EIGEN + ART Lab zeigt seit 4. Juli 2024 die Ausstellung “wind swept paint” mit Werken der Künstlerin Gabrielle Kruger in Berlin. Schicht für Schicht wird der Betrachter in die Tiefen von Gabrielle Krügers Auseinandersetzung mit der Farbe hineingezogen, die für ihren künstlerischen Prozess von zentraler Bedeutung ist. In einem von der Künstlerin selbst entwickelten Verfahren erhält die Farbe ihre eigene Viskosität. In feuchtem Zustand erinnert sie an Klebstoff, kann als Bindung wirken und Verbindungen schaffen. Die Farbe fungiert als Material für Collagen, als Klebstoff oder Garn, wird geschnitten, geklebt, gewebt, geflochten, zerlegt und wieder zusammengesetzt.
Kruger beginnt den Malprozess nicht auf einer Leinwand, sondern auf einer Plastikfolie, auf der die Farbkompositionen in dicken Schichten getrocknet werden. Diese Flächen werden dann abgezogen und auf die noch feuchte Leinwand collagiert oder als skulpturales Gebilde verwendet. Verschiedene Kompositionen werden in dieser unkonventionellen Maltechnik grundiert und geschichtet; so entstehen Ranken- und Blattstrukturen, Verzweigungen und Anordnungen von Blättern, die manchmal über die Leinwand hinausragen und vollständig abtropfen. Andere Arbeiten zeigen eher geometrische Anordnungen, Schlieren und gespachtelte Farbmassen. In einer anderen Serie wird die Farbe in Garne extrudiert und zu imposanten Farbtextilien verwoben, die gleichzeitig die typisch weibliche Tradition der Textilkunst ehren und unterlaufen.
In ähnlicher Weise wird die Tradition der Landschaftsmalerei in den Prozessen des Schichtens und Entschichtens dekonstruiert. Hier trifft die Vegetation der Formen auf die technischen Methoden und die Plastizität von Acryl, hier trifft die Natur auf das Künstliche. Sowohl der Prozess des Malens als auch die Körperlichkeit der Farbe sind in ständiger Bewegung. Es gibt einen Atelierdialog der Bewegung, des Übergangs und der Veränderung, des Wachsens und des Werdens, der den sanften Wechsel der Jahreszeiten oder den abrupten Wandel, mit dem wir gegenwärtig konfrontiert sind, würdigt. Die Dominanz der Textur und die Materialität der Farbe sind allgegenwärtig, doch gleichzeitig trägt die flüchtige Schicht der Weichheit den bewegenden und flüchtigen Eindruck der Landschaft.
Der Prozess bestimmt das Werk und ist selbst eine Performance, ein künstlerischer Akt. Sie gewinnt die Kontrolle über das Medium und gibt sie gleichzeitig wieder ab, lässt Zufälle und Möglichkeiten zu. Der kunstgeschichtliche Begriff der Malerei wird auf eine performative Ebene gehoben. Die herkömmlichen Grenzen zwischen den Gattungen verschwimmen, sie kann Malerei, Skulptur und Performance zugleich sein, ohne einen Widerspruch zu bilden.
Die Spannung zwischen Material und Gezeigtem verhandelt intuitiv die zeitgenössische Beziehung zwischen Mensch und Umwelt. Im Zeitalter des Anthropozäns wird die Natur durch menschliche Aktivitäten bestimmt, die Umwelt wird zunehmend plastisch und die Landschaft ist eher ein soziales und materielles Konstrukt. Die Formbarkeit von Acryl in seiner Plastizität spiegelt diese Beziehung wider und stellt gleichzeitig das traditionelle Verständnis von Natur und Malerei in Frage. Im Atelierprozess wird kein Tropfen Farbe verschwendet – alles wird wiederverwendet und neu eingesetzt, Farbreste leben in neuen Gemälden oder Skulpturen weiter und schaffen einen übergreifenden Dialog. Die Gemälde laden so zum Nachdenken über die menschliche Interaktion mit der Umwelt und unsere Verantwortung für gesellschaftliches Handeln ein. Sie werfen Fragen auf, ohne eine bestimmte Interpretation aufzudrängen. Sie hängen in der Luft, im Licht, wie der Wind, der durch die Blätter streicht.
WANN?
Ausstellung: 04.07.-24.08.2024
Vernissage: 04.07.2024, 17 bis 21 Uhr
WO?
EIGEN + ART Lab
Torstraße 220
10115 Berlin