Galerie Noah in Augsburg eröffnet das Heisig-Jahr 2025 mit einer Retrospektive: Seit dem 24. Januar 2025 werden in der Ausstellung „Bernhard Heisig – 100 Jahre“ anlässlich des 100. Geburtstags des wohl bekanntesten Künstlers der ehemaligen DDR 26 Gemälde und sechs Zeichnungen in den lichtdurchfluteten, hohen Räumen des Glaspalastes präsentiert. Parallel dazu werden im Studio der Galerie unter dem Titel „Maskiert“ 13 Gemälde von Gudrun Brüne gezeigt, die über 50 Jahre lang künstlerische Weggefährtin und Lebenspartnerin von Bernhard Heisig war. Nur einen Tag nach Ausstellungsbeginn, am 25. Januar 2025, ist Gudrun Brüne im Alter von 83 Jahren nach langer Krankheit verstorben (DEEDS berichtete). An der Auswahl der Werke hatte sie noch mitgewirkt. Weitere thematische Ausstellungen im Heisig-Jahr werden in verschiedenen deutschen Städten folgen, u.a. in Leipzig (Museum der Bildenden Künste), Potsdam (Schloss Sacrow), Regensburg (Kunstforum Ostdeutsche Galerie), Erfurt (Angermuseum) und Ahrenshoop (Kunstmuseum).
Abb. oben: Bernhard Heisig, Die Sammlerin Frau Köster und die Malerin Antoinette, 2003, Öl auf Leinwand, 90 x 70 cm
Bernhard Heisig (1925–2011) gilt als eine der prägendsten Persönlichkeiten der Leipziger Schule. Sein Werk thematisiert die Ambivalenz des Menschen zwischen Opfer- und Täterrolle, ohne dabei politische Dogmen in den Vordergrund zu stellen. Stilistisch orientierte er sich an der Klassischen Moderne und bediente sich verschiedener Gattungen wie Porträt, Stillleben, Landschaft sowie allegorischer Genre- und Historienbilder. Seine expressiven, teils magisch-realistischen Gemälde spiegeln intensive Emotionen wie Wut, Trauer und Angst wider. Einflüsse von Künstlern wie Max Beckmann, Oskar Kokoschka und Francisco de Goya sind in seinem Schaffen erkennbar.

Die traumatischen Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg als Soldat der Waffen-SS, der er mit nur 17 Jahren beitrat, prägten Bernhard Heisigs Leben und Werk nachhaltig. Er setzte sich intensiv mit Kulturgeschichte, Literatur, Theater und Musik auseinander, auf der Suche nach Identifikationsfiguren und möglicherweise auch nach Absolution. Diese inneren Kämpfe brachte er offen und ehrlich auf die Leinwand. Als Rektor der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig beeinflusste er eine Generation von Künstler*innen, darunter Arno Rink und Neo Rauch, und ebnete somit der Neuen Leipziger Schule nach 1989 den Weg.

Prof. Dr. Bernd Lindner, Kulturhistoriker und Kultursoziologe sowie ausgewiesener Kenner der Leipziger Schule, betonte in seinem Vortrag während der feierlichen Eröffnung der Ausstellung „Bernhard Heisig – 100 Jahre“ am Abend des 23. Januar 2025 in der Galerie Noah die außergewöhnliche Bedeutung des Künstlers für die deutsche Kunstgeschichte. Heisigs Werke seien nicht nur Ausdruck hoher malerischer Meisterschaft, sondern auch eine tiefgehende Reflexion über Geschichte, Schuld und Erinnerung. Heisig beschäftigte sich intensiv mit der Vergangenheit und verarbeitete sowohl persönliche Erlebnisse als auch kollektive Erfahrungen in seinen Gemälden. Diese Auseinandersetzung erfolgte nie eindimensional, sondern stets mit einer starken inneren Zerrissenheit – ein Wesenszug, der seine Kunst so lebendig und eindrucksvoll macht.

Ein zentrales Thema in Heisigs Werk sei die Ambivalenz des menschlichen Handelns. Lindner hob hervor, dass der Künstler immer wieder die Frage nach individueller Verantwortung im Kontext großer historischer Ereignisse stellte. Als ehemaliger Soldat im Zweiten Weltkrieg war Heisig Zeitzeuge einer Epoche, die tiefe Spuren in seiner künstlerischen Arbeit hinterließ. Seine Bilder zeigen keine einfachen Antworten, sondern vielmehr das Ringen mit der eigenen Vergangenheit. Der Mensch erscheint darin als Opfer und Täter zugleich – gefangen zwischen Schuld, Verdrängung und dem Wunsch nach Aufarbeitung.

Neben seinem künstlerischen Schaffen war Bernhard Heisig auch als Lehrer und Mentor prägend. Prof. Dr. Lindner machte deutlich, dass Heisig Generationen von Künstlerinnen und Künstlern beeinflusst hat. An der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig, deren Rektor Heisig zeitweise war, lehrte er eine Malerei, die sich durch Ausdrucksstärke, erzählerische Tiefe und eine kritische Haltung gegenüber politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen auszeichnete. Seine Schüler – darunter Arno Rink und Neo Rauch – führten diese Tradition fort und trugen dazu bei, die Leipziger Schule auch nach der Wiedervereinigung als bedeutende Kunstrichtung zu etablieren.

Auch heute noch, so Lindner, besitzt Heisigs Kunst eine starke Relevanz. Seine Werke konfrontieren die Betrachtenden mit den Abgründen der Geschichte, fordern zur Reflexion auf und machen deutlich, dass die Auseinandersetzung mit Vergangenheit und Verantwortung niemals abgeschlossen ist. Gerade in Zeiten politischer und gesellschaftlicher Umbrüche sei es wichtig, Künstler wie Heisig zu würdigen, die mit unbestechlichem Blick und großer emotionaler Tiefe zeigten, wie Geschichte uns prägt – und wie wir mit ihr umgehen können.
Gudrun Brüne (1941-2025) war über 50 Jahre lang künstlerische Weggefährtin und Lebenspartnerin, sowie seit 1991 die Ehefrau von Bernhard Heisig. Sie war eine der wenigen Künstlerinnen, die in der männerdominierten Leipziger Schule Anerkennung erhielt. Geboren 1941 in Berlin, studierte sie nach einer Buchbinderlehre von 1961 bis 1966 an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig bei Heinz Wagner und Bernhard Heisig. Nach dem Studium arbeitete sie freischaffend und war zeitweise Mitarbeiterin im Atelier von Heisig, den sie 1991 heiratete. Von 1979 bis 1999 hatte sie einen Lehrauftrag für Malerei und Grafik an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle/Saale inne und leitete dort eine Fachklasse. Ihre eigenständige Malerei im altmeisterlichen, surreal anmutenden bis magisch-realistischen Stil hinterfragt Weiblichkeit und Schönheitsideale. Sie setzte sich für Emanzipation ein und kritisierte oft geschönte, wenig authentische Darstellungen der Frau in Mythen, Sagen, religiösen Stoffen und der realen Gegenwart. Mutig legte sie den Finger auf gesellschaftliche Wunden und deckte Rollenklischees auf, oft mit einer tragikomischen Note. Im Studio der Galerie Noah wird eine Auswahl ihrer Gemälde gezeigt. Die Besucher*innen empfängt gleich am Eingang der Galerie Noah ein Doppelportrait aus der Hand Brünes, auf dem sie sich selbst in ihrer Malweise und das Bildnis ihres Ehemannes in seiner Malweise festgehalten hat. Das Gemälde entstand 2011, im Todesjahr von Bernhard Heisig.

Die Galerie Noah befindet sich im Glaspalast, einem bedeutenden Industriedenkmal in Augsburg. Der Glaspalast wurde 1910 als vierte Ausbaustufe der Mechanischen Baumwollspinnerei und Weberei Augsburg (SWA) in Betrieb genommen und gilt als Deutschlands erster Stahlbetonskelett-Großbau. Das Gebäude beeindruckt durch seine großzügigen Fensterflächen, die den Arbeitern damals Tageslicht ermöglichten. Nach der Einstellung der Produktion im Jahr 1988 wurde der Glaspalast 1999 von Bauunternehmer Ignaz Walter erworben und aufwendig saniert. Heute beherbergt er neben der Galerie Noah auch das Kunstmuseum Walter sowie das H2 – Zentrum für Gegenwartskunst. Die Galerie Noah, gegründet 2002 von Ignaz Walter, hat sich als international etablierter Kunstbetrieb mit zeitgenössischer Ausrichtung einen Namen gemacht. Sie befindet sich im ehemaligen Maschinenraum des Glaspalastes, einem denkmalgeschützten Kuppelsaal mit erhabener Architektur. Die Galerie präsentiert ein vielfältiges Programm mit wechselnden Ausstellungen. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der Förderung junger Talente sowie auf der Verbindung von Kunst aus Ost- und Westdeutschland.
WANN?
Vernissage: Donnerstag, 23. Januar 2025
Ausstellungsdaten: Freitag, 24. Januar bis Sonntag, 13. April 2025
Di – Fr 11 – 15 Uhr
Sa, So + Feiertage von 12 – 17 Uhr
WO?
Galerie Noah
Beim Glaspalast 1
86153 Augsburg