Sung Tieu (*1987, Hải Dương, Vietnam) ist eine in Berlin lebende deutsch-vietnamesische Künstlerin. Sie studierte an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg und am Goldsmiths College in London, wo sie im Anschluss ein Postgraduiertenprogramm an der Royal Academy of Arts absolvierte. Ihr künstlerisches Schaffen wurde vielfach gewürdigt, darunter mit dem ars viva-Preis 2021, dem Frieze Artist Award 2021 und dem Publikumspreis des Preises der Nationalgalerie 2021. 2024 erhält sie den 9. Rubensförderpreis der Stadt Siegen. Ihre Arbeiten wurden weltweit in renommierten Institutionen ausgestellt, darunter im Monash University Museum of Art (MUMA), Melbourne, AU; Oakville Galleries, CA (beide 2024); Kunst Museum Winterthur, CH; MIT List Visual Arts Center, Cambridge, US; Amant, New York, US; Neuer Berliner Kunstverein (n.b.k.) (alle 2023); Musée d’Art Moderne Grand-Duc Jean (MUDAM), LU (2022); Galerie für Zeitgenössische Kunst, Leipzig (2021); Nottingham Contemporary, UK; und Haus der Kunst, München (2020). Ihre Arbeiten sind momentan auf der 14. Shanghai Biennale (2023) zu sehen und wurden auf der 34. Bienal de São Paulo (2021) sowie der Kyiv Biennial (2021) präsentiert.
Abb oben: Sung Tieu, Foto: Adam Berry, Courtesy Schering Stiftung
Die Jury begründet ihre Wahl aus insgesamt 11 nominierten Künstler*innen wie folgt:
„Sung Tieus künstlerische Praxis umfasst Skulptur, Zeichnung, Sound, Video und Installation. Bezugnehmend auf die Bildsprache des Minimalismus erforscht Tieu wenig beachtete soziopolitische Geschichten und Narrative, häufig in Zusammenhang mit dem Kalten Krieg. Ein wichtiger Aspekt ihrer Arbeit ist die Auseinandersetzung mit Polizei-, Militär- und staatlichen Verwaltungsapparaten, die in der Regel zur Kontrolle, Konditionierung und Steuerung menschlichen Verhaltens entwickelt wurden. Indem die Künstlerin Design und Architektur aus dem öffentlichen Raum und Verwaltungseinrichtungen als Referenz heranzieht, nutzt sie sowohl visuelle als auch akustische Elemente, um deutlich zu machen, wie Macht über Individuen ausgeübt wird.
In den letzten Jahren hat Tieu ein beeindruckendes Werk geschaffen, in dem sie eine Reihe von Themen in den Blick genommen hat, die bislang wenig beachtet wurden, darunter z.B. die psychologischen Auswirkungen von Klängen in der Kriegsführung, die Verschleierung von Risiken in Zusammenhang mit hydraulischem Fracking in den USA und ein 1980 geschlossenes Abkommen zur Anwerbung von Vertragsarbeiter*innen zwischen der DDR und der Sozialistischen Republik Vietnam.
Ihre sorgfältige und vielschichtige Forschung zu letzterem Thema mündete in mehreren Projekten, die die Komplexität und die blinden Flecken der jüngsten deutschen Vergangenheit sowie die langanhaltenden, oft über Generationen hinweg andauernden Konsequenzen für Individuen, Familien und Gemeinschaften beleuchten. Durch Tieus sensible Annäherung an Ereignisse, die eng mit ihrer eigenen Familiengeschichte verwoben sind, setzt sie die individuelle Perspektive in Beziehung zu einem weitgehend unerforschten Kapitel der deutschen Geschichte.

In diesen gesellschaftspolitisch herausfordernden Zeiten erachten wir es als besonders wichtig, eine künstlerische Position zu ehren, die sich kritisch mit der komplexen Geschichte Deutschlands auseinandersetzt. Indem wir Sung Tieu mit dem Preis für künstlerische Forschung der Schering Stiftung 2024 auszeichnen, möchten wir ihre künstlerischen Bestrebungen würdigen, übersehene Narrative zu reflektieren, ihr die Möglichkeit geben, ihr Werk in einer umfassenden Überblicksausstellung zu präsentieren und zukünftige Forschung fördern, indem wir neue Arbeiten und eine Publikation in Auftrag geben.”
Die Jury bestand aus Defne Ayas (Kuratorin, Berlin), Emma Enderby (designierte Direktorin, KW Institute for Contemporary Art, Berlin), Charlotte Klonk (Professorin für Kunst und Neue Medien, Humboldt-Universität zu Berlin; Mitglied des Stiftungsrats der Schering Stiftung, Berlin), Jenny Schlenzka (Direktorin, Gropius Bau, Berlin) und Helena Uambembe (Künstlerin, DAAD Artists-in-Berlin Program Fellow 2023, Berlin).
Die folgenden Expert*innen wurden aufgefordert, Künstler*innen zu nominieren:
Fernanda Brenner (Künstlerische Leiterin, Pivô, São Paulo, BR), Angela Bulloch, Simon Denny, Willem de Roij (Gründer*innen, Berlin Program for Artists, Berlin), Micheal Do (Kurator für zeitgenössische Kunst, Sydney Opera House, AU), Elvira Dyangani Ose (Direktorin, Museu d’Art Contemporani de Barcelona – MACBA, ES), Emma Enderby (designierte Direktorin, KW Institute for Contemporary Art, Berlin), Amira Gad (Kuratorin, Rotterdam, NL), Ruba Katrib (Kuratorin & Direktorin für Kuratorische Angelegenheiten, MoMA PS1, New York, US), Helena Kritis (Chefkuratorin, Wiels, Brüssel, BE), Serge Klymko (Geschäftsführer, Kyiv Biennial, UA), Rebecca Lamarche-Vadel (Direktorin, Lafayette Anticipations, Paris, FR), Kabelo Malatsie (ehemalige Direktorin, Kunsthalle Bern, CH), Lucia Pietroiusti (Head of Ecology, Serpentine Galleries, London, UK), Xue Tan (Senior Curator, Tai Kwun Contemporary 大館當代美術館, Hongkong, HK).
Von insgesamt 15 nominierten Künstler*innen haben vier Kandidat*innen keine Unterlagen eingereicht. Zwei Künstler*innen begründeten diese Entscheidung mit einer zum Zeitpunkt der Anfrage bereits sehr hohen Arbeitsbelastung. Zwei Künstler*innen haben entschieden, staatlich finanzierte, deutsche Kultureinrichtungen zu bestreiken und somit auf ihre Nominierung verzichtet. Wir hoffen auf eine erneute Zusammenarbeit mit ihnen bei zukünftigen Projekten.

Der Preis für künstlerische Forschung der Schering Stiftung:
Der Preis für künstlerische Forschung ist aus dem Kunstpreis der Schering Stiftung hervorgegangen, der von 2005 bis 2018 alle zwei Jahre an eine*n internationale*n Künstler*in verliehen wurde. Bisherige Preisträger*innen waren Cornelia Renz (2005), Nairy Baghramian (2007), Renata Lucas (2009), Wael Shawky (2011), Kate Cooper (2014), Hiwa K (2016) und Anna Daučíková (2018).
Im Jahr 2019 wurde der Preis in Zusammenarbeit mit der Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt neu konzipiert, die 2020 ein europaweit beachtetes Förderprogramm für künstlerische Forschung lanciert hat. Als gemeinsame Initiative staatlicher und privater Förderung soll der Preis Pionier*innen im Bereich der forschenden Kunst würdigen.
Der erste Preis für künstlerische Forschung wurde 2020 an Rabih Mroué verliehen; der zweite 2022 an Kameelah Janan Rasheed vergeben. Der Preis zeichnet internationale Künstler*innen aus, die mit ästhetischen Mitteln eigenständige Formen der Wissensbildung entwickeln. Die Auszeichnung dient weiterhin dem Ziel, das öffentliche Interesse an künstlerischer Forschung zu wecken und beispielhaft zu demonstrieren, auf welche Weise Kunst einen Beitrag zum Wissen in der Gesellschaft leistet.
2024 wird die Auszeichnung bereits zum achten Mal in Kooperation mit den KW Institute for Contemporary Art vergeben. Der mit 15.000 Euro dotierte Preis umfasst eine Einzelausstellung, die von Léon Kruijswijk, Kurator an den KW, erarbeitet und im Frühling 2025 eröffnet wird. Im Rahmen der Ausstellung wird die Künstlerin ein neues Werk schaffen. Zudem erscheint eine ausstellungsbegleitende Publikation.