Das in Berlin beheimatete Archivio Conz präsentiert nach langjähriger Katalogisierung seiner umfangreichen Bestände erstmals über 250 Highlights seiner bedeutenden Fluxus Sammlung der Öffentlichkeit. Die Ausstellung „Holy Fluxus – Aus der Sammlung Francesco Conz“ in der St. Matthäus Kirche Berlin zeigt ausgewählte Werke von u.a. Dorothy Iannone, Allan Kaprow, George Maciunas, Hermann Nitsch, Yoko Ono, Carolee Schneemann und Daniel Spoerri. Im Foyer des Kunstgewerbemuseums wird der berühmte „Avantgarde“-Volkswagen von Charlotte Moorman zu sehen sein, mit der Bombenattrappe von Nam June Paik auf dem Dach.
Abb. oben: Emmett Williams, Buntglasfenster für die Fluxus-Kathedrale. Copyrights: Archivio Conz
Fluxus ist seit Anfang der 1960er-Jahre ein globales Phänomen der Kunstwelt: Keine Kunstbewegung, kein -ismus, keine die jeweils andere ablösende Avantgarde, sondern eine geistige Einstellung, eine „Konstellation“ (Eugen Gomringer), eine Lebens- und Kunstanschauung. Fluxus manifestierte sich überwiegend in Performances, Festivals, Aktionen oder Konzerten – allesamt Formen, die auf der Erfahrung, der Interaktion sowie der Begegnung von Menschen basieren und Künstler:innen aus weltweit verschiedensten Kunstrichtungen wie Konkrete Poesie, Lettrismus, Pop Art, Konzeptkunst oder Neue Musik zusammen brachte. „Fluxus hat noch gar nicht begonnen“, schrieb der Berliner Künstler Tomas Schmit vor 50 Jahren, mit großen Ausstellungen in den USA, Korea und Europa wird diese Kunst seit einigen Jahren neu entdeckt und bewertet.
ÜBER FRANCESCO CONZ
Francesco Conz (1935-2010) war ein obsessiver Sammler, Mäzen, Kurator, Künstlerfreund und der „Produzent als Künstler sui generis“ (Thomas Marquard). Sein Interesse konzentrierte sich seit 1972 – nach einer Begegnung mit Hermann Nitsch, Günter Brus und Joe Jonas in Berlin – auf Lettrismus, Konkrete Poesie, Wiener Aktionismus, Fluxus, Musik und Literatur. Über Jahrzehnte hatte er ein einmaliges weltweites Netzwerk mit Künstlern:innen geschaffen. Seine unermüdlichen Aktivitäten als Verleger von über 560 Kunst-Editionen (Edizioni Conz) in der norditalienischen Stadt Asolo, dann in Verona, haben zur Entwicklung vom Fluxus in Italien und weltweit wesentlich beigetragen. Seit 2016 ist das Archivio Conz mit seinen ca. 5000 Objekten von über 200 Künstler:innen in Berlin beheimatet und wird nun nach acht Jahre dauernder Katalogisierung und Digitalisierung erstmals umfänglich der Öffentlichkeit präsentiert.
Die Ausstellung „Holy Fluxus – Aus der Sammlung Francesco Conz“ zeigt Fluxus als globales Netzwerk von Individuen und setzt sich bewusst mit dem Ort – der St. Matthäus Kirche in Berlin – auseinander. Sie zeigt die Parallelen und Inspirationen zwischen Kunst und Kirche. „Jede neue künstlerische Schöpfung ist eine neue Interpretation des Paradieses, diese Reinterpretation der Theologie zu missachten, heißt mit der vergangenen Kultur sowie der Zukunft der Humanität zu brechen“, schreibt Isidore Isou, der Begründer des Lettrismus, in einem seiner ausgestellten Werke. Als geistige Enkel der Dadaisten, als Überlebende des 2. Weltkrieges, Nachfolger von Marcel Duchamp und John Cage, stellten Fluxuskünstler:innen den Glaube an das Kunstwerk und jede Bildverehrung (Idolatrie) in Frage, nicht aber die Kunst selbst.
Ihre radikale Antwort auf die Krise des Kunstwerks im 20. Jahrhundert war (nicht ohne Parallelen zur Ecclesia) die Auffassung der Kunst als Gemeinschaft, keiner Ideologie, keinem anderen Konzept verbunden als der fortwährenden Ansprache an den Menschen in der Sozietät. Die kritische oder auch humorvolle Auseinandersetzung mit der Kirche ist virulent in vielen Werken, wie zum Beispiel der „“First National Church oft the Exquisite Panic, Inc.“ des US-amerikanischen Künstlers Robert Delford Brown, der „Kirchenfenster für die Fluxus Kathedrale“ von Emmett Williams oder dem „Letzen Abendmahl“ von Hermann Nitsch. Die Spiritualität ist für Fluxus ein zentrales Thema. Francesco Conz, der aus einer tiefgläubigen katholischen Familie kam, entwickelte eine besondere Deutung von „Fetisch“ als Bezeichnung für alle Überreste des künstlerischen Prozesses, eine Art der Reliquie von Künstler:innen – der Heiligen und Märtyrer:innen der Kunst. Diese Fetische – egal ob ein Kleidungsstück, ein Pinsel oder ein Zahn eines Künstlers – hatten für Conz keinen Kunstwerkstatus, sie halten aber die Magie der Schöpfung.
Die Kunst als Lebenserfahrung hat sich bei den Fluxuskünstler:innen unter anderem in gemeinsamen Treffen am Tisch manifestiert. Die Tafel in der Verlängerung des Altars nimmt eine symbolische Rolle als Trägerin der Gemeinschaft ein. Sie wird den Altar zum Menschen bringen und zugleich als eine horizontale Ausstellungsfläche die drei für Conz und Fluxus wichtige Aspekte der Kunst als Gemeinschaft präsentieren: der Tisch als ein Ort der Begegnung, der Mehrautor:innenschaft und der Fetische.
Musik und Konkrete Poesie als Formen der zwischenmenschlichen Kommunikation bilden einen weiteren Schwerpunkt der Ausstellung. Ein freies Rahmenprogramm rundet die Ausstellung jeden Dienstag um 19 Uhr mit Konzerten, Lesungen und Performances ab. Zusammengestellt von Petr Studeny (Prag) und Hanns Zischler mit dem Dichtungsring (Berlin) spielen, singen und sprechen u.a. Eric Andersen, Petr Balka, Miroslav Beinhauer, George Brecht, Luciano Chessa, Anna Clementi, Werner Durand, Deborah Walker, Agnese Toniutti Werke u.a. von Eric Andersen, Sylvano Bussotti, John Cage, Giuseppe Chiari, Philip Corner, Henning Christiansen, Werner Durand, Öyvind Fahlström, Geoffrey Hendricks, Toshi Ichiyanagi, Milan Knížák, Györgi Ligeti, Chris Newman, Yoko Ono, Giacinto Scelsi und Miko Shiomi.
Die Ausstellung wird kuratiert von Hubertus v. Amelunxen, Direktor des Archivio Conz, und der Kunsthistorikerin und Kuratorin Monika Branicka, organisiert vom Archivio Conz und der Stiftung St. Matthäus. Der Volkswagen von Charlotte Moorman wird in Kooperation mit dem Kunstgewerbemuseum gezeigt. Gezeigt werden rund 250 Arbeiten von Eric Andersen, Alain Arias-Misson, Augusto und Haraldo de Campos, Ugo Carrega, Guiseppe Chiari, Henri Chopin, Philip Corner, Claudio Costa, Robert Delford Brown, Sari Dienes, Eric Dietman, Jean Dupuy, Lawrence Ferlinghetti, Esther Ferrer, Robert Filliou, Ken Friedman, John Furnival, Ilse und Pierre Garnier, John Giorno, Eugen Gomringer, Ludwig Gosewitz, Bohumila Grögerová, Brion Gysin, Al Hansen, Bernard Heidsieck, Geoffrey Hendricks, Dick Higgins, Josef Hiršal, Sylvester Houédard, Dorothy Iannone, Isidore Isou, Tom Johnson, Joe Jones, Allan Kaprow, Milan Knížák, Alison Knowles, Richard Kostelanetz, Arrigo Lora-Totino, George Maciunas, Jackson Mac Low, Larry Miller, Charlotte Moorman, Michael Morris, Hermann Nitsch, Ann Noël, Yoko Ono, Nam June Paik, Ben Patterson, Mimmo Rotella, Gerhard Rühm, Saito Takako, Carolee Schneemann, Paul Sharits, Mieko Shomi, Daniel Spoerri, Jirí Valoch, Ben Vautier, Robert Watts, Emmett Williams u.v.a.
WANN?
Ausstellungsdaten: 13.07. – 08.09.2024
Eröffnung: Freitag, 12. Juli 2024, 19 Uhr
Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag, 11:00 bis 18:00 Uhr
WO?
St. Matthäus-Kirche
Matthäikirchplatz
10785 Berlin
KOSTET?
Eintritt frei