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Stühle: Dieckmann! Der vergessene Bauhäusler Erich Dieckmann in der Kunstgewerbemuseum | 07.05.-28.08.2022

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Erstmals seit über 30 Jahren wird dem Möbelgestalter, Bauhäusler und Burg-Lehrer Erich Dieckmann (1896–1944) eine große Einzelausstellung gewidmet. Mit rund 120 Möbeln, Grafiken, Entwürfen und Zeichnungen sowie zeitgenössischen Positionen, die sich mit Dieckmanns gestalterischen Ansätzen beschäftigen, würdigt die Ausstellung einen prägenden Gestalter, der wie Marcel Breuer mit Formen und Materialien experimentierte und Typenmöbelprogramme nach streng geometrischen Formen entwickelte. Die Ausstellung ist mit Berlin und Halle (Saale) in den beiden Städten zu sehen, in denen Dieckmann maßgeblich gewirkt hatte.

Abb. oben: Erich Dieckmann, Drei Stühle, 1925-1935, Blei- und Farbstift auf Papier, © Staatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek / Dietmar Katz

Erich Dieckmann kam 1921 an das Bauhaus nach Weimar, um dort eine Tischlerlehre zu absolvieren. Nachdem das Bauhaus 1925 nach Dessau weitergezogen war, blieb Dieckmann in der Nachfolgeeinrichtung, der Staatlichen Bauhochschule Weimar unter Otto Bartning, und wurde dort im selben Jahr Leiter der Tischlerwerkstatt. 1931 folgte er vielen ehemaligen Bauhäuslern an die Kunstgewerbeschule Burg Giebichenstein nach Halle (Saale). Dort leitete er von 1931 bis zu seiner Entlassung durch die Nationalsozialisten 1933 die Tischlereiwerkstatt. Danach schlug er sich schwer krank mit Sachbearbeiter- und Referentenjobs durch, bis er im November 1944 mit nur 48 Jahren starb. Dieckmanns Haltung und Nähe zum Nationalsozialismus lässt sich nur bruchstückhaft rekonstruieren und muss daher überaus kritisch betrachtet werden – umso wichtiger ist der neueste Forschungsbeitrag von Aya Soika im Katalog zur Ausstellung.

DEEDS NEWS - courtesy of Galerie Fiedler - Erich Dieckmann - Sessel Nr. 8139
Erich Dieckmann, Sessel Nr. 8139, Ausführung: Cebaso, Ohrdruf i.Thüringen, 1930–1931,
verchromtes Stahlrohr, Holz, Eisengarnstoff, Leihgabe Galerie Fiedler, Berlin © Galerie Fiedler

In der Ausstellung ist Dieckmanns erster Stuhl – ein Holzstuhl mit Binsengeflecht – zu sehen, den er 1923 als Bauhausschüler entworfen hatte. Es folgen Typenmöbel, die er um 1930 für die Einrichtungsprogramme entwickelt hatte, und damit ganze Räume, wie Arbeits-, Wohn- und Schlafzimmer auszustatten. Die dazugehörigen Entwürfe und historischen Fotos kommentieren die Konstruktion bzw. die Aufstellung und Wirkung der Möbel im Raum. Doch Dieckmann bleibt nicht bei den stark geometrischen Entwürfen stehen, sondern zeigt in der Folge kurvilineare Modelle wie seine Bugholz-, Stahlrohr- und Korbmöbel beweisen. Dieckmann reizte hier mit seinem gestalterischen Ansatz die Möglichkeiten des Materials aus. Gerade die Stahlrohrstühle bzw. -sessel zeigen neue geschwungene, dynamische Formen. Seine reduzierten Korbmöbel wurden zu Prototypen für Gartenmöbel und von anderen mehrfach wiederholt und kopiert.

DEEDS NEWS - courtesy of SMB Kunstbibliothek Dietmar Katz - Erich Dieckmann - Drei Stühle
Abteilung Tischlerei der Staatlichen Bauhochschule für Handwerk und Baukunst, Leitung: Erich Dieckmann, 1927,
© Staatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek / Photothek Willy Römer / Ernst Gränert

Weitere Exponate stammen aus dem von der Kunstbibliothek erworbenen zeichnerischen Nachlass Erich Dieckmanns, der rund 1.600 Objekte umfasst und von 2017 bis 2019 mit Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien digitalisiert und wissenschaftlich erschlossen wurde. Zu den in der Ausstellung gezeigten Objekten des Nachlasses zählen u.a. Dieckmanns Kompositionsstudien und Entwürfe zu zahlreichen Möbelstücken sowie aquarellierte Blätter idealer Einrichtungssituationen. In Verbindung mit den Möbeln lassen die Zeichnungen den gesamten Schaffensprozess erlebbar werden – von der ersten, oft abstrakten Formidee über die gestalterische und funktionale Ausformulierung bis zum gebrauchsfertigen Objekt.

DEEDS NEWS - courtesy of Galerie Fiedler - Erich Dieckmann - Küchenstuhl H2 - Foto Martin Müller
Erich Dieckmann, Küchenstuhl H2, Ausführung: Staatliche Bauhochschule Weimar, 1926, Massivholz,
Sperrholz gestrichen, 83,5 x 40,55 x 52 cm, © Galerie Fiedler, Berlin, Foto: Martin Müller Fotografie

Die Sektion „Die Anderen“ ergänzt die Ausstellung um Zeitgenoss*innen Erich Dieckmanns und präsentiert Gestalter*innen, die wie Dieckmann in der Zeit zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg gewirkt haben. Aus dem reichen Fundus des Kunstgewerbemuseums wurden dazu Möbel und Designobjekte von u.a. Marcel Breuer, Mies van der Rohe und Eckart Muthesius ausgesucht, um die Vielseitigkeit der Möbelstile um 1930 aufzuzeigen. Im dritten Ausstellungsteil „Living like Dieckmann“ demonstrieren die zeitgenössische Künstlerin Margit Jäschke und der Designer Stephan Schulz, wie man Dieckmanns Entwürfe für das 21. Jahrhundert nachhaltig, kunstvoll und nützlich weiterentwickeln kann. In einer Art Wohnraum wurden Möbel von Erich Dieckmann reproduziert und neu inszeniert.

DEEDS NEWS - courtesy of SMB Kunstbibliothek Photothek Willy Römer Ernst Gränert - Erich Dieckmann - Komposition von farbigen Elementen
Erich Dieckmann, Komposition von farbigen Elementen, 1931-1933, Bleistift, Pinsel, Aquarell auf Papier,
© Staatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek / Dietmar Katz

Die Studierenden der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle befassen sich im vierten Ausstellungsteil „SITZEN neu betrachtet“ mit dem einstigen Lehrer ihrer Schule und entwickelten in mehreren Semesterprojekten Arbeiten, die Dieckmanns Werk in die Gegenwart folgen. Historische Objekte, Skizzen sowie Möbel aus dem Archiv der Kunsthochschule sowie der Stadt Halle (Saale) dienten dabei als Grundlage für die aktuelle Annäherung. Das Semesterprojekt „Zwischen den Stühlen“ der Studienrichtung Industriedesign setzte sich unter der Leitung von Gastprofessor Konrad Lohöfener mit der Möbelgestaltung Erich Dieckmanns auseinander. Sechzehn Studierende entwickelten zeitgenössische Perspektiven und wagen den Blick in die Zukunft. Wie sahen die Visionen des Bauhauses und der Burg vor 100 Jahren aus? Wie sitzen wir heute? Was sagt uns die Verheißung der Klassischen Moderne heute? Neben der inhaltlichen Auseinandersetzung sind vor allem die konstruktiven Details der Arbeiten bemerkenswert und verweisen auf den entwurfspraktischen Fokus im Arbeitsprozess. So wird sich Dieckmanns Gestaltungsansatz mit Mitteln und Technologien der aktuellen Produktgestaltung genähert; Material- und Rohstoffnutzung, Gestaltungswerkzeuge und Herstellungstechniken bzw. ökologische Produktionsprozesse spielen dabei eine Rolle. Weitere Infos: www.burg-halle.de/zwischendenstuehlen

DEEDS NEWS - courtesy of photothek Thomas Imo - Erich Dieckmann - Ansicht
Ansicht der Ausstellung Stühle. Dieckmann! Der vergessene Bauhäusler Erich Dieckmann © photothek / Thomas Imo

Studierende der Kunstpädagogik und der Kunstwissenschaften bei Prof. Dr. Sara Burkhardt der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle entwickelten für die Ausstellung zudem die im Hochschulverlag der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle erschienene Kartensammlung „SITZEN – BURG Education BOX 02“. Die Karten dienen als Impulse für Erkundungen und Handlungen im privaten wie im öffentlichen Raum. Sie regen spielerisch zum individuellen oder gemeinsamen Beobachten, Zeichnen, Dokumentieren, Diskutieren und Austauschen an und setzen darauf, dass das Sitzen Denkprozesse in Bewegung bringen kann. „Stühle: Dieckmann! Der vergessene Bauhäusler Erich Dieckmann“ ist ein gemeinschaftliches Projekt des Kunstgewerbemuseums und der Kunstbibliothek der Staatlichen Museen zu Berlin sowie der Kunststiftung des Landes Sachsen-Anhalt und der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle. Das Projekt wird maßgeblich durch das Land SachsenAnhalt gefördert. Bis zum 27. März 2022 ist die Ausstellung in Halle (Saale) zu sehen und wird danach in erweiterter Form im Kunstgewerbemuseum in Berlin gezeigt. Die Ausstellungsarchitektur stammt von Designer Stefan Diez, die Typographie von Erik Spiekermann.

WANN?

Sonderausstellung: Samstag, 07. Mai bis Sonntag, 28. August 2022

Sonderöffnungszeiten: Di – Fr 10 – 18 Uhr, Sa + So 11 – 18 Uhr

WO?

Kulturforum, Kunstgewerbemuseum
Matthäikirchplatz
10785 Berlin-Tiergarten

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