenken soll, in eine farbige Stoffkulisse für verschiedene Objekte, deren Inszenierung einem anderen Muster folgt. Statt sie in den Fokus zu rücken, widmet sich von Brandenburg ihrem Verschwinden, den Spuren, die sie hinterlassen. Im Video »The Objects« (2009) verliert die Kamera die titelgebenden Gegenstände immer wieder aus dem Blick. Rechteckige Silhouetten auf den Stoffen erinnern an Schatten längst abgehängter Gemälde, wie beiläufig stehen Aquarelle am Boden.

Im Zentrum des Schaffens von Camille Lebrer(*1953 in Kenzingen, lebt in Stuttgart) stehen plastische Konstruktionen, die mit eigenständigen Werkgruppen aus den Bereichen Malerei, Grafik und Fotografie korrespondieren. Charakteristisch für seine Arbeiten ist das Zusammenspiel der verwendeten Materialien: Schweres Industrieeisen trifft auf fragiles Glas, transparente Lacke auf opake Farben. Die pure Eisenfläche wirkt roh und abweisend, gestische Spuren einer Schleifmaschine verleihen ihr jedoch eine sinnliche Wirkung.

fotografie Frank-Kleinbach
Camill Leberer Glashaut, 2019–2020 Eisen, Glas, Farbe, Neon, Kabel, 210 x 120 x 120 cm
Foto: Frank Kleinbach Courtesy Galerie Schlichtenmaier © VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Das Konstruktionsprinzip der Großplastiken wie »Lichtung« (2009) oder »Nachbild – Lichtfaden« (2021) greift zentrale Stichworte des raumplastischen Diskurses auf: Volumen, Leere und Grenze. Die Werke erinnern an moderne Architekturen aus Stahl und Glas, die eine enge Verbindung zur konstruktiven Plastik aufweisen. In die Struktur des Ausstellungsraumes eingebunden, konfrontieren sie die Betrachter:innen mit ihrer Präsenz; der Raum wird zum Ereignisraum, in dem sich Werk und Besucher:innen begegnen.

Das Motiv der Grenze zwischen Innen und Außen wird immer wieder am materialen Bestand dekliniert. Bei »Glashaut 2« (2022) bricht sich einfallendes Licht im farbigen Glas und verströmt sich im Innenraum. Gleichzeitig dringt künstliches Licht aus dem Inneren nach außen. Dieser gewissermaßen osmotische Austausch lässt an Funktionsweisen der menschlichen Haut denken. In »Haut – Körper« (2021) wiederum greift der Künstle das Thema des Berührens auf: Die grafischen Blätter zeigen Fruchtstände und Pflanzen, die Hautirritationen auslösen.

Die Fotografien von Leberer zeigen szenische Arrangements aus farbigen Gläsern, Pflanzen und Metallteilen sowie Detailaufnahmen realisierter Objekte, wobei die Kamera den Blick von
außen nach innen richtet. Bei der mehrteiligen, dreidimensionalen Wandarbeit »Ambivalenter Raum – aufsteigend« (2022) findet ein Perspektivwechsel statt: Das optische Raster aus bemalten Gläsern über einer Edelstahlfläche imaginiert den Blick aus einer nur gedachten Raumplastik heraus.

Ülkü Süngün (*1970 in Istanbul, lebt in Stuttgart) arbeitet projekt- und prozessorientiert in unterschiedlichen Medien wie Performance, Installation und Fotografie. Mit der Gründung des »Instituts für künstlerische Migrationsforschung« 2017 macht sie ihre sozial- und gesellschaftskritischen Untersuchungen zu Migration und Identität sichtbar, wie z.B. in der Videoinstallation »Gemeingut Jungbusch«, die 2020 im migrantisch geprägten Mannheimer Stadtteil Jungbusch zur Rolle der Kultureinrichtungen im Quartier entstand. In partizipativen Performances wie »Takdir« (seit 2018), in der Süngün mit Besucher:innen die korrekte Aussprache der Namen der NSU Mordopfer einübt, schafft sie temporäre Denkmäler, die zur Reflexion über Erinnerungskultur im öffentlichen Raum einladen.

DEEDS NEWS - Kunstmuseum Stuttgart - Kunstpreis - sungun lacrimarium europae
Ülkü Süngün Lacrimarium Europae, 2015, aus der Werkgruppe »Anlatsam Roman Olur / Die besten Romane schreibt das Leben«, 2014 2016 Regale, Steinreliefs, Zweige, Glasflakons, Dokumente, Briefe, Fotokopien, Farbfotografie Ausstellungsansicht Villa Merkel, Bahnwärterhaus, Galerien der Stadt Esslingen am Neckar Foto: Ülkü Süngün © VG Bild-Kunst, Bonn 2022

»Lauter Steine« und »Lacrimarium Europae« sind Teile der Werkgruppe »Anlatsam Roman Olur / Die besten Romane schreibt das Leben« (2014–2016), die von den Lebensumständen und Ängsten geflüchteter Menschen in Deutschland erzählt. Der inszenierte Fotoroman »Lauter Steine« beschreibt den Alltag des georgischen Steinmetzes Sergio Pipa und seiner schwer kranken Frau Marina Tsertsvadze, die in einer Asylunterkunft leben. Weitere Recherchen der Künstlerin zum Thema Asyl fließen in die Installation »Lacrimarium Europae« ein: Objekte, Bilder und Dokumente verweisen auf Handlungsstrategien von Migrant:innen, die eine drohende Abschiebung abwenden bzw. positiv auf ein offenes Asylverfahren Einfluss nehmen sollen.

In der Fotoserie der »Transitional Objects« (2011–2012) geht Süngün aus ihrer persönlichen Perspektive der Frage nach, was kulturelle Identität und Heimat ausmacht. In türkischen Geschäften in Stuttgart findet sie Gegenstände des täglichen Gebrauchs und macht sie zum Material ihrer plastischen Arrangements, die nur als Fotografie überdauern. Diese berichten von in Deutschland gelebter türkischer Kultur und mögen vielen fremd sein, weil sie mit den Objekten und ihrer ursprünglichen Funktion wenig vertraut sind.

2013 wurde der Kunstpreis »Kubus« erstmals vergeben. Die damals Nominierten waren Alexander Roob, Katrin Mayer und Thomas Locher. Preisträger wurde der langjährige Professor an der Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart, der Chronist und Zeichner Alexander Roob. 2015 wurde anlässlich des 10-jährigen Museumsjubiläums ein Thema für die Ausstellung definiert: Kunst und Musik. Ausgewählt wurden Nevin Aladağ, das Performance-Duo Discoteca Flaming Star und der Pionier interaktiver Musikinstallationen, der Freiburger Peter Vogel. Mit der Verleihung des Preises an Peter Vogel konnte der Künstler hierzulande einem breiten Publikum bekannt gemacht werden. Die Ausstellung 2017 stand im Zeichen der »Erweiterten Malerei«, die sich in den Werken von Corinne Wasmuht, Myriam Holme und Leni Hoffmann facettenreich spiegelte. Myriam Holme konnte die Jury mit ihren raumgreifenden, zwischen Malerei und Plastik changierenden Werken überzeugen. 2019 widmete sich der »Kubus« dem Medium Fotografie. Nominiert waren Sinje Dillenkofer, Peter Granser, Annette Kelm und Armin Linke, wobei letzterer den Preis erhielt.

WANN?

Ausstellungsdaten: 24 September 2022 – 8. Januar 2023

WO?

Kleiner Schlossplatz 13
70173 Stuttgart

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