Die Ausstellung präsentiert bisher unbekannte Portraits, die Alfred Ehrhardt (1901-1984) auf seinen Fotoreisen parallel zu den Landschaftsaufnahmen machte und nun erstmals gezeigt werden. Den historischen Bildern werden Fotografien von Ellen Auerbach (1906-2004), Orri Jónsson (*1970), Aino Kannisto (*1973), Anne Lass (*1978) und Christa Mayer (*1945) gegenübergestellt. So unterschiedlich der Ausgangspunkt der Fotograf*innen auch sein mag, in ihren Bildern zeigt sich, wie die Intimität des Portraits auf die fotografische Wahrnehmung der Landschaft übergreift. Und umgekehrt, wie die Beschaffenheit einer Landschaft mit all ihren Unwägbarkeiten und Reizen den Menschen darin bestimmt und formt. Kurz: Wie das Außen im Innen und das Innen im Außen zur Erscheinung kommt.
Abb. oben: Aino Kannisto Nixies Children, 2015 Chromoluxe Aluminium-Print, 76 x 100 cm © Aino Kannisto, Courtesy Galerie m, Bochum
Das Bild einer Landschaft ist, so fasst es Alfred Ehrhardt zusammen, „mehr als eine Summe von geografischen Einzelerscheinungen, sie ist ein lebendiges Wesen.“ Alfred Ehrhardt, der für seine brillanten Naturaufnahmen bekannt ist, hegte ein besonderes Interesse an den Bewohner*innen einer Landschaft und ihren Lebensbedingungen. Während seiner Reisen in den 1930er bis 1950er-Jahren nach Norddeutschland, Italien, Portugal und die USA entstanden beeindruckende Bilder von Menschen in ihrer vertrauten Umgebung, die in der Ausstellung zu sehen sein werden. Ehrhardt gelingt es, die spezifische emotionale Bindung von Mensch und Raum einzufangen und Vertrautheit, Sicherheit und Geborgenheit abzubilden.
Ein Gefühl von zuhause verbindet auch Ellen Auerbach mit den Menschen, die sie umgeben. Nach ihrer Emigration in die USA nach 1933 entstanden beeindruckende Aufnahmen von Persönlichkeiten ihres Bekanntenkreises. Mit der Tänzerin Renate Schottelius, deren Sprung über den Dächern Manhattans sie 1954 festhielt, teilte sie beispielsweise ein Appartement, und die vier „Porter-Kinder“ am Meer fotografierte sie während eines gemeinsamen Urlaubs mit Freund*innen. In ihren Bildern gelingt es ihr, einzigartige, intime Momente einzufangen, in welchen man der Interaktion von Raum und Mensch gewahr wird.
Die gebürtige Deutsch-Dänin Anne Lass studierte an der renommierten Folkwang Hochschule der Künste und wurde 2009 mit dem C/O Berlin Talent Award ausgezeichnet. In ihrer jüngsten Serie „Low Season“, die während des ersten Corona-Winters entstand, beobachtete Lass, wie der Mensch und seine unmittelbare Umgebung interagieren. Die Inselbewohner*innen, Freund*innen und Nachbar*innen der Fotografin haben sich in ihre Stuben zurückgezogen. Versunken in ihre eigene Innerlichkeit scheinen sie der Zeit seltsam entrückt. Trotz der Privatheit der Bilder werden wir eingeladen, Teil ihrer Gedanken zu werden.
In den Arbeiten von Aino Kannisto, einer Fotografin der Helsinki School, stehen Kinder im Mittelpunkt, die sie während eines Sommers am See in der Wildnis der nordischen Wälder fotografierte – ein Sehnsuchtsort vieler Kindheitserinnerungen, der faszinierend und unheimlich zugleich ist. Das kindliche Sein, seine Anmut und Unmittelbarkeit, bilden den Ausgangspunkt der Fotoserie. Trotz ihres direkten Blickes zur Fotografin und damit zur Kamera bleiben die Taten der Kinder rätselhaft. Das Geheimnisvolle und die innere Schönheit der Kinder offenbaren sich in den großformatigen Bildern.
Die Unschuld der Kinder gegenüber der Welt ist auch in den Arbeiten des isländischen Musikers und Fotografen Orri zu spüren. Von frühesten Kindheitstagen bis ins Teenageralter hält er das Aufwachsen seiner vier Kinder fest. Mit einer unaufdringlichen Intimität und einem feinfühligen Sinn für Details gibt er einen sehr berührenden Einblick in seine Familiengeschichte. Die Innerlichkeit seiner Portraits korrespondiert mit Außenaufnahmen von Orten, an denen die Familie zu Hause ist.
Die Berliner Fotografin Christa Mayer, die zunächst als Psychologin arbeitete, später an der legendären Kreuzberger Werkstatt für Fotografie lernte und kürzlich von der Berlinischen Galerie ausgezeichnet wurde, begegnet in ihren frühen Portraits Patient*innen aus der geschlossenen Langzeitpsychiatrie mit Vertrautheit und Sensibilität. Mayer gelingen im Spannungsfeld von Portrait und Landschaft Fotografien von großer Anmut und Präsenz: Da ist der dunkle Wald, in den ihre Schwester, eine Nonne, hineingeht; da sind die verkleideten Kinder in den Ruinen vor einer mexikanischen Wüstenlandschaft; eine Mutter, madonnengleich mit ihrem Kind.
Eine Gruppenausstellung mit Ellen Auerbach, Alfred Ehrhardt, Orri Jónsson, Aino Kannisto, Anne Lass und Christa Mayer. Kuratiert von Dr. Marie Christine Jádi
WO?
Alfred Ehrhardt Stiftung
Auguststraße 75
10117 Berlin
WANN?
Eröffnung:
Freitag, 14. Juli 2023, 19-21 Uhr
Veranstaltungszeitraum:
Samstag, 15. Juli – Sonntag, 10. September 2023