Ende 2023 gab die „Kunstkammer Gegenwart“ erstmalig Einblicke in die Bestände der Gegenwartskunst der Schenkung Sammlung Hoffmann (SHO) sowie anderer Sammlungen an den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Mit der zweiten „Kunstkammer Gegenwart“ etabliert sich nun das Format mit dem ersten vollständigen Austausch aller Werke weiter. Jeden Herbst wird diese von Grund auf neu eingerichtet. Dabei dient jeweils ein Leitwort als roter Faden für die Auswahl der Werke aus dem Bestand der SHO. Für die zweite „Kunstkammer Gegenwart“, die ab dem 30. November 2024 (Eröffnung: 29.11.) zu sehen ist, lautet es „menschlich“. In den Skulpturen, Gemälden, Grafiken und Videoarbeiten nähert sich die Schau dem Menschlichen.
Abb. oben: Rebecca Horn, Silver Crane, 1984, Schenkung Sammlung Hoffmann, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Foto: Herbert Boswank © VG Bild-Kunst, Bonn.
Das kann zunächst ganz konkret sein: Der Akt, ein Klassiker der Kunst, wird in zahlreichen Varianten gezeigt: als Grafiksammlung, als großformatige Aktfotografie von Craigie Horsfield, als fotografische Mappe von Gundula Schulze-Eldowy oder in einer beunruhigenden Zeichnung von Cloe Piene. Tracey Emin wiederum ließ sich in einen Galerieraum einschließen und nackt beim Malen fotografieren. Damit reflektierte sie gleichzeitig ihre Rolle als Künstlerin und als – traditionell von Männern gemalte – Muse.
Zur Kunst gehört die Inszenierung, die Pose, hier zum Beispiel gezeigt im Doppelportrait, das Andy Warhol von Erika und Rolf Hoffmann geschaffen hat. Geschminkt wie ein Model, mit Diamantenstaub überglänzt, wird die Mäzenin im Bildnis des Künstlers zur Ikone.
Die zweite „Kunstkammer Gegenwart“ reflektiert auch die Beziehung des Menschen zum Göttlichen. Emil Cimiotti thematisiert in seiner Bronzeskulptur den Mythos der Daphne, die sich dem Verlangen des Gottes Apollon nur entziehen kann, indem sie sich in einen Lorbeerbaum verwandelt. Uwe Piller widmet sich dem berühmten Motiv aus der Sixtinischen Kapelle in Rom: Gott und Adam strecken sich die Hände entgegen. Piller hingegen bildet nur die Hand Adams auf seinen Keramikfliesen ab und fragt, was der Mensch ist, der sich nur aus sich selbst erschafft.
Jenseits des Konkreten, Greifbaren widmet sich die Schau ganz grundsätzlich der Frage, was den Menschen in seinem Wesen ausmacht. Sicherlich Empathie und die Fähigkeit zu lieben, aber auch Fehlerhaftigkeit, Machtstreben, Egoismus. Wie grenzt sich das Menschliche vom Unmenschlichen, vom Monströsen ab, aber auch – in Zeiten von KI – vom Künstlichen?
Cornelia Schleime zeigt den Verräter, den Mund verkabelt und verbunden mit einem unbekannten Empfänger. Frank Maasdorf kerbt die Schrecken des Krieges mit roter Farbe in seine Holzskulptur, der „Ketzer“ von Detlef Reinemer ragt wie eine metallene Speerspitze in die Höhe.
Abstrakt wird es bei Frank Stella, dessen Kunstwerk „Concentric Squares“ nicht etwa den Menschen abbildet, sondern auf dessen Wahrnehmung und seine Reaktion auf die Kunst zielt.
„Mit der Kunstkammer Gegenwart wollen wir vom Gedanken her unsere Depots für das Publikum öffnen“, sagt Dorothée Brill, die Leiterin der Schenkung Sammlung Hoffmann. „Es geht darum, die ganze Fülle, den Reichtum unserer zeitgenössischen Sammlungen sichtbar zu machen, gleichzeitig die Werke wirksam zur Geltung zu bringen und Bezüge zu zeigen.“
Das Raumkonzept stammt vom Designer Konstantin Grčić. Er entwarf eine modulare, flexible Struktur, die als wandumspannendes Gerüst an die Einrichtung eines Depots erinnert und je nach Bedarf der ausgestellten Kunstwerke verändert werden kann. Inspiriert von der Industriearchitektur lassen die modularen Elemente den gegebenen Raum unberührt – ein respektvoller Umgang mit der Bestandsarchitektur des Dresdner Residenzschlosses.
Zum Entwurf von Konstantin Grčić gehört auch eine Schauwerkstatt. Hier wird gezeigt, wie die fragilen Materialien der zeitgenössischen Kunst fachgerecht restauriert werden. Mehrmals in der Woche kann das Publikum der Restauratorin beim Arbeiten zusehen und mit ihr ins Gespräch kommen.
Über den gesamten Monat Dezember sind von Freitag bis Sonntag „Transformer“ in der Ausstellung unterwegs. Im individuellen Gespräch mit Besucherinnen und Besuchern fragen sie nach dem subjektiven Blick auf die Kunst und erschließen dem Publikum über diesen intensiven Dialog einen ungewohnten Zugang zu den Werken.
Bis zum 2. November 2025 zeigt die zweite „Kunstkammer Gegenwart“ rund 70 Werke aus der Schenkung Sammlung Hoffmann, dem Albertinum, dem Kunstfonds und dem Kupferstich-Kabinett – eine facettenreiche Annäherung an das „Menschliche“.
WANN?
Eröffnung: Freitag, 29. November 2024, 18:30 Uhr
Mit einem Impulsvortrag von Dr. Olivia Mitscherlich-Schönherr, Privatdozentin für Philosophie an der Universität Potsdam und Distinguished Fellow am Max-Weber-Kolleg für kultur- und sozialwissenschaftliche Forschung, unter dem Titel „Ungeheuer ist viel. Doch nichts ist ungeheurer als der Mensch“.
Laufzeit: Samstag, 30. November 2024 bis Sonntag, 2. November 2025
Öffnungszeiten: täglich 10 bis 18 Uhr, Dienstag geschlossen
WO?
Residenzschloss
Schlossstr./Ecke Taschenberg
01067 Dresden
KOSTET?
Regulär: 14 EUR
Ermäßigt: 10,50 EUR
unter 17 Jahren: frei
Gruppen ab 10 Pers.: 12,50 EUR p.P.