Reinhard Muchas Werk gilt mit seiner Neudefinition von Skulptur, Fotografie und Installation als eine der wichtigsten künstlerischen Positionen von den 1980er Jahren bis in die Gegenwart. Mit der Ausstellung, die dem 1950 in Düsseldorf geborenen Künstler gewidmet ist, vereint die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen ab dem 3. September 2022 an ihren beiden Standorten K20 und K21 lange nicht gezeigte Installationen mit Werken aus allen Schaffensphasen und schafft so ein Panorama, das mehr als vier Jahrzehnte künstlerischen Schaffens umfasst.
Abb. oben: Courtesy of Reinhard Muchas und Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen
Für die Direktorin des Museums, Susanne Gaensheimer, ist „Reinhard Mucha einer der international bedeutendsten Künstler der 1980er Jahre, der unser heutiges Verständnis von Skulptur, Installation und konzeptueller Kunst maßgeblich geprägt hat. Mit Schlüsselwerken aus seiner Studienzeit an der Düsseldorfer Kunstakademie Ende der 1970er Jahre hat er den konzeptionellen Begriff von dem, was Skulptur ist und sein kann, grundlegend erweitert. Bis heute haben seine Werke nichts von ihrer Bedeutung verloren, so dass Mucha sowohl als historischer als auch als zeitgenössischer Künstler bezeichnet werden kann. Diese große Überblicksausstellung ist längst überfällig und war daher ein wesentliches Desiderat für mich, als ich nach Düsseldorf kam, einer Stadt mit einer lebendigen Kunstszene mit zahlreichen wichtigen Positionen seit Joseph Beuys. Reinhard Mucha steht für mich dabei an vorderster Stelle. Er stand bei meinem Amtsantritt als erster für einen Antrittsbesuch an.“
Der Mucha – Ein Anfangsverdacht ist die erste große Überblicksausstellung des in Düsseldorf lebenden Künstlers seit der Doppelausstellung in der Kunsthalle Bern und der Kunsthalle Basel 1987. Bereits während seines Studiums an der Düsseldorfer Kunstakademie von 1975 bis 1982 hatte Mucha Werke ausgestellt, die für die künstlerischen Entwicklungen der 1980er Jahre und darüber hinaus wegweisend waren. Dies gilt insbesondere für die Bedeutung seines vielschichtigen Oeuvres in Bezug auf die Gattung der Installation, die institutionskritische Reflexion des Ausstellungsbetriebs und des Museums, den Umgang mit Material in der Kunst sowie das Bewusstsein für Geschichte und die Reflexion der Gesellschaft. Gerade wenn seine Werke im Kontext erlebt werden, verschränken sich Zeit- und Industriegeschichte sowie Anklänge an die Popkultur mit der Biografie des Künstlers. Auf diese Weise gelingt es Mucha, scheinbar disparate thematische Ansätze zu komplexen, sinnstiftenden Strukturen von hoher sinnlicher Qualität zu verweben.
Das Deutschlandgerät als Ausgangspunkt der Ausstellung Durch die Verteilung der Werke auf K20 und K21 ergeben sich für die beiden Ausstellungsteile zwei sehr unterschiedliche räumliche Situationen. Während der Grabbe-Saal von K20 Reinhard Mucha die einmalige Gelegenheit bietet, drei großformatige Installationen und mehrere mehrteilige Werke zu einer in sich geschlossenen Gesamtinstallation zu verbinden, präsentiert das zweite Obergeschoss von K21 einen Parcours von zwölf Räumen mit mehr als sechzig sorgfältig ausgewählten Werken aus über vierzig Jahren. Dabei wird die Ausstellung nicht wie üblich im zweiten Stock gezeigt, sondern in der bel étage des ehemaligen Ständehauses. Das Schlüsselwerk, das hier seit 2002 dauerhaft zu sehen ist – Das Deutschlandgerät. Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, K21 Ständehaus, Düsseldorf [2021] [2002], XLIV Biennale di Venezia, Deutscher Pavillon, Venedig 1990 – und wird damit zum Ausgangspunkt des Ausstellungsparcours. Ursprünglich konzipierte Mucha diese raumgreifende, ortsspezifische Arbeit für den Deutschen Pavillon auf der 44. Biennale von Venedig 1990, wo er gemeinsam mit dem Düsseldorfer Fotografenpaar Hilla und Bernd Becher ausstellte. Als Teilrekonstruktion wurde die Installation 2002 speziell für den ehemaligen Plenarsaal des Ständehauses adaptiert und um eine Sound- und Videoinstallation erweitert. Anlässlich der Ausstellung hat die Arbeit nun eine zweite technische und inhaltliche Adaption durch die Künstlerin erfahren.
Dem Deutschlandgerät gegenüber steht das frühe Schlüsselwerk Wartesaal, [1997], [1986] 1979-1982, das seit der documenta X 1997 nicht mehr öffentlich gezeigt wurde. Diese beiden Installationen bilden gewissermaßen die energetischen Pole der Ausstellung, um die herum sich die anderen Räume orientieren. Darunter befinden sich sowohl aktuelle Arbeiten wie # Hashtag mit Lichtblick im Schmerz, [2019] 2001, als auch wichtige Wegmarken aus den 1990er Jahren wie Dokumente I-IV von 1992, die Installation zur DOCUMENTA IX 1992, sowie frühe Arbeiten wie Baden-Baden / Standard II, [2022] 1984 / 2022, die erstmals wieder in neuer Form zusammengeführt werden.
Im Mittelpunkt der Präsentation in K20 steht Das Figur-Grund Problem in der Architektur des Barock (für Dich allein bleibt nur das Grab), [2022] 1985, eine der wenigen erhaltenen Installationen von Gebrauchsgegenständen und Museumsmöbeln. Zum ersten Mal seit 1985 wird das Werk, von dem sich ein Teil in der Sammlung des Musée national d’art moderne / Centre Pompidou in Paris befindet, in seiner vollständigen Form wiederhergestellt. Neben diesen spektakulären Exponaten, in denen Büro- und Museumsmöbel zu Skulpturen erstarrte Jahrmarktsattraktionen darstellen, sind Frankfurter Block, [2016], [2014] 2012 und Stockholmer Raum (Für Rafel Moneo), [1998] 1998 „Ausstellungen in der Ausstellung“. Jede bringt ihren demontierbaren Museumsraum mit und enthält mehrere zuvor unabhängig voneinander konzipierte Werke. Die Schau wird so auch zu einer Ausstellung über das Ausstellen. Der Museumsraum, die Institutionen des Ausstellens und Präsentierens werden durch Muchas Werke immer wieder in Frage gestellt und auf die Probe gestellt.
Der Mucha – An Initial Suspicion
Mit dem Titel der Ausstellung greift Mucha auf den in den 1980er Jahren in Österreich verbreiteten Restaurantführer DER MUCHA zurück, an den sich auch die Gestaltung des Ausstellungskatalogs anlehnt. Muchas fast skulpturalen Umgang mit Sprache und Worten aufgreifend, geht die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen dem Anfangsverdacht nach, dass sein Werk in seiner ganzen Breite neu erforscht werden muss.
Publikation
Die Ausstellung wird von einem umfassenden Katalog begleitet, der im Hirmer Verlag erschienen ist. Mit diesem Buch, herausgegeben von Susanne Gaensheimer und Falk Wolf, legt die Kunstsammlung die lang erwartete Monografie zum Werk Reinhard Muchas vor. Nicht nur die ausgestellten Werke, sondern auch wichtige Vorzustände derselben werden systematisch dokumentiert. Muchas Arbeitsweise zeichnet sich durch eine ständige Überprüfung einmal gefundener Lösungen aus, so dass einige Arbeiten durch Anpassungen an die jeweilige Ausstellungssituation und die Umstände der Zeit weiterentwickelt wurden. Vertiefende Essays von Julian Heynen, Stefanie Kreuzer, Sebastian Egenhofer, Kolja Reichert und Falk Wolf beleuchten zentrale Aspekte des Werks von Reinhard Mucha aus unterschiedlichen Perspektiven. 400 S., Preis ca. 39 EUR.
WO?
Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen
Grabbeplatz 5
40213 Düsseldorf
WANN?
Samstag, 3 September 2022 bis Sonntag, 22 Jenuar 2023