Am 12. September 2024 wird in die Neue Gesellschaft für bildende Kunst die Gruppenausstellung Orangerie und Pflege eröffnet. Die Gruppenausstellung Orangerie der Fürsorge widmet sich der Topfpflanze als Ausgangspunkt für die Verbindung von ökologischen, feministischen und postkolonialen Fragen. Rund um eine ortsspezifische Rauminstallation zur Pflege und Vermehrung ausrangierter Zimmerpflanzen verhandeln 13 Arbeiten von zeitgenössischen Künstler*innen die Beziehung zwischen Mensch und Pflanze im urbanen Raum.
Abb.oben: Marlene Heidinger, Das Schicksal von Vösendorf, 2022. Courtesy of the artist
Zimmerpflanzen sind ebenso in die Kolonialgeschichte botanischer Gärten und die industrielle Zerstörung von Lebensräumen verstrickt wie in privatisierte Praktiken der Lebenserhaltung. Die Pflege von Gummibäumen, Monsteras und Yuccapalmen gehört zu vermeintlich unpolitischer Hausarbeit. Das Zusammenleben von Menschen mit Pflanzen zu überdenken heißt, die Fetischisierung und Exotisierung von Pflanzen sowie ihre Rolle für die Naturalisierung (post-)kolonialer Verhältnisse zu hinterfragen, und gleichzeitig die Bedeutung von regenerativen und sorgenden Tätigkeiten zur Erhaltung von Ökosystemen zu reflektieren.
Die Künstlergruppe PARA entwarf ein Gewächshaus für die Pflege und Vermehrung von ausrangierten Zimmerpflanzen. Die Arbeit erzählt von Häusern und Büros als von Pflanzen bewohnten Räumen, spekuliert über das virtuelle Überleben von Pflanzen und nutzt das Prinzip der Freundschaft für die Pflanzenvermehrung. Das nGbK-Team, das die Ausstellung entwickelt, besteht aus PARA-Mitgliedern. Das kuratorische Konzept von “Orangery of Care” basiert auf deren Rauminstallation: in der Gruppenausstellung verhandeln Video- und Rauminstallationen, Skulpturen, Gemälde und Textilarbeiten verschiedene Dimensionen der Beziehung zwischen Mensch und Pflanze. Sie zeigen die Spannungen zwischen Schutz und Kontrolle, die der Pflanzenzucht innewohnen, und hinterfragen ihr transformatives Potenzial.
Arbeiten von Anne Marie Maes & Margarita Maximova, Bethan Hughes, Marlene Heidinger, Hoda Tawakol und Sophie Utikal thematisieren die Grundlagen für Leben und Lebendigkeit, die Grenzen fürsorglicher Ressourcen und Konstruktionen von Natur und Weiblichkeit. Filme von Jesse McLean und Rob Crosse erforschen die unterschiedlichen Pflegebedürfnisse von Pflanzen, die mit Menschen und gegenseitigen Unterstützungssystemen zusammenleben, während Jana Kerima Stolzer und Lex Rütten die technische Herstellbarkeit künstlicher Natur innerhalb idealisierter Vorstellungen von Biohacking hinterfragen. Samir Laghouati-Rashwan und Julia Löffler spüren den Nachwirkungen des Kolonialismus nach, wenn der Mensch sich Pflanzen zunutze macht und aus ihnen Kapital schlägt; die Videoarbeit von Laure Prouvost hingegen stellt sich zärtlich in den Dienst der Lebewesen um sie herum. Die Arbeiten von Shirin Sabahi und Dunja Krcek thematisieren die Ambivalenz des Gartens zwischen Utopie und Dystopie und den Beziehungsraum zwischen Mensch und Pflanze, der entsteht, wenn beim Anblick von Blumen Schönheit erlebt wird.
Das begleitende Veranstaltungs- und Vermittlungsprogramm besteht aus verschiedenen Performances, Vorträgen und Raumaktivierungen und bezieht sich auch auf die pflanzliche Biodiversität der umgebenden Stadtlandschaft.
Ausstellung mit Arbeiten von: Rob Crosse, Marlene Heidinger, Bethan Hughes, Dunja Krcek, Samir Laghouati-Rashwan, Julia Löffler, Anne Marie Maes & Margarita Maximova, Jesse McLean, PARA, Laure Prouvost, Lex Rütten & Jana Kerima Stolzer, Shirin Sabahi, Hoda Tawakol, Sophie Utikal
Über die Arbeiten und Künstler_innen
Laure Prouvost
Taking Care (Love Letter to Fellow Art Work)
Was für ein Ökosystem bildet eine Ausstellung? Welche Praxen erhalten dieses am Leben? Welche Beziehungen führen Kunstwerke untereinander und was würde es bedeuten, unter Künstler*innen füreinander Sorge zu tragen? Laure Prouvosts Videoarbeit wirft diese Fragen auf, während sie sich liebkosend in den Dienst der sie umgebenden Organismen stellt – in einer Ausstellung sind dies in der Regel andere Kunstwerke, hier sind es tropische Zimmerpflanzen. Auf Schallwellen reagieren Pflanzen, Studien zufolge, mit vermehrtem Wachstum. Flüsternd verspricht die Künstlerin, immer für sie da zu sein, für die beste Umgebung und die richtige Temperatur zu sorgen, sie zu tragen, auch wenn niemand hinsieht. Sie spricht zu den Pflanzen, nicht zum Ausstellungspublikum. Dabei spielen ihre Hände eine zentrale Rolle: Sie unterstreichen die Berührung, die taktilen Eigenschaften des Sorgetragens und machen den relationalen Raum sichtbar, der sich zwischen der Stimme und dem umsorgten Lebewesen entfaltet.
Laure Prouvost wurde in Lille geboren, studierte Bildende Kunst in London und lebt aktuell in Brüssel. Sie ist bekannt für ihre immersiven Multimedia-Installationen und ihr humorvolles Spiel mit Sprache als Mittel der Vorstellungskraft. Sie hat ihre Arbeiten weltweit in zahlreichen Einzelausstellungen gezeigt u.a. im ACCA Melbourne, Remai Modern, Saskatoon, Kunsthalle Wien, Nasjonalmuseet, Oslo und Palais de Tokyo, Paris. 2019 repräsentierte sie Frankreich auf der 58. Biennale Arte in Venedig.
Julia Löffler
Exotic Plant Hunters
“Plantparents” oder “Plantfluencer” inszenieren sich in den sozialen Medien inmitten ihrer Sammlungen von Pflanzen, die Achtsamkeit und ein nachhaltiges Konsumverhalten signalisieren sollen. Dabei steht der “Urban Jungle” in einer kolonialen Tradition, die durch Ausbeutung und Verschiffung tropische Pflanzen in die luxuriösen Stadtwohnungen der Bourgeoisie des 19. Jahrhunderts brachte. Exotisierte Pflanzen wurden zu dieser Zeit zum Repräsentationsobjekt von Reichtum und Wohlstand. Anhand einer fotografischen Gegenüberstellung historischer und zeitgenössischer Pflanzensammler_innen, stellt Julia Löffler deren Ähnlichkeiten auf ästhetischer und narrativer Ebene heraus. Die im Laufe der, Zeit kaum veränderten visuellen Codes offenbaren das koloniale Erbe im Alltäglichen. Damals wie heute lässt sich aus Fensterblatt und Zimmerpalmen Kapital schlagen.
Julia Löffler recherchiert und visualisiert scheinbar Alltägliches und entwickelt daraus eine kritische Reflexion über gesellschaftspolitische Zusammenhänge. Neben ihren freien künstlerischen Projekten arbeitet sie als Kommunikationsdesignerin. Das Ergebnis ihrer fotografischen Recherche Exotic Plant Hunters ist 2024 im Textem Verlag Hamburg erschienen.
Anne Marie Maes & Margarita Maximova
Swarmdust / Zwermstof
Mit Swarm Dust / Zwermstof schafft die Künstlerin Anne Marie Maes eine künstliche Umgebung als Bühne für die unvorhersehbare Entstehung von Leben. Halbtransparente Häute, die aus Bakterien- und Hefekolonien gewachsen sind, bedecken fast vollständig eine reflektierende Wand, locker über sandigem Schotter und Kieselsteinen hängend. Über diesen Schotter verstreut ist der titelgebende „Schwarm-Staub“: Anhäufungen von vergrößerten Minzpollen machen sichtbar, wie kompliziert und detailreich ihr Aufbau ist. Ergänzt wird die Szene durch Bildschirme, die aus dem Kies aufsteigen: Die Videoarbeiten von Margarita Maximova greifen die hypnotischen und psychedelischen Eigenschaften der Pflanzen auf. Eine Teezeremonie verbindet Rauch, Klang und Aroma zu einem Live-Hörspiel und aktiviert den Raum am Eröffnungswochenende.
Die multidisziplinäre Künstlerin Anne Marie Maes ist ausgebildet in Botanik und visueller Anthropologie. Sie verbindet Kunst und Wissenschaft mit einem besonderen Interesse an Ökosystemen und alchemistischen Prozessen. Auf dem Dach ihres Ateliers in Brüssel hat sie ein Feldlabor zur Arbeit mit Insekten und Bakterien eingerichtet und studiert die Formgebungsprozesse der Natur. Maes hat ihre Arbeiten in Einzel- und Gruppenausstellungen weltweit gezeigt. Swarm Dust / Zwermstof ist eine neue Arbeit, die sie für die Ausstellung entwickelt hat.
Margarita Maximovas künstlerische Praxis ist audio-visuell basiert. Durch die Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Bilderzeugungstechnologien untersucht sie die Verbindungen zwischen Erinnerungsverflechtungen, sozialen Beziehungen und der Kommunikationsdynamik im digitalen Zeitalter.
Hoda Tawakol
Lure #30
Delicious Monster #15
Hoda Tawakols Arbeiten sind voluminös und nutzen alle sie umgebenden Dimensionen: Sie wachsen aus der Wand heraus, kriechen über den Boden und lassen sich von der Decke fallen, als würden sie pflanzenähnliche Metamorphosen durchleben. Die Textilskulptur der Monstera deliciosa, eine der beliebtesten Zimmerpflanzen in Europas Metropolen, ragt über den Menschen hinaus. So wie das Monströse oftmals für die Wiederkehr von unterdrückten Erfahrungen steht, erinnern die langen blutroten Wurzeln, die in den Raum greifen und den Gang der Besucher_innen unterbrechen, an die gewaltvolle Geschichte der Entwurzelung, die das tropische Gewächs in sich trägt. Im Kontrast zu ihrer Bedrohlichkeit steht die weiche und einladende Textur der Pflanze – sie könnte auch einen Schutzraum bilden. Das Spiel mit den Widersprüchen in Konstruktionen von Weiblichkeit und Natur spiegelt sich auch in der Arbeit Lure #XX wider. Changierend zwischen riesigem Lockköder, Pflanze und weiblich konnotiertem Körper stellt sie Machtdynamiken und geschlechtsspezifische Zuschreibungen in der ökologischen Sphäre in Frage. Ihre Form und Materialität sind anziehend, gleichzeitig wirft sie den Blick der Betrachter_innen auf sie selbst zurück.
Hoda Tawakols Praxis umfasst handgenähte und -gefärbte Textilarbeiten, Papierarbeiten, Mixed-Media-Skulpturen und Installationen. Mit ihnen verweist sie auf kulturübergreifende, gesellschaftliche und patriarchalische Kontrollmechanismen und dekonstruiert sie. Sie fragmentiert das Weibliche, um es gleichzeitig verschwinden zu lassen, zu bewahren und wieder in Besitz zu nehmen. Die in London geborene ägyptisch-französische Künstlerin lebt und arbeitet in Hamburg. 2023 widmete der Dortmunder Kunstverein ihr eine Einzelausstellung; zudem waren ihre Arbeiten u.a. im Georg-Kolbe-Museum Berlin, Mathaf: Arab Museum of Modern Art, Doha und in der Schirn Kunsthalle Frankfurt zu sehen.
Samir Laghouati-Rashwan
Quinquina Diaspora
Aus der Rinde von Cinchonabäumen wird Chinin gewonnen – bekannt als Bestandteil von Tonicwater, aber seit Jahrhunderten von indigenen Gemeinschaften als Heilpflanze gegen Malaria und andere Krankheiten verwendet. In der Videoarbeit Quinquina Diaspora wird eine stumme Unterhaltung zwischen den 3D-Nachbildungen zweier Cinchonas mit Untertiteln übersetzt. Sie stellen ihre botanische Namensgebung und andere menschliche Annahmen über sie in Frage und erinnern sich: an ihre Herkunft in Peru, die Zwangsumsiedlung nach Europa und ihre Masseneinführung als Nutzpflanze in kolonisierten Ländern wie Kamerun. Dort wurde die im Grasland beheimatete Gruppe der Bamileke mit der Kultivierung der Cinchonas betraut, deren Anbaumethoden von denen der Kolonialherren abwichen. An den Bamileke wurde in den frühen 1960er Jahren ein Genozid verübt. Laghouati-Rashwans Arbeit widmet sich dem Erbe der kolonialen Gewalt- und Widerstandsgeschichte, das in den Pflanzen fortlebt.
Samir Laghouati-Rashwan beschäftigt sich mittels Film, Fotografie und Skulptur mit den Politiken des Raums und des Körpers. Er spürt marginalisierten oder vergessenen Geschichten nach und untersucht geografische und sprachliche Zeugnisse von Herrschaftssystemen. Seine Arbeiten wurden u.a. im CAC Brétigny und in der Fondation Kadist in Paris gezeigt, im Sissy Club und weiteren Kunsträumen in Marseille sowie auf der Rencontres de la Photo in Arles.
Dunja Krcek
Maintaining floral structures
Pumpkin Flower
Wonderous questions
Wild Growth
Algae
In den Malereien von Dunja Krcek wird erfahrbar, was das bloße menschliche Auge in der Regel nicht erkennt: Die Bewegungsmuster von Pflanzen, ihre dynamischen Formen und materiellen Qualitäten, die sich in ständiger Veränderung befinden. Sie verbildlicht den relationalen Raum zwischen Mensch und Pflanze, den das Empfinden von Schönheit beim Anblick einer Blüte eröffnet. Die Farbe wird bei ihr zum Mittel der Erkundung in dem Versuch, die Ausdrucksweisen der Pflanzen verstehen zu lernen. Die Bilder stammen aus einer Serie von Malereien und Tapisserien Krceks, die von Pflanzenbildern des späten europäischen Mittelalters, Textildesigns der Wiener Werkstätten, dem Landschaftsverständnis in chinesischen Tuschezeichnungen und persönlichen Begegnungen mit Pflanzen inspiriert sind. Krcek richtet ihre Aufmerksamkeit auf die Allgegenwärtigkeit von Pflanzen im urbanen Kontext und die Würde nicht-menschlicher Lebewesen, indem sie sie als Protagonist*innen ins Bild holt.
Dunja Krcek arbeitet mit Malerei, Textilien und ortsspezifischen Installationen. Sie interessiert sich für die bildliche Untersuchung von Beziehungen zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Lebewesen und dem Begriff des “Felt Sense”. Mit ihrem ganzheitlichen, prozessorientierten Ansatz entwickelt sie auch Workshops zur Herstellung und Verwendung von Pflanzenfarben sowie gemeinschaftsbildende Formate mit dem Dunjiva Kollektiv, die die Aufmerksamkeit für die Biodiversität verschiedener Landschaften mit künstlerischen Mitteln schärfen. Sie lebt in Wien.
Marlene Heidinger
Das Schicksal von Vösendorf
In diesem Selbstporträt verarbeitet die Künstlerin ihre persönlichen Zweifel und Ängste vor dem Erwachsenwerden in einer Welt, die zunehmend Verantwortungsübernahme und weniger Selbstzentriertheit verlangt. Wie in einem Schnappschuss fängt sie einen Moment des Scheiterns in einer banalen Alltagssituation ein: Noch an der Kasse stürzt der Drachenbaum zu Boden, Erde verteilt sich überall hin, unter den Augen neugieriger und genervter Beobachter_innen, während eine Mitarbeiterin längst das Kehrblech gezückt hat und sich der Situation annimmt. Die Reflexion von öffentlicher Beurteilung, Klassengesellschaft, Geschlechterrollen und Massenkonsum, die sich in der Situation manifestiert, geht im Hintergrund über in eine Landschaft aus Eizellen und dem aufgewühlten Innenleben der Protagonistin. Wird sie jemals fähig sein, sich um ein Kind zu kümmern, wenn sie nicht einmal diese Pflanze am Leben erhalten kann? Ähnelt die Erde am Boden nicht dem Blutfleck an einem Tatort?
Marlene Heidinger studierte Malerei und Animationsfilm an der Universität für Angewandte Kunst in Wien. Sie beschäftigt sich in ihrer Arbeit mit Beziehungen, Sozialdynamiken, Scripted-Reality-Formaten und dem Mangel an Privatsphäre in sozialen Medien. In ihren Malereien und Animationsfilmen erzählt Heidinger Geschichten anhand kurzer Momente des Stillstands und fordert die Vorstellungskraft der Betrachtenden heraus, die Figuren ihre Bewegungen fortsetzen zu lassen.
Shirin Sabahi
Cuttings
Muted Fanfare for the Shy
Shirin Sabahis “Ableger” (cuttings) sind Blüten aus Glas, die sie aus auf Flohmärkten und online gefundenen Schüsseln und anderen gläsernen Haushaltswaren zusammengestellt hat. Wie Jagdtrophäen an der Wand aufgereiht und bunte Lichtschatten werfend, bezaubern sie den Blick. Als leblose Kopien verweisen sie jedoch gleichzeitig auf die Vergänglichkeit und Fetischisierung ihrer lebendigen Vorbilder – und auf eine bevorstehende Welt der künstlichen, der toten Natur. Die Ambivalenz der menschlichen Faszination für Pflanzen, in der Zuwendung, Fürsorglichkeit, Begehren und Gewalt gleichermaßen verschränkt sind, drückt sich auch in ihrer Videoarbeit aus. Muted Fanfare for the Shy zeigt ein Gewächshaus im zoologisch-botanischen Garten Wilhelma in Stuttgart. Die Kamera tastet die Architektur aus Glas und Eisen von außen ab, die der europäischen Kultivierung und Präsentation von Pflanzen aus fernen Klimazonen dient. Die Gewächse scheinen in Bewegung zu sein und stoßen von innen an die Begrenzungen ihres simulierten Lebensraums, als ob sie versuchten nach draußen zu gelangen – ein Verweis auf die Kehrseite der Kultur des Ausstellens und Betrachtens.
Shirin Sabahis Arbeiten beschäftigen sich mit dem gebauten Raum und der Produktion, Kontextualisierung und Interpretation von Artefakten und Orten im Laufe der Zeit. Kunst und architektonische Hinterlassenschaften erscheinen darin stellvertretend für größere historische, wirtschaftliche und urbane Entwicklungen. Ihre Installationen kombinieren angeeignete und neu produzierte fotografische, filmische, skulpturale und räumliche Materialien. Sie lebt in Berlin.
Bethan Hughes
Limits of Care
Bethan Hughes setzt sich seit vielen Jahren in diversen Medien mit der Materialität und Geschichte von Latex auseinander. In ihrer für die Ausstellung entwickelten Auftragsarbeit The Limits of Care widmet sie sich allerdings einem „Gummibaum“, der nicht zur Kautschukgewinnung genutzt wird: Der ursprünglich aus Nordostindien und Indonesien stammende und massenweise in holländischen Gewächshäusern herangezüchtete Ficus elastica gehört in kälteren Gefilden zu den beliebtesten Zimmerpflanzen, insbesondere da er in der Regel selbst den nachlässigsten Pfleger_innen trotzt. Mit diesem den Ausstellungsraum als Pflanzengeist heimsuchenden Gummibaum reflektiert die Künstlerin allerdings ihre eigene Begrenztheit fürsorglicher Kapazitäten. Sie setzt den domestizierten Pflanzen, denen ihre Abhängigkeit von menschlicher Pflege zum Verhängnis wurde, ein Denkmal: Diese bezeugen die Unfähigkeit der Menschheit, für die un-natürlichen Strukturen, die sie errichtet hat, auch Verantwortung zu übernehmen.
Bethan Hughes’ audiovisuelle Installationen, Skulpturen und Texte untersuchen die unnatürlichen Ökologien, die durch Industrie, Handel und Technologie entstehen. Ihr jüngstes Projekt in einer Serie über Naturkautschuk, Hevea Act 6: An Elastic Continuum, wurde im LABoral Centro de Arte y Creación Industrial, Gijón und gnration, Braga gezeigt und ist im Herbst 2024 Teil einer Einzelausstellung der Künstlerin im Kunstpavillon Innsbruck. Die Künstlerin arbeitet derzeit an ihrer ersten Monografie (erscheint Anfang 2025)
Sophie Utikal
From Within
Turning Inside Out
Protected
Die drei Textilbilder stammen aus Sophie Utikals Serie In Transitions: In autofiktionalen Arbeiten beschäftigt sich die Künstlerin mit den körperlichen Übergängen in der Schwangerschaft. Als Tryptichon erzählen die handgenähten Momentaufnahmen vom Gefühl der Über-Natürlichkeit, von der Auflösung und dem Wiederfinden von Vertrautheit, von Entfremdung, Schmerz und Geborgenheit und vom Wandel der eigenen Bedürftigkeit über die Zeit hinweg. Dabei eröffnen Utikals symbolische Bildwelten einen Interpretationsraum, den die Betrachtenden mit eigenen Erfahrungen und Emotionen füllen und mit ihrem eigenen Körperwissen verknüpfen. Explizit und implizit an Pflanzen erinnernde Bildelemente verweisen auf die Metamorphosen des Körperempfindens und die Verbindungen zu anderen Lebewesen, während im eigenen Inneren ein neues Leben wächst.
Die Textilkünstlerin Sophie Utikal lebt in Berlin und Wien. Sie studierte kontextuelle Malerei bei Ashley Hans Scheirl an der Akademie der bildenden Künste Wien und ist Mitherausgeberin der Publikation Anti-Colonial Fantasies/Decolonial Strategies (Zaglossus Verlag, 2017). Ihre Arbeiten wurden u.a. in der Kristinstads Konsthal, Kunsthalle Wien und Mediterranea Biennale 19 in San Marino gezeigt; ihre letzten Einzelausstellungen fanden in der Galerie Ebensperger, Berlin und im Kunstraum Innsbruck statt. Ihre Werke sind Teil der öffentlichen Sammlung der Bundesrepublik Deutschland und der Privatsammlung des Museion in Bozen.
Rob Crosse
Wood for the Trees
Die Wissenschaft der Altersbestimmung von Holz, die Dendrochronologie, untersucht die Vergangenheit eines Baums und leitet daraus die notwendigen Bedingungen für sein zukünftiges gesundes Wachstum ab. Der Film Wood for the Trees zieht Parallelen zwischen Bäumen und Menschen: Er verknüpft Aufnahmen von Wissenschaftler_innen, die eine alten deutschen Waldbestand untersuchen, mit Aufnahmen von Bewohner_innen eines LGBTQ+ Mehrgenerationen-Wohnprojekts in Berlin. So wie Bäume unterirdisch Signale aneinander weitergeben und das Ökosystem Wald von gegenseitiger Unterstützung geprägt ist, offenbart der intergenerationelle Austausch Möglichkeiten für vielfältige und inklusive Formen von Familie, Fürsorge und Gemeinschaft.
Der bildende Künstler und Filmemacher Rob Crosse war Teilnehmer des Berlin program for artists 2019–2020 und wurde 2020 mit dem Ars Viva-Preis ausgezeichnet. Zu seinen jüngsten Ausstellungen gehören Chaleur Humaine, Triennial Art + Industry, Dünkirchen, Plant Fever, Kunstgewerbemuseum, Dresden und Ars Viva 2020, Kunstverein Hannover. Seine Videoarbeiten wurden im Rahmen von Room in a Crowd, ICA, London Film Festival und Last Remnants of Nature, Neue Nationalgalerie, Berlin gezeigt.
Jesse McLean
Light Needs
Pflanzen im Haus zu haben scheint heute selbstverständlich. Menschen teilen ihre Wohnungen und Arbeitsumgebungen mit den Photosynthese betreibenden Lebewesen – die meisten davon tropische Arten, die ohne menschliche Pflege in ihrem Topf nicht überleben würden. Der experimentelle Dokumentarfilm Light Needs untersucht die vielfältigen Formen des Zusammenlebens von domestizierten Pflanzen und Menschen. Er begegnet Menschen, die einen großen Teil ihrer Zeit und ihrer Wohn- und Arbeitsräume der Pflanzenpflege widmen. Die Beziehungen zu den Pflanzen sind unterschiedlich geprägt, von der Pflicht über das Geschäft, die Wissenschaft und die Ästhetik bis hin zur emotionalen Abhängigkeit. Der Film wechselt auch die Perspektive: Er spekuliert über die Erfahrungen der Zimmerpflanzen, ihre Beobachtungen und wie es sich anfühlt, Licht in Zucker umzuwandeln. Einfühlsam reflektiert der Film die Beziehungen, die Menschen zu nicht menschlichen Lebewesen haben und welche Verantwortung daraus erwächst, für diese Sorge zu tragen.
Jesse McLean erforscht in ihrer Kunstpraxis die Frage, was es heißt, ein Mensch in Relation zum Nicht-Menschlichen zu sein. Ihre Filme wurden weltweit in Museen, Galerien und auf Filmfestivals präsentiert, darunter u.a. das CPH:DOX, Kopenhagen, New York Film Festival, Filmfestival Venedig und mumok, Wien. Derzeit ist sie Professorin und Leiterin der Abteilung für Film, Video, Animation und neue Genres an der Peck School of the Arts der University of Wisconsin-Milwaukee.
Jana Kerima Stolzer & Lex Ruetten
Symbiotechnica
Symbiotechnica, ein gezüchtetes Lebewesen als Hybrid aus Orchidee und Technologie, erzählt im Setting eines Gewächshauses von menschlichen Allmachtsfantasien und dem Glauben an die technische Herstellbarkeit einer künstlichen Natur mittels Geoengineering. Gewächshäuser sind selbst schon kleine Biosphären, entstanden aus der Idee kontrollierter Umwelten, als Architekturen zur ständigen Reproduzierbarkeit von Leben. Sie stehen zugleich für Untergang und Rettung durch ein künstliches Klima. So wie tropische Gewächse in gläsernen Konstruktionen gezüchtet werden und den widrigen europäischen Umweltbedingungen trotzen, träumen auch Menschen von der Sozialutopie in einer nach außen abgedichteten künstlichen Biosphäre. Die total kontrollierte Umgebung als Schutzraum, der das Überleben sichert. Symbiotechnica fragt nach dem nächsten Schritt: Kann die Natur die Technik integrieren, also selbst betreiben?
Jana Kerima Stolzer und Lex Rütten arbeiten seit 2016 als Künstler_innenduo zusammen. Ihre multimedialen Installationen und Performances setzen sich mit der technologischen Umwelt auseinander, die nicht nur den Menschen, sondern auch Flora und Fauna prägt und verändert. Ihre Erzählungen verbinden historische und wissenschaftliche Forschung mit Science Fiction, um das (Un-)Mögliche für die Zukunft zu entwerfen. 2023 eröffnete das Duo seine erste institutionelle Einzelausstellung im Hartware MedienKunstVerein in Dortmund, 2024 hatten sie eine Einzelausstellung im Loop Alt Space, Seoul.
WANN?
Eröffnung: Mittwoch, 11. September 2024, 18:00 Uhr
Ausstellungsdaten: Donnerstag, 12. September 2024 bis Dienstag, 17. September 2024
Öffnungszeiten: Di–So 12–18, Fr 12–20 Uhr
WO?
Neue Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK)
Karl-Liebknecht-Straße 11/13
10178 Berlin