Im Kunstmuseum Wolfsburg steht ab dem 12. Oktober 2024 die Welt auf dem Kopf. Der Mond steht auf der Erde, ein Haus hängt hoch über dem Boden, Wolken liegen auf dem Boden und die Besucher scheinen in der Schwerelosigkeit eines Raumschiffs zu schweben. Der argentinische Künstler Leandro Erlich (*1973) verwandelt die Ausstellungshalle in einen fantastisch-surrealen Kosmos und spielt mit unseren Vorstellungen von Perspektive und Schwerkraft. Seine mitunter großformatigen Installationen scheinen die Gesetze der Physik außer Kraft zu setzen und eröffnen neue Perspektiven auf die vielfältigen Zusammenhänge zwischen Wissenschaft, Technologie, Ökologie, Raumfahrt und Migration. Die Ausstellung, die die erste Einzelausstellung des Künstlers in Deutschland ist, wurde, wie die meisten Werke, speziell für das Kunstmuseum Wolfsburg konzipiert.
Abb. oben: Leandro Erlich, Pulled by the Roots, 2015, ortsspezifische Installation in Karlsruhe, produziert vom ZKM | Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe im Rahmen der Ausstellung GLOBALE und des 300-jährigen Jubiläums der Stadt Karlsruhe, Courtesy of Leandro Erlich Studio © Leandro Erlich Studio, Foto: Leandro Erlich Studio
„In all meinen Werken zeigt sich die Wirklichkeit auf unterschiedliche Weise. Was wir sehen, ist immer eine Frage der Wahrnehmung, der stärksten Facette der Realität. Es gibt einen impliziten Aspekt sowohl des Verständnisses als auch der Konstruktion dessen, was wir ‚real‘ nennen. Jede Arbeit ist eine Reflexion über die Architektur dieses Realismus.“ Leandro Erlich
SCHWERELOSE REISE DURCH DAS ALL
Leandro Erlich verwandelt das Kunstmuseum Wolfsburg in eine Blackbox, die gewohnte Perspektiven umkehrt und zum Träumen und Imaginieren einlädt. Die spektakuläre Großskulptur Moon (2024) erhebt sich als Halbkuppel mit einem Durchmesser von fast zwanzig Metern und einer Höhe von rund zwölf Metern über dem Museumsboden. Die Besucherinnen können das Innere der Skulptur begehen und erleben dort in einer weiteren Kuppel eine Projektion verschiedener Sternenkonstellationen sowie von nachts hell erleuchteten Städten mitsamt ihren Straßennetzen. Begleitet von sphärischen Klängen verdichtet sich die multimediale Installation zu einem immersiven 360°-Panorama. Darüber hinaus können die Besucherinnen über ein Treppenhaus auf die Mondoberfläche steigen und von dieser erhöhten Position aus den gesamten Ausstellungsraum überblicken.
„Der Wendepunkt, den ich an der Illusion interessant finde, ist die Erzeugung von Zweifeln; auf diese Weise kann die Illusion kritisches Denken fördern.“
Leandro Erlich
Neben der Skulptur Moon steht ein Raumschiff startklar in der Ausstellungshalle. Die Besucherinnen können die circa 13 Meter hohe Skulptur Spaceship (2024) betreten und über mehrere Spiegel der Illusion erliegen, wie Astronautinnen in der Schwerelosigkeit des Alls zu schweben. Doch auch hier ist nichts so, wie es auf den ersten Blick scheint. Statt in den nächtlichen Sternenhimmel zeigt die Spitze des Raumschiffs auf ein 36 mal 36 Meter großes, digital generiertes fiktives Landschaftsbild (Soprattutto, 2024), wie man es aus der Kartografie oder von Satellitenaufnahmen kennt. Hoch über den Köpfen der Besucher*innen ist das Bild unterhalb der gesamten Museumsdecke aufgespannt, vergleichbar einer auf dem Kopf stehenden Welt. Mit seinen Feldern, Straßen und Strukturen verdeutlicht es, wie die Topografie der Erdoberfläche im Anthropozän durch den Menschen geformt worden ist.
MITEINANDER VON MENSCH UND NATUR
Unter Soprattutto schwebt in luftiger Höhe eine weitere Großskulptur: Pulled by the Roots (2015/2024). Als Allegorie für Heimat und Heimatlosigkeit erinnert das entwurzelte Haus an aktuelle Flucht- und Migrationsbewegungen und die Millionen Menschen, die aufgrund von Kriegen, politischen Konflikten, unwürdigen Lebensbedingungen oder der sich zuspitzenden Klimakatastrophe ihr Zuhause verloren haben. Zugleich verdeutlicht das schwebende Haus mit seinem imposanten Wurzelwerk, dass die von Menschen gebaute Architektur ein integraler Bestandteil der gestalteten Umwelt ist und ihrerseits weitreichende Folgen für die Natur hat – vom Verbrauch natürlicher Ressourcen bis hin zum Ausstoß klimaschädlicher Stoffe bei der Verarbeitung.
Vom Verhältnis von Himmel und Erde, von oben und unten, von innen und außen handelt auch die mehrteilige Arbeit The Cloud (2018–2022). In vier Vitrinen fängt der Künstler vermeintlich flüchtige Wolken ein und „konserviert“ diese für die museale Präsentation. Die einzelnen Vitrinenobjekte bestehen jeweils aus mehreren bedruckten Glasscheiben, die hintereinander geschichtet zum freien Assoziieren von Formen einladen – wie beim Blick auf das Wolkenspiel am Himmel. Erst beim genauen Hinsehen werden in Erlichs Wolkenbildern Tiere oder die Umrisse Südamerikas sichtbar.
„Mich fasziniert die menschliche Fähigkeit, Wirklichkeit zu konstruieren.“
Leandro Erlich
Begleitprogramm
Die Ausstellung wird von einem abwechslungsreichen Rahmenprogramm begleitet: Vom Künstlergespräch mit Leandro Erlich bis zum Talk mit der Astronautin Insa Thiele-Eich am 26. März 2025
sind während der Laufzeit vielfältige Veranstaltungen geplant. Auch die vor allem beim jungen
Publikum beliebten Museumsformate Art & Cocktail, Eat & Art und spezielle Themenführungen wie
Facts & Lies werden fortgesetzt
WANN?
Ausstellungsdaten: Samstag, 12. Oktober 2024 – Samstag, 13. Juli 2025
Künstlergespräch: Dienstag, 25. März 2025
WO?
Kunstmuseum Wolfsburg
Hollerpl. 1
38440 Wolfsburg