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Freitag, April 19, 2024

VOICE:over Die Stimme als physisches, künstlerisches und sozial-politisches Instrument – in Galerie Nord | Kunstverein Tiergarten | ab 14.04.2022

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Programmreihe VOICE:over widmet sich zwei Jahre lang dem Phänomen der Stimme. Mit spartenübergreifenden Ausstellungsprojekten, Performances, einer Operninstallation und einem vielfältigen Diskursprogramm präsentiert VOICE:over in der Galerie Nord | Kunstverein Tiergarten mannigfaltige Phänomene der Stimme. VOICE:over erforscht die sich verändernde Beziehung zwischen menschlichem Körper und Stimme sowie ihre technisch-digitale Reproduzierbarkeit in unserem Zeitalter.

Abb. oben: Manaf Halbouni: ECHOS, 2020, Foto: Halbouni

Welche Art von Stimmen werden innerhalb unserer gesellschaftlichen Machtdynamik als solche anerkannt? Welche Möglichkeiten haben andere Stimmen, gehört zu werden? In der Postkolonialismus-, Gender- und Queer-Forschung ist die Auseinandersetzung mit der Stimme der Anderen und deren Gehört-Werden von zentraler Bedeutung. Die Frage, wer für wen sprechen kann und darf, ist aktuell brisanter und virulenter denn je. Die Stimme als Mittel der Kommunikation und als Medium künstlerischen Ausdrucks hat in und durch die Covid-19-Pandemie einen essenziellen Wandel erfahren: zwischen digitalem Bedeutungszuwachs und realem Bedeutungsverlust.

DEEDS NEWS - courtesy of Galerie Nord - Timea Oravecz - Welcome to the EU - foto Oravecz
Timea Oravecz: Welcome to the EU, 2016, Foto: Oravecz

Die Projekte verhandeln das Spektrum der Stimme als Medium im Medium selbst – vom Schrei über das Sprechen bis zum Gesang:

Das Sprechen als Instrument der Mitbestimmung steht im Fokus von mehreren Projekten: Die Ausstellungen MITbeSTIMMEn (14. April – 28. Mai 2022) und Queer Voices of the Eighties (Dezember 2022) sowie orale Archive wie HERstory (26.-30. August 2022) greifen die Kontexte des Sprechens auf und bilden einen audiovisuellen analogen und digitalen Resonanzraum für marginalisierte Stimmen feministischer, queerer und postkolonialer Reflexion. Catherine Lorent setzt sich als Vertreterin des Neo-Pop mit dem Konzept des Gesamtkunstwerks auseinander und kombiniert Bildende Kunst mit Stimme, Gesang, Metalmusic und Performance (10. Juni – 30. Juli 2022).

Die Mono-Oper-Installation im Außenraum La voix humaine – Das Pferd frisst keinen Gurkensalat (10.-13. August 2022) reflektiert zeitgleich in den Räumen der Galerie und in einer Telefonzelle die wechselseitige Bezugnahme von Singenden und Hörenden.

DEEDS NEWS - courtesy of Galerie Nord - Michal Martychowiec - What is left to us - foto Martychowiec
Michal Martychowiec: What is left to us, 2020, Foto: Martychowiec

Die Ausstellungsreihe endet im Jahr 2023 mit einem Projekt, das sich auf den Oral Deepfake fokussiert. Der Begriff Deepfake bezeichnet die Manipulation von Abbildungen, Videos und/oder Audiospuren menschlicher Gesichter, Körper oder Stimmen mithilfe künstlicher Intelligenz. Computer sind schon heute im Stande, nie gehaltene Ansprachen von Politiker:innen anhand von neunzig gesprochenen Wörtern zu konstruieren – zu faken – und an Videos und Bilddateien zu koppeln. Das bedeutet eine politische und ethische Herausforderung für die Glaubwürdigkeit.

Projekt 1 | 14. April – 28. Mai 2022 | Vernissage: 13. April, 19 Uhr

MITbeSTIMMEn

Die Möglichkeit und Fähigkeit, mit eigener Stimme zu sprechen, rührt an die moralisch-rechtliche Verantwortung. Die Ausstellung zeigt die Spannung zwischen der Stimme als leibliches Phänomen und der Stimme als politische und gesellschaftliche Ausdrucksform. Politische Züge gewinnt die Stimme in institutionellen Praktiken wie Stimmrecht, Stimmabgabe und Stimmenzählung sowie in der konfliktbelasteten Form von Einstimmigkeit und Mehrstimmigkeit. Die im Rahmen der Ausstellung MITbeSTIMMEn präsentierten Werke von Künstler:innen mit Migrationshintergrund, die alle in Berlin leben, beziehen sich sowohl auf ihr aktuelles gesellschaftliches Mitbestimmungsrecht als auch auf Geschichte.

Künstler:innnen: Urban art (Anne Peschken und Marek Pisarsky), Nasan Tur, Mehtap Baydu, Ewa Partum, Michał Martychowiec, Manaf Halbouni, Timea Ovarecz, Sejla Kameric, Vitalii Shupliak; Kuratorin: Marta Smolinska

DEEDS NEWS - courtesy of Galerie Nord - UrbanArt - Bundestag - foto peschken pisarsky
Urban Art: Bundestag, 2008, Foto: Peschken Pisarsky

Projekt 2 | 10. Juni – 30. Juli 2022

Catherine Lorent: Religation (Arbeitstitel)

Das hybride Werk von Catherine Lorent, welches sich zwischen Musik (Experimental Metal) und Bildender Kunst bewegt, fordert etablierte Kategorien heraus und integriert Malerei, Zeichnung, Skulptur, Performance und theatralische Settings in verschiedenen Installationen. Lorent lässt sich dabei vom barocken Gesamtkunstwerk inspirieren und kombiniert etwa ausdrucksstarke Zeichnungen mit Gitarren, die über Interfaces selbstständig Klänge erzeugen. In Lorents Echtzeit-Polyphonie überlagern sich Schichten geometrischer Formen, monochromatischer Oberflächen und ornamentaler Figurationen in Gemälden und Zeichnungen und bilden zusammen mit Soundkompositionen eine komplexe Schichtung aus Metal, Dada und wildem Überfluss.

Künstlerin: Catherine Lorent; Kuratorin: Veronika Witte

DEEDS NEWS - courtesy of Galerie Nord - Catherine Lorent und Tom Fruechtl - Hannelore - foto Noa Lohrmann
Catherine Lorent und Tom Fruechtl: Hannelore, 2020, Foto: Noa Lohrmann

Projekt 3 | 10.-13. August 2022

Mono-Oper-Installation im Außenraum
La voix humaine – Das Pferd frisst keinen Gurkensalat

„Das Pferd frisst keinen Gurkensalat“ ist der erste Satz, der bei der Erfindung des Telefons übertragen wurde. „La voix humaine“, eine Mono-Oper des französischen Komponisten Francis Poulenc nach einem 1930 erschienenen Theaterstück von Jean Cocteau behandelt zum ersten Mal in der Opernliteratur die Entkoppelung der menschlichen Stimme vom räumlichen Bezugsystem der Singenden und Hörenden. Die Mono-Oper wurde 1959 in der Opéra Comique in Paris uraufgeführt und stellt einen Monolog einer Frau dar, die per Telefon mit ihrem ehemaligen Liebhaber kommuniziert. Musikalische Pausen intonieren die Möglichkeit von technischen Störungen oder befragen die reale An- oder Abwesenheit der/s Anderen. Die Ambivalenz der Kommunikation mittels historischer und aktueller Techniken, des Verstehens und Verstandenwerdens, die Einsamkeit der echolosen Stimme sind zentrale Themen dieser Operninstallation.

Der Monolog wird live in den Räumen der Galerie Nord inszeniert und simultan in eine Telefonzelle im öffentlichen Raum übertragen. Ein Performer und ein:e Gebärdensprachler:in und weitere Textfragmente anderer Quellen werden in den Monolog als zusätzliche Kommunikations- und Narrationsebenen eingebunden.

Künstler:innen: Inga Levant (Inszenierung), Zoe Leonard (Gesang), Rafal Dziemidok (Performance), Performerin Gebärdensprache, Pianist: Markus Zugehör, Installation: Dragan Matic; Kuratorin: Veronika Witte

Projekt 4 | 26.-30. August 2022

Orale Archive: Teil 1 – Partizipative Installation

Das zweiteilige Projekt besteht aus einem Workshop und einer Ausstellung. Es präsentiert drei von Künstler:innen entwickelte Archive aus lokalen Communities, mit denen die Künstler:innen in Verbindung stehen. HERstory (seit 2012) ist ein Kompendium mündlicher, im Netz zugänglicher Interviews, die der Künstler Pascal Lièvre und die Kuratorin Julie Crenn zu Gender- und Sexualitätsdiskursen in der Kunst geführt haben und weiterhin führen. Das Archiv, ursprünglich in Frankreich begonnen, wird mit queer-feministischen Akteur:innen als partizipative Installation mit Berliner Protagonist:innen erweitert und im April 2023 in eine Ausstellung integriert. (Archival Echo Teil 2 – Ausstellung im April 2023)

Künstlerinnen/Aktivistinnen: HERstory (Pascal Lièvre+ Julie Crenn, Frankreich) Kuratorinnen: Eva Bentscheva und Lisa Paland, Veronika Witte

DEEDS NEWS - courtesy of Galerie Nord - Vitalii Shupliak - Bread - foto Shupliak
Vitalii Shupliak: Bread, 2017, Foto: Shupliak

Projekt 5 | 27. September – 22. Oktober 2022

About Screaming – About War (Arbeitstitel)

Aus aktuellem Anlass wird die Ausstellung „About Screaming“ an geflüchtete Künstler:innen aus der Ukraine als Plattform ihres künstlerischen Ausdrucks übergeben. Neben dem Ausdruck des Entsetzens über den Krieg in der Ukraine geht es in dem Projekt auch um die Bedeutung des Schreis als Grenzphänomen des stimmlichen und sprachlichen Ausdrucks. Die Sprache des Schmerzes, der Verzweiflung und der Rage besser zu verstehen, kann ein weiteres Ziel der Ausstellung sein. Die geplanten Positionen erforschen den Schrei in seiner akustischen Materialität und musikalischen Form. Im Schrei ist die Stimme das Objekt und es spricht in einer uns immer noch weithin unbekannten Sprache.

Künstler:innen: N.N. (geflüchtete Künstler:innen aus der Ukraine) Kuratorin: N.N. und Veronika Witte

Projekt 6 | Dezember 2022

Queere Stimmen der 1980er Jahre und ihre Kompliz:innen aus dem Jetzt (Arbeitstitel)

Das Ausstellungsprojekt ist eine Kooperation zwischen dem Kunsthaus Hamburg und der Lothringer 13 in München. Es widmet sich der Berliner Künstlerin Tabea Blumenschein und ihren Zeitgenoss:innen Hilka Nordhausen und Rabe Perplexum. Das Projekt zeigt die Gemeinsamkeiten und den Einfluss dieser drei marginalisierten radikalen und wagemutigen queeren Künstler:innen der 1980er Jahre auf heutige Künstler:innengenerationen und schafft damit eine historische Verbindung zur heutigen Genderdebatte. Das Besondere an dem Ausstellungsprojekt ist neben der kunsthistorischen Aufarbeitung die künstlerische Durchdringung dieser Positionen der 1980er Jahre durch drei junge aktuelle zeitgenössische Positionen. Sie treten mittels Archivmaterial, Fotos, Audio und Filmdokumenten in einen generationenübergreifenden Dialog und bilden eine aktuelle Referenz in Form von raumgreifenden multimedialen performativen Environments.

Künstler:innen: Tabea Blumenschein (1952–2020), Hilka Nordhausen, (1949–1993) Rabe Perplexum (1956–1996), Angela Stiegler (*1987) Ergül Cengiz (*1975), Philipp Gufler (*1989); Kurator:innen: Burcu Dogramaci und Künstler:innen (in Kooperation mit Lothringer 13 München und Kunsthaus Hamburg)

WANN?

Eine zweijährige spartenübergreifende Programmreihe 2022–2023.

Projekt 1:

Vernissage: Mittwoch, 13. April 2022, 19 Uhr. Begrüßung: Veronika Witte; Einführung: Marta Smolińska

Ausstellungdaten: Donnerstag, 14. April – Samstag, 28. Mai 2022

Öffnungszeiten: Di – Sa 12 bis 19 Uhr

Performance: Mittwoch, 27. April 2022, 19 Uhr. Mit Vitalii Shupliak

Ausstellungsrundgang: Mittwoch, 4. Mai 2022, 18 Uhr. Mit Marta Smolińska

Don’t call it Art! Booklounge: Mittwoch, 11. Mai 2022, 19 Uhr. Mit Veronika Radulovic und Do Tuong Linh

Künstler:innengespräch: Mittwoch, 19. Mai 2022, 19 Uhr. Moderation Marta Smolińska und Veronika Witte

Diskussion: Mittwoch, 25. Mai 2022, 19 Uhr. Mit PolMotion – Bewegung der polnischen Frauen; Moderation: Berenika Partum

WO?

Galerie Nord | Kunstverein Tiergarten
Turmstraße 75
10551 Berlin

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