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Neue Nationalgalerie: Judit Reigl. Kraftfelder | 30.06.-08.10.2023 | verlängert bis 26.11.2023

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Neue Nationalgalerie zeigt seit 30. Juni 2023 die Ausstellung Kraftfelder der Künstlerin Judit Reigl. Anlässlich des hundertsten Geburtstags der Künstlerin und der Schenkung von drei Hauptwerken von Judit Reigl zeigt die Neue Nationalgalerie die erste museale Einzelausstellung der ungarisch-französischen Künstlerin in Deutschland. Mit der Schenkung besitzt die Nationalgalerie als erste öffentliche Sammlung in Deutschland Werke der bedeutenden Malerin, die in den 1950er Jahren eng mit dem französischen Informel verbunden war.

Abb. oben: Judit Reigl in ihrem Atelier in Marcoussis, 1964 © Fonds de Dotation Judit Reigl

Mit diesem Überblick über Reigls Oeuvre widmet sich die Neue Nationalgalerie einer der wichtigsten europäischen Maler*innen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Zu sehen sind sechzehn, meist großformatige Gemälde aus dem zugleich abstrakten und figurativen Werk Reigls (1923 – 2020). Die gebürtige Ungarin studierte zunächst an der Akademie der Künste in Budapest. 1950 floh sie aufgrund des zunehmenden Stalinismus aus ihrem Heimatland und ließ sich in Paris nieder. Waren ihre frühen, meist geheimnisvollen Gemälde noch dem Surrealismus verpflichtet, wendete sie sich Mitte der 1950er-Jahre verstärkt der Abstraktion zu. Immer wieder finden sich in ihren Bildern auch figurative Elemente, die Mitte der 1960er-Jahre in den Torsi der „Mensch“-Serie mündeten. Neben den Gemälden „Kraftfeld“ (1959), „Massenschrift“ (1960) und dem großformatigen Triptychon „Mensch“ (1967-1969), die der Nationalgalerie als großzügige Schenkung des Fonds de dotation Judit Reigl übergeben werden, zeigt die Ausstellung zentrale Werke aus den 1950er- bis 1980er-Jahren, die einen umfassenden Einblick in die vielschichtigen Schaffensphasen der Künstlerin ermöglichen.

Anhand der ausgestellten Gemälde können die Besucher*innen Reigls Werk ausgehend von Surrealismus hin zu einer sowohl abstrakten als auch figurativen gestischen Malerei verfolgen. So weist das Gemälde „Unvergleichliches Vergnügen (Volupté incomparable)“ (1952/53) neben klassischen surrealen, collageartigen Motiven auch abstrahierende Elemente auf, die in Reigls folgenden Gemälden immer mehr in den Vordergrund traten. Dabei wurde Reigl zum Bindeglied zweier abstrakter Strömungen dieser Zeit, dem Abstrakten Expressionismus der New York School um Jackson Pollock und Willem de Kooning und der Pariser Schule, die durch Wols und Georges Mathieu geprägt wurde. Deren Arbeiten wurden später unter den Begriffen Lyrische Abstraktion, Tachismus oder Informel zusammengefasst.

DEEDS NEWS - Courtesy of Neue Nationalgalerie - Judit Reigl Mass writing 1960, Ol auf Leinwand, 230 x 205 cm
Judit Reigl: Mass writing, 1960, Öl auf Leinwand, 230 x 205 cm Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie, geplante Schenkung Fonds de Dotation Judit Reigl / Fonds de dotation Judit Reigl, promised gift Neue Nationalgalerie, Berlin Fonds de Dotation Judit Reigl

Seit Ende der 1940er-Jahre arbeitete Reigl in Serien. Zeitlebens gehörten dabei der Zufall sowie der impulsive Vorgang beim Malprozess zu ihren Grundprinzipien. Deutlich wurde dies erstmals in ihren Serien „Ausbruch“ und „Kraftfeld“, die ab Mitte bis Ende der 1950er Jahre entstanden. Reigl trug die leuchtenden, gesättigten Farben oft mit ihren bloßen Händen in verschiedenen Schichten auf die Leinwand auf. Bereits seit 1951 benutzte Reigl keine normalen Pinsel mehr. Nach dem Farbauftrag bearbeitete sie die Oberfläche mit einer Rasierklinge, einer Klinge oder einer gebogenen Gardinenstange.

Der Faktor Zeit spielt in ihren „Guano“-Bildern (1958-65) eine maßgebliche Rolle, in denen sie alte, bespritzte Leinwände überarbeitet. Zur gleichen Zeit entstehen ihre „Massenschriften“ (1959-65), spontane Formzusammenstellungen, aus denen sich nach und nach figurative Elemente entwickeln. Diese münden schließlich in der Serie „Mensch“ (1966-1972). Für Reigl waren ihre „Menschen“ universelle Geschöpfe, weder Mann noch Frau, möglicherweise beides zugleich – sie selbst hat eine dichotome Auffassung der Geschlechter nie akzeptiert. Danach kehrt Reigl mit ihren großformatigen „Entfaltungen“ (1973-1985) zur Abstraktion zurück. Trotzdem bleibt die menschliche Figur in ihrem Werk bis zum Ende präsent.

In ihrem künstlerischen Schaffen ignorierte Reigl den vermeintlichen Gegensatz zwischen Abstraktion und Figuration, sie gehörte keiner künstlerischen Vereinigung an. Zeitlebens erforschte sie neue Maltechniken und erneuert immer wieder ihre künstlerische Herangehensweise. Ihre Arbeiten entwickeln sich von explosiven, gestischen Farbaufträgen hin zu performativen, tänzerisch-malerischen Vorgängen. Der auf Gefühl und Spontaneität beruhende körperliche Malvorgang ist für sie dabei ebenso bedeutend wie der technische Aspekt, angefangen von der Wahl der Leinwand bis zur Herstellung ihrer eigenen Malwerkzeuge. Darin liegt der Wert ihres Beitrags zur Kunst der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Zur Ausstellung erscheint ein Katalog im DCV Verlag (Deutsch/Englisch, 88 Seiten, Museumsausgabe 19 Euro; Buchhandelsausgabe 28 Euro). Es ist die erste Publikation über die Künstlerin in deutscher Sprache.

Kuratiert von Maike Steinkamp, wissenschaftliche Mitarbeiterin Neue Nationalgalerie.

WO?

Neue Nationalgalerie
am Kulturforum
Potsdamer Straße 50
10785 Berlin-Tiergarten

WANN?

Eröffnung: Donnerstag, 29. Juni 2023, 19 Uhr

Ausstellungstermine: Freitag, 30. Juni – Sonntag, 8. Oktober 2023
ACHTUNG: verlängert bis 26. November 2023

Di – Mi 10 – 18 Uhr, Do 10 – 20 Uhr, Fr – So 10 – 18 Uhr

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