Der Kreuzberger Projektraum SCOTTY zeigt ab 25. Februar 2023 (Vernissage 24.02.) die Ausstellung At the border mit Ruken Aslan, Ayşe Tülay, Janis Schroeder, kuratiert von Sigrun Drapatz. Südosteuropa ist ein multiethnischer Lebensraum in dem Menschen mit diversen Sprachen und Religionen leben. Ethnische Zugehörigkeit war über Jahrhunderte kein wesentlicher Unterscheidungsfaktor. Das änderte sich durch die Einflussnahme europäischer Großmächte ab Mitte des 19. Jahrhunderts. Diese stellten das Konzept der Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe dem bis dahin geltendem Konzept der Zugehörigkeit zu einer Religion entgegen. Das neue Identitätskonzept verbreitete sich schnell in der Region. Es kam zu Aufständen gegen die osmanische Herrschaft, aber auch zu Hegemonialansprüchen gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen. Eine blutige Spur von Massakern, Flucht, Vertreibung durchzieht seit dem Südosteuropa, die in kleinteilige, möglichst homogene Nationalstaatlichkeit mündete.
Abb. oben: border line pattern, Ruken Aslan
Nach dem Ende des 1. Weltkrieges manifestierte sich diese Politik in Bevölkerungsaustauschen und Zwangsumsiedlungen. Mit der Neuordnung Europas nach dem 2. Weltkrieg war Bulgarien politisch mit der Sowjetunion verbunden, die Türkei gehörte dem Westlichen Bündnis an. Ab 1980 setzte in Bulgarien eine verschärfte Restriktionspolitik gegen Muslim*innen ein, gepaart mit einer „Bulgarisierungskampagne“ in deren Folge zwischen 1984 und 1989 etwa 800.000 muslimische Namen zwangsweise „bulgarisiert“ wurden. Der heftige Wiederstand der Betroffenen veranlasste 1989 die bulgarische Regierung die Grenze zur Türkei zu öffnen, über 350.000 Menschen verließen Bulgarien in Richtung Türkei.
Ruken Aslan
Ruken Aslans Zeichnungen sind ein dichtes Gewebe aus Linien, Bildfragmenten und Textschnippseln. Die Collagen aus mythologischen Narrativen und Schlagwörtern aus Zeitungen ergeben ein assoziatives, vielschichtiges Bild. Ihre erzählerische Bildsprache kombiniert die Ästhetik der Grafik des Art Deko mit zeitgenössischem Comic.
In der Ausstellung zu sehen ist die Serie “Borderline patterns”. Darin setzt sich die Künstlerin mit der Grenzregion auseinander, in der ihr Wohnort liegt. Es werden romantische Vorstellungen von “Unterwegssein”, “Heimkehr”, “ein anderes Leben”, “der große Westen” aufgerufen, aber auch die Themen Flucht und Zwangsumsiedlung.
Ruken Aslan hat Kunst in Istanbul an der Mimar Sinan Universität sowie der Hacettepe Universität studiert, wo sie ihr Studium mit dem Master zum Thema “Reality in Abstract Painting” abschloss. Einen PhD erwarb sie an der Marmara Universität zum Thema “Romantic Attitude in Plastic Arts”. Zur Zeit lehrt sie als Associate Professor an der Trakya University in Edirne und der Marmara Universität in İstanbul. Ruken Aslan lebt in Edirne und Istanbul.
Janis Schroeder
Janis Schroeder erforscht in künstlerischer Praxis Landschaften und Lebensräume. In seiner Recherche- und Archivarbeit sucht er nach Geschichten, historischen Dokumenten und Bildern, die er seinen Foto- und Video-Aufnahmen und intuitiven Zeichnungen gegenüberstellt.
Während zweier Reisen und mittels Recherchen in Archiven in Bulgarien, der Türkei und Deutschland setzte sich Janis Schroeder mit der bulgarisch-türkischen Grenzlandschaft auseinander. Für die Ausstellung erstellte er eine Collage aus gefundenem und selbst erstelltem Bild-, Text- und Tonmaterial. Sie ist eine persönliche Geographie der Region, mit der er auch seine eigene Perspektive und Privilegien hinterfragt.
Janis Schroeder hat Kunst an den Kunsthochschulen in Münster und Genf sowie Visuelle Anthropologie an der Freien Universität Berlin studiert. In Genf war er im Bereich der forschungsbasierten Kunst als künstlerisch-wissenschaftlicher Mitarbeiter sowie im Forschungsprojekt „The Anthropocene Atlas of Geneva“ angestellt. Janis Schroeder lebt in Berlin.
Ayşe Tülay
Ayşe Tülay arbeitet häufig mit Objekten und Artefakten, die Geschichten transportieren.
In derZwei-Kanalvideoarbeit „Boundary” sehen wir ein junges Mädchen in einem traditionellen bulgarischen Hemd in einem Park. Das Hemd entstammt dem Familienbesitz der Künstlerin. Es ist ein Geschenk ihrer Schwiegermutter und war im Gepäck, als die Familie 1989 aus Bulgarien vertrieben wurde. Die Arbeit ist 2022/23 entstanden, als die Künstlerin in Sofia die bulgarische Staatsbürgerschaft für ihre Kinder beantragte.
Ayşe Tülay hat Kunst an der Akdenis Universität in Antalya und der Marmara Universität in Istanbul studiert, wo sie ihren Master erhalten hat. Ayşe Tülay lebt in Istanbul.
Begleitprogamm
Filmscreening und Künstler*innengespräch mit Birgit Auf der Lauer, Caspar Pauli und Janis Schroeder, moderiert von Juliane Zelwies.
Während eines Istanbulstipendiums entstand die Videoarbeit „Good Smugglers / Bad Escape Helpers – Gute Schleuser / Schlechte Fluchthelfer“ von Birgit Auf der Lauer und Caspar Pauli. Diese Arbeit zum Ausgangspunkt nehmend wird das Gespräch die Arbeiten der Künstler*innen in den Blick nehmen, die sich mit Regionen auseinandersetzen, in denen die einen die Grenzen problemlos in alle Richtungen passieren können, während die anderen die Passage, oft im Geheimen, teuer erkaufen müssen.
WANN?
Eröffnung: 24. Februar 2023, 19:00 Uhr
Ausstellung: Samstag, 25. Februar, bis Samstag, 25. März 2023
Do – Fr 15 – 19 Uhr, Sa 14 – 18 Uhr
WO?
SCOTTY
Oranienstraße 46
10969 Berlin-Kreuzberg
[…] Lies den Beitrag über „At the border“ weiter auf DEEDS.NEWS. […]