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Dienstag, September 10, 2024

Berlin Art Week 2024: Der heimische Waldboden. Höhere Wesen befahlen: Polke zeigen! – Schinkel Pavillon | 12.09.2024-02.02.2025

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In seinen geschichtsträchtigen Räumen zeigt der Schinkel Pavillon ab September 2024 eine groß angelegte Ausstellung von Sigmar Polke (1941-2010) mit mehr als vierzig internationalen Leihgaben. Polke gilt als einer der herausragenden Künstler*innen des 20. Jahrhunderts in Deutschland und darüber hinaus. Als Vorreiter für Künstler*innen jüngerer Generationen möchte die Ausstellung sein künstlerisches Schaffen einem breiten und jungen Publikum wieder zugänglich machen, denn das Werk Polkes war in Berlin lange nicht mehr öffentlich gewürdigt.

Abb. oben: Bild: Sigmar Polke, Ohne Titel (Dr. Bonn), 1978, Groninger Museum, Groningen. Foto: Marten de Leeuw; © The Estate of Sigmar Polke, Cologne / VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Die Ausstellung vereint Malerei, Fotografie sowie Filme und Grafiken aus den 1960er bis in die 2000er Jahre und verdeutlicht die künstlerische Vielschichtigkeit des Künstlers, die geprägt ist von scharfsinnigen Beobachtungen und gewichtigen Setzungen von Ironie und Experimentierfreude. Die ausgewählten Werke legen dabei auch ein Augenmerk auf das Politische innerhalb Polkes Werk, der nicht nur ein präziser Analyst seiner Gegenwart war, sondern auch als kritischer Kommentator seiner Zeit voraus.

Polke interessierte sich bereits früh für vorgefundene Bilder und ihre Wirkkraft in der Öffentlichkeit, ihre Zirkulation und Lesbarkeit. Am Anfang seiner künstlerischen Laufbahn proklamierte Polke 1963 noch als Kunststudent gemeinsam mit Manfred Kuttner, Konrad Lueg und Gerhard Richter die künstlerische Strömung des Kapitalistischen Realismus, der als German Pop bekannt wurde – eine Antwort auf die damalige DDR-Kunst. Die wachsende Wirtschaft in Westdeutschland sowie die damit einhergehende bürgerliche Nachkriegsidylle schufen neue, von Konsum geprägte Bildwelten in Werbung und Magazinen, die Polke in seine Arbeiten spielerisch und weitsichtig einbezog. Seine Bildquellen verankerte er in der Realität der Printmedien, auch dann, als er „alchemistisch“ den Malprozess in neue Bahnen lenkte, um weit hinter die Moderne auf die Geschichte (der Erde und der Menschen) zu blicken.

Sigmar Polke, der im schlesischen Oels, heute Oleśnica geboren wurde, gehört zu jenen Künstler*innen der 1960er Jahre, die sich mit dem kollektiven Trauma der Nachkriegsgeneration auseinandersetzten. Polke begegnete der politischen Krisenhaftigkeit seiner Zeit mit einer genuin malerischen, gleichwohl sehr analytischen Annäherung an die Realität. Das vermeintlich Historische erweist sich mit Blick auf gegenwärtig zunehmende Konflikte, Krisen sowie deren mediale Repräsentation bei Polke auch vierzehn Jahre nach seinem Tod als hochaktuell.

Es sind Werke, die scheinbar leicht und als Witze getarnt daherkommen und erst auf den zweiten Blick ihre kritische Lesart offenbaren. In Dr. Bonn, 1978, sitzt ein Beamter mit ausgelöschtem Gesicht vor seinem Pult im Begriff, mit einer Steinschleuder Suizid zu begehen. An der Wand vor ihm hängen die markanten Fahndungs fotos von zwei RAF-Mitgliedern. Sicherheitsverwahrung, 1979, hält, im Stil eines Comics, die Verhaftung einer Frau fest. Wer sich dem Bildträger nähert, erkennt, dass er mit feinen Goldkettchen, Sicherheitsnadeln und Tand behängt ist.

Der Titel der Ausstellung Der heimische Waldboden ist sowohl bildhaft als auch real zu verstehen und verweist ironisch auf den Humus des Biografischen des Künstlers,= besonders auf die deutsche Nachkriegsgesellschaft. Polkes Biografie war von der Geschichte Ost- und Westdeutschland geprägt. Die Ausstellung geht dabei auch auf seine Verbundenheit zu Berlin und dessen Geschichten ein, die besonders in den filmischen Dokumenten nach vollziehbar werden. Im Zentrum der Ausstellung stehen neben bedeutsamen Malereien, wie Carl Andre in Delft 1968, Die Schmiede, 1975,Gangster, 1988, Flüchtende, 1992 oder das spätere Pigmentbild Lapislazuli, 1992, auch ein noch nie ausgestelltes Konvolut von Fotografien aus den 1960/70er Jahren – die Mehrheit davon mit Unikatcharakter. In ihnen zeigt sich die Aufbruchsenergie der damaligen Jugendbewegung, welche in der Folge unsere Gesellschaft und Lebensweisen stark verändert hat. Mit der Kamera und in der Dunkelkammer entstanden, verbleiben sie als berührende Zeugnisse eines sich mit großer Sensibilität den Wirren und Glücksmomenten aussetzenden Zeitgenossen. Geistige Beweglichkeit und künstlerisch-materielles Forschen sind charakteristisch für Polke. Sein Gesamtwerk zeugt dabei von einer unnachahmlichen persönlichen wie künstlerischen Freiheitsliebe, ohne je den Glauben an die hohe kommunikative Kraft der Kunst zu verleugnen.

Die Ausstellung wird von 1. März bis 19. Oktober in der Fondation Vincent van Gogh Arles zu sehen sein.

Mannschaft:
Kuratorin: Bice Curiger
Künstlerische Leitung: Nina Pohl
Projektleitung: Lina Louisa Krämer
Kuratorische Mitarbeit: Klara Hülskamp (bis Feb 2023), Dr. Luisa Seipp (bis Dez 2023), Christina Maria Ruederer (ab Jan 2024), Margaux Bonopera (Fondation Vincent van Gogh Arles, ab Juli 2024)
Beratung: Michael Trier
Praktikantinnen: Anaïs Nyfeller, Marie Hütter

WANN?

Eröffnung: 11. September 2024, 18 Uhr im Rahmen der Berlin Art Week 

Ausstellungsdaten: Donnerstag, 12. September 2024 – Sonntag, 02. Februar 2025

Öffnungszeiten: Donnerstag – Freitag, 14 – 19 Uhr, Samstag – Sonntag, 11 – 19 Uhr

Terrassengespräch mit Bice Curiger: 11. September 2024, 18.30 Uhr

WO?

Schinkel Pavillon
Oberwallstraße 32
10117 Berlin

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