PROLOG | PERSÖNLICHES
Nicole, wo sprechen wir zusammen, wo treffen wir Dich? Mein Atelier ist in dem Atelierhaus Vulkanfiberfabrik (VulkanKunstwerke e.V.) in Werder an der Havel. Direkt am Wasser. Es ist ein Teil einer Marina. Ich habe ein circa 80 m² großes abgeteiltes Atelier in einer großen Halle, in die ich manchmal mit diversen Arbeiten ausweichen kann. Das Licht ist immer sehr schön und jetzt im Frühling müssen wir nicht mehr frieren. Bei uns gibt es zur Zeit ein freies Atelier übrigens!
Titelbild: Portrait Nicole Heinzel, © the artist
Vielleicht sitzen wir an Deinem Lieblingsplatz? In dem Fall habe ich dich mit meinem Bully am Bahnhof abgeholt und wir sitzen jetzt an meinem Lieblingsort im Wald. Die Sonne scheint durch die Bäume, eine leichte Brise weht. Ich habe uns einen Kaffee gekocht und wir sitzen am Campingtisch.

Oder wir könnten uns auch sehr gerne in meiner Ausstellung in der Galerie kajetan in Berlin treffen. Da sieht man die Arbeiten im besten Licht und wunderbar präsentiert. Such es dir aus! Das Gespräch kann losgehen!
Du wurdest 1969 geboren. Erzähle uns bitte, wo Du geboren bzw. aufgewachsen bist. Welche Stationen und Menschen haben Dich in Deinem bisherigen Leben besonders geprägt? Mein Vater war Hubschrauberpilot, wir reisten um die Welt von Öl-Ort zu Öl-Ort. Ich bin in Bengasi, Libyen, geboren. Dann bin ich nach Aufenthalten in Iran (Persien), Trinidad und Tobago, Schottland – wo ich studiert habe – für circa sieben Jahre nach London und 2003 nach Berlin gegangen – da war die Zeit reif, mich mal mit meinem Deutschsein wieder anzufreunden und meine deutschen Wurzeln mal zu entdecken und zu akzeptieren. 2018 bin ich mit meiner Familie aufs Land in die Blütenstadt Werder (a.d. Havel) geflüchtet: „Wohnen, wo andere Urlaub machen.” Geprägt haben mich so viele wundervolle Menschen. Ihr wisst, wer ihr seid!

Welche Schriftsteller*innen findest Du derzeit spannend und welche Bücher finden sich in Deinem Bücherregal? Grundsätzlich, wenn ich mal dazu komme, zum Lesen – was leider meist nur im Urlaub passiert, lese ich gerne Biographien und Autobiographien von KünstlerInnen. Mein Bücherregal ist voller Künstlerkataloge.
Welche Bücher haben Dich beeinflusst oder geprägt? Das Buch Birds Art Life, A Year of Observation von Kyo Maclear springt mir in den Kopf. Es hat mir gezeigt zu stoppen, zu warten, zu schauen und zu hören. Ich hatte mich nie mit Vögeln beschäftigt, aber jetzt füttere ich sie und morgens gibt’s regelrecht das Birdwatcher-Paradies, bzw. eine wahrhaftige Vogelparty findet täglich vor meinem Schlafzimmer statt. Ich trinke meinen Tee und genieße den Vogel-Wahnsinn vor meinen Augen. Seitdem unsere Katze nicht mehr da ist, toben die Vöglein sich um so mehr bei uns aus.
Für mich waren Bücher der Generation X und den Hippies davor – die counterculture-Bücher – damals in meiner Jugend sehr wichtig. Ken Kesey, Tom Wolfe, Kerouac, Hunter S. Thomson, Salinger, Burroughs, Ginsberg und Co. Das war damals sehr in, hat auch mir stark zugesprochen.

Beim Malen höre ich Podcasts und Hörbücher. Zählt das? Da ist alles dabei, von Kindererziehung, Physiologie, Finanzthemen: Wie wird man zum Millionär? oder ganz viele Interviews von KünstlerInnen oder Podcasts über das Geschehen in der Kunstwelt. Ab und zu gibt es dann Themen wie Technologie, was passiert demnächst mit KI, oder abgefahrene neue Entdeckungen in der Wissenschaft. Das geht alles in mein Unterbewusstsein. Manchmal werden die Werke mit den Informationen imprägniert. Eins zum Beispiel wird für mich immer die Brände in LA darstellen, da die Nachrichten bei mir nonstop beim Malen liefen.
Was liest Du aktuell und wo liegt das Buch griffbereit? Zur Zeit liegt das Buch von Audrey Flack With Darkness came Stars: A Memoir neben meinem Bett. Die Künstlerin und Autorin ist vor kurzer Zeit verstorben und ich habe bei dem Great Women Artists Podcast von Katie Hessel ein wunderbares Interview mit ihr gehört, kurz bevor sie starb. Ihre unglaubliche Stärke hat mich inspiriert, ihr Buch zu kaufen.
Es liegt auch die Zeitschrift Fukt: Nature Issue neben meinem Bett – ich habe sie bestellt, weil ich zum einen mit dem Thema Natur natürlich vertraut bin, aber auch, weil darin die Werke von dem Künstler Per Adolfson gezeigt werden. Ich bin ein Fan von ihm.
Das dritte Buch zur Zeit ist von der Künstlerin Lois Dodd.

Welche Musik hörst Du und wann? Es passiert gerade was ganz Merkwürdiges – ich mache immer öfter Klassik-Radio an, wenn ich Auto fahre. Ich glaube, ich bin endlich erwachsen. Klassische Musik beruhigt mich. Ich kenn mich aber besser mit Techno, Hiphop, Rap, Anti-folk, Avantgarde, Indie, Punk-Rock und Rock aus. Wobei ich da überhaupt nicht mehr auf dem neuesten Stand bin, was sehr traurig ist, da die nachfolgenden Generationen tolle Sachen machen. Tatsächlich habe ich früher viel mehr Musik gehört bzw. ich war umzingelt mit Musik, da ich meine Zwanziger und Dreißiger in London hauptsächlich mit Musikern verbracht habe, die stark meinen Geschmack geprägt haben. Bands wie Blonde Redhead, Sonic Youth, Nirvana, Beatles, The Stones, Sex Pistols, The Cure, The Velvet Underground, Jawbreaker und die Band meines Ex, The Kills. Britpop Bands wie Oasis, The Jam, Captain Beefheart oder die Bands meiner Freunde. Jedes Wochenende war ich auf der Gästeliste für irgendeine Band meiner Freunde oder Freunde der Freunde. Ich war ein regelrechter Groupie.
Als ich in der Kunstschule war, fing das alles an mit Techno und House und mit den Raves, was natürlich ein neuer aufregender Sound war und die komplette Musikkultur auf den Kopf gestellt hat.

Wenn Du etwas für uns kochen würdest, was wäre es? Tacos.
Und was isst Du selbst am liebsten? Auch Tacos. Thai liebe ich auch. Ich liebe es, neue Dinge zu probieren.
Was hältst Du vom Frühstücken? Frühstücken kann gleichzeitig die wichtigste Mahlzeit am Tag sein, aber es kann gerne später passieren. Im Winter gibt es Porridge. Ich mache aber meistens Intervallfasten, wo das Frühstück dann komplett wegfällt. Mir fehlt es dann aber auch nicht. Ich muss aber unbedingt den Tag mit irgendeinem heißen Getränk anfangen. Kaffee, Tee, heißes Wasser mit Zitrone …
Welchen Sport oder Ausgleich zu Deiner künstlerischen Arbeit betreibst Du? Yoga. Ich habe auch eine Mitgliedschaft im Fitness-Studio, was leider zur Zeit extrem leidet. Ich fahre einmal im Jahr Schi, um die Spinnengewebe wegzupusten. Im Sommer schwimme ich regelmäßig im schönen Plessower See, hinter unserem Haus.
Für welche besonderen Leidenschaften oder Hobbies brennst Du? Gärtnern. Wenn ich im Garten rumbuddel, und sehe, wie meine Versuche manchmal werden, ist das Freude pur. Gärtnern ist wie Kunstmachen. Es ist definitiv erdend. Ich kann fünf Stunden im Garten verbringen und mich fragen, wo die Zeit geblieben ist. Natürlich ist das naturnah und somit meiner Kunst nah. Dass meine Pflanzen dann als Zeichnungen oder Fotografien und in den Cyanotypien auftauchen, kann schon mal vorkommen.

Welches Persönlichkeitsmerkmal macht Dich besonders aus? Hui! Wow, okay. Also, ich glaube, ich bin sehr reflektierend. Vielleicht bin ich auch ein Überdenker. Ich glaube, ich bin in vielen Sachen widersprüchlich, zum Beispiel kann ich mich extrem gut fokussieren, wenn ich das dementsprechend mache, gleichzeitig bin ich völlig chaotisch und multi-taske mich zu Tode. Daraus kommt aber die Kunst. Ich glaube, ich bin eine treue Seele. Ich hoffe zu glauben, dass man sich auf mich verlassen kann. Ich mache, was ich sage, auch wenn es manchmal länger dauern kann oder mit einer gewissen Verpeiltheit begleitet wird. Allerdings, wenn’s um die Wurst geht, kann man wirklich auf mich zählen.
Ich bin wohl sehr sensibel und feinfühlig. Das fügt sich natürlich in die Kunstmacherei ganz gut ein, kann aber auch das Leben erschweren, in dem es manchmal sinnvoller wäre, etwas tougher zu sein. Grundsätzlich, wenn man mich in Ruhe lässt, bin ich ein positiver, lebensfreudiger, kommunikativer Mensch. Bin Morgenmuffel und Nachteule von Natur aus.

Hast Du ein Anliegen, das Du mit uns teilen möchtest? Oder eine Antwort auf eine (nicht von uns gestellte) Frage, die Dich aktuell bewegt? Ja. Ich finde wir sollten uns mal am Riemen reißen und versuchen, Gemeinsamkeiten zu finden und nicht unsere Unterschiede als negativ oder verdächtig zu empfinden. Wir sollten aufeinander mit Humor und gutem Willen zugehen. Es ist so simpel und ein Klischee, aber wir sind Menschen auf einem einzigartigen Planeten, der durchs All fliegt. Besser wäre es doch, die Wunder dieser Welt und des Universums zu bestaunen, und zu fragen, was machen wir hier? Warum sind wir hier? Wo wollen wir hin?, Hände haltend gemeinsame Wege und Ziele zu verfolgen und zu entdecken – stattdessen benehmen wir uns immer noch zu oft wie die letzten Deppen. Ich fasse es nicht, dass immer noch ein Großteil der Menschheit hungert, dass Frauen und Kinder täglich körperliche und verbale Gewalt erleben, dass Rassismus, Sexismus, Homophobie, Armut, Krieg und Elend immer noch so vorherrschend sind. Als Kind war ich mir sicher, dass, wenn ich groß bin, diese ganze Problematik mit uns Menschen bis dann gelöst wird. Aber nein.
Wir sollten auf die Hoffnung setzen, nach vorne mit offenen Herzen schauen, und den Scheiß mal in der Vergangenheit hinter uns lassen. Das ist naiv, und kindisch wohl.
Vielen Dank für diesen persönlichen Einblick, Nicole. Dann lass uns jetzt über Deine Kunst sprechen.
INTERVIEW | KÜNSTLERIN + POSITION
Wir möchten kurz Deinen künstlerischen Werdegang vorstellen. Du hast in den Jahren 1988 bis 1991 an der Duncan of Jordanstone School of Art and Design, Dundee in England und von 1997 bis 1998 an der Kingston University in London studiert. Haben wir etwas übersehen? Bitte nenne uns weitere Stationen.
Ich habe 22/23 den renommierten und in London basierten TURPS (Banana) Correspondence-Kurs in Malerei gemacht. Das hat mir konkret am meisten gebracht. Es war eine Mentorenschaft mit den großartigen Künstlerinnen Katrina Blannin und Kyung Hwa. Über ein Jahr lang haben wir uns Emails geschrieben. Ich habe meinen kompletten Künstlerischen Prozess auseinander genommen, inspiziert, neue Werke dementsprechend ausprobiert. Es war eine intensive Introspektion, warum und wie und was. Ich habe versucht, Muster zu brechen, um neue Wege zu entdecken. Es entstand ein relativ großes Dokument mit Arbeitsproben und den Texten von uns dreien. Ich hatte mich in einer Sackgasse befunden, hauptsächlich ausgelöst von großen Lebensveränderungen. Dieser großartige Kurs in der Malerei hat Ideen und Fragen und Lösungen aus mir rausgeholt, die ich nicht von mir kannte. Das hat mir mehr gebracht als alles Andere. Ich kann es 100% für MalerInnen empfehlen.

Wie bist Du zur Kunst gekommen? Warum Kunst?
Ich glaube, ich bin tatsächlich da rein geboren. Ich weiß noch, wie meine Eltern das schon mit drei Jahren in mir erkannt haben. Ich habe nur gemalt, gemalt, gemalt. Als wir von Trinidad nach Schottland gezogen sind, hat sich mein Leben derart verändert, dass ich mich in meiner Kunst verkrochen habe. Ich habe Fantasiewelten gezeichnet. Pferde, Häuser, Gärten, Landschaften, Tiere. 1978 war es auf einem schottischen Dorf grau, kalt und nass. Manche Kinder fanden mich als Deutsche, die mit einem karibischen Akzent Englisch sprach und Moonboots und ein Poncho trug, merkwürdig und sagten Heil Hitler zu mir. Ich bin in mich hinein und nahm die Kunst mit. Zum Glück kam ich aber etwas später mit so einer Power als Punk wieder raus. Natürlich war die Kunst immer noch dabei. Sie ist ja nicht abzuschütteln. Hab sie an der Backe, aber sie ist mein größtes Geschenk.

Was macht Dich aktuell glücklich?
Mit meinem Sohn Joshua zu kuscheln, Quatsch zu machen und gemeinsam blöde TikTok-Videos zu schauen. Wie schon erwähnt, das Gärtnern und dann das Reisen ist das Wundervollste überhaupt. Mich mit meinem VW Bulli an einen Ort zu stellen, wo ich mir ganz sicher bin, hier kommt keiner vorbei, um zu schreiben, zu zeichnen, zu fotografieren, zu filmen, zu lesen und zu planen. Da werden viele Listen gemacht, viele Ideen getestet. Wenn die Sonne scheint, und es richtig gut läuft und ich das Meiste nicht vergessen habe, mitzubringen, mache ich auch mal Cyanotypien im Wald. Ich bin gerne alleine, zum Glück, weil meine Arbeit das erfordert. Im Atelier bin ich eigentlich immer glücklich, außer es herrschen dort ständige Ablenkungen. Es macht mich glücklich, mit meiner wundervollen Schwester ungestörte Zeit zu finden und kreative Brainstorming-Sessions zu machen, wo wir manchmal die wildesten Ideen haben. Wenn ich im See bade oder mit einem kalten Radler in der Hängematte liege. Das Wunderbare am Älterwerden ist, dass ich tatsächlich merke, dass wirklich die einfachsten Dinge am glücklichsten machen. Das habe ich viel zu spät gerafft.

Was macht Dir aktuell Angst?
Dass es leider immer wieder wohl Psychopathen an die Macht schaffen und sie unser Schicksal und vor allem das Schicksal unserer Kinder in ihren Händen halten. Dass mein Sohn eventuell Krieg erleben wird. Dass die Geschichte sich wiederholt, im Sinne des zunehmenden Wachstums des Rechtsradikalen im Denken. Der Hass, der sich online und offline immer mehr offenbart.
In meiner Arbeit besteht keine Angst. Vielleicht, dass ich zu einer bestimmten Deadline etwas Gescheites nicht liefern kann.
Glaubst Du, dass Kunst eine gesellschaftliche Verantwortung trägt? Und was denkst Du, was sie bewirken kann?
Kunst kann eine gesellschaftliche Verantwortung tragen. Es sollte aber kein Muss sein, was ich immer wieder höre. Es bleibt dem Künstler doch offen, ob er mit seiner Kunst etwas gesellschaftlich erreichen oder bewirken möchte. Diese Verantwortung ersteht sowieso ganz organisch, wenn die Ausübung der Kunst mit einer Ehrlichkeit und Authentizität betrieben wird. Ich sehe zu oft, dass Kunst irgendwas sagt, nur weil es Gelder dafür gibt. Da ist vielleicht eine wichtige Nachricht enthalten, aber sie kommt nicht an, da der Ansatz, der Grund dafür, das Kunstwerk zu machen, vom Anfang eine falsche einschränkende Abhängigkeit, Bedingung war. Ich weiß dann nicht, ob das gewisse Thema sogar dem Künstler überhaupt so wichtig ist. Vielleicht reicht es ja schon, wenn etwas innerlich bewirkt wird, was sich dann auf eine andere Art und Weise positiv auf die Gesellschaft auswirkt. Wichtig ist es für mich, die Ehrlichkeit in der Kunst zu bewahren und genau das zu machen, was man für richtig hält. Die Motivation dahinter ist für mich das Entscheidende.

Was macht Deine Kunst aus? Worum geht es in deinem Werk – was sind die zentralen Themen?
Kernthema bei mir ist vielleicht, dass wir kritisch denken sollten, alles befragen und hinterfragen und die Dinge nicht unbedingt zu akzeptieren, wie sie vielleicht zuerst erscheinen. Unsere Realität ist sehr merkwürdig. Ich glaube, dass in meiner Kunst widerzuspiegeln.
Lies mehr über die künstlerische Botschaft von Nicole Heinzel in THE DEED | DAS WERK:
THE DEED | DAS WERK
Die 1969 in Bengasi, Libyen geborene und seit 2018 in Werder an der Havel lebende Künstlerin Nicole Heinzel spricht über die zentrale Botschaft ihres künstlerischen Werks.
Bitte beschreibe das Kernthema und die zentrale Botschaft Deines Werks.
Kernthema bei mir ist vielleicht, dass wir kritisch denken sollten, alles befragen und hinterfragen und die Dinge nicht unbedingt zu akzeptieren, wie sie vielleicht zuerst erscheinen. Unsere Realität ist sehr merkwürdig. Ich glaube, dass in meiner Kunst widerzuspiegeln.

Zweitens möchte ich weitergeben, wie ich als Künstlerin die Welt empfinde, wahrnehme und interpretiere, um vielleicht dem Betrachter eine neue Perspektive zu schenken. Mit meinen Lieblingskommunikationstools, die mir zur Verfügung stehen – Malerei, Fotografie, Film, Zeichnen, Collage, die eine oder andere Rauminstallation aus Bäumen oder Spaghetti. Damit kann ich viel besser kommunizieren.

Welche Künstler*innen haben Dein Schaffen inspiriert?
Ach so viele! Clifford Still, Cézanne, Ellsworth Kelly, Masao Yamamoto, Nobukazu Takemura, Andreas Erikkson, Alex Katz, Mamma Anderson, Jack Youngermann, Peter Doig
Stelle uns die Arbeit vor, die exemplarisch für die Botschaft Deines Werks steht, oder diese aus Deiner Sicht am besten verkörpert.
Da gibt es tatsächlich nicht eine einzige. Diese Botschaft durchdringt grundsätzlich alles, was ich mache. Die LINEscapes bieten aber diese Idee auf eine simple, leicht zu verstehende Art und Weise an. Wie sie mehrschichtig wahrgenommen werden können, kommt hoffentlich bei den meisten Betrachtern gut an. Es entsteht ein Aha-Moment. Der Betrachter sagt mir häufig – “Ich dachte zuerst, das sei ein Foto vom Meer, aber nein, das ist es ja gar nicht.“ „Wie hast du das denn gemacht?”.

Was ist das Ziel Deiner Kunst, Deines künstlerischen Werks? Was soll es beim Betrachtenden bewirken?
Ich hoffe, meine Werke vermitteln mit Wahrheit, Ehrlichkeit und Authentizität etwas, was man nicht in Worte fassen kann – das Nicht-“Erklärbare”, das Unausgesprochene, das Wunder der Natur, die diversen Wege und Ebenen, wie wir wahrnehmen, die Mehrdeutigkeit unserer eigenen Existenz, die Essenz des Lebens… Ist ja nicht zuviel von meinen Bildern verlangt!
Die Frage nach THE DEED | DAS WERK ist ein ergänzender und separat präsentierter Teil des THE INTERVIEW IN|DEEDS mit Nicole Heinzel. Der Umfang der Antworten obliegt den Interviewten. Die Redaktion redigiert die Antworten nicht.
Wie schützt Du Dich in der heutigen Zeit vor zu viel Inspiration?
Oh, das ist eine gute Frage und ein großes Thema bei mir. Ich weiß nicht, ob es Anderen so geht, aber für mich ist die ständige Nonstop-Inspiration ein Problem! Das hört sich irgendwie arrogant an, aber als Künstlerin ist es eher schwierig abzuschalten. Alles hat ein Potential als Inspiration zu dienen. Alles hat Bedeutung oder Symbolik. Wie ein Spiegelei in der Pfanne brutzelt, wie ein Haufen ungewaschener Klamotten plötzlich eine unglaubliche Farbkombi aufdeckt, wie eine Biene sich in einem Spinnengewebe verheddert hat und völlig ausrastet. Für mich ist es, in Bewegung zu sein. Wenn ich unterwegs bin und neue Landschaften entdecke, das inspiriert, oder wie sich das Licht im Laufe des Tages in meinem Atelier verändert. Es gibt selten eine Pause davon. Sogar im Schlaf beim Träumen kommen ständig Ideen und Inspirationen an. Wenn man liest, wenn man Filme guckt, andere Kunstwerke bewundert, neue Techniken entdeckt, unglaubliche Gespräche mit inspirierenden Menschen führt oder wenn man einfach mal aus dem Fenster glotzt – und ZACK!! Da ist sie schon wieder – die Inspiration! Die Inspiration ist so derartig in das Leben integriert und als KünstlerIn ist man ja offen dafür – wie ein Schwamm, der alles, was einem auffällt, aufsaugt. Dann will man alles festhalten, mit dem iPhone. Dann hat man in kurzer Zeit 120000 Fotos auf der Cloud und man weiß, dass vielleicht nur 2% davon zu einem fertigen Kunstwerk verarbeitet werden… puh anstrengend, aber auch aufregend, anregend und das Leben ist auf jeden Fall nie, nie, nie langweilig!

Wie viel in Deinen Arbeiten ist vorher geplant – wie viel entsteht intuitiv?
Ich habe diverse Serien, die beide Ansatzweisen abdecken. In meinem LINEscapes – das sind die abstrakten Werke, wo ich Linien durch eine Impastoschicht Ölfarbe mit einem Messer ziehe – die kommen aus meinem Bauch heraus. Sie sind absolut intuitiv. Ich arbeite sozusagen auch so, dass ich ja kaum sehe, was rauskommen wird. Erst wenn ich die zweite aufgetragene Schicht wieder raushole, sehe ich überhaupt, was ich da gemalt habe. Die Werke sind extrem körperlich, rhythmisch, meditativ, manchmal zu Musik, meistens ohne entstanden. Ich habe ein loses Gefühl von einem Bild vor Augen, aber im Laufe des Machens kann die geplante Farbe doch anders kommen, da sie beim Mischen dann so schon eine Kraft zeigt, die ich mir nicht hätte vorstellen können.

Die gezogenen Linien sind manchmal ruhig geplant, aber mitten im Machen packt mich der Wahnsinn und ich ziehe ganz irritierende Linien durch. Diese Art, zu arbeiten, kann natürlich manchmal ungeplante Wahnsinnswerke manifestieren, aber das kann genauso gut in die Hose gehen.
Die andere Variante ist eine gut durchgeplante Arbeit. Ich weiß ganz genau, welches Motiv ich darstellen möchte. Das suche ich in meiner riesigen Fotobibliothek, dann bearbeite ich es digital, nehme Information raus, Farbe, Form, Tiefe. Ich projiziere das Motiv auf die Leinwand und in einer beinahe mechanischen, aber auch meditativen Art, zeichne ich das Motiv mit einem Messer in die Impastoschicht rein. Dabei sind Hörbücher angesagt. Da höre ich mir gerne dabei Zen-Philosophien an oder Coaching-Tipps, wie man sein Leben besser hinbekommen kann. Das sind meistens um die 10 Stunden-Sitzungen. Alle diese Werke müssen in einem Zug durchgearbeitet werden. Ich kann nicht am nächsten Tag wieder weitermachen, da die Farbe sich dann schon anders verhält.
Was sind Deine (nächsten) Ziele?
Ungestört und fokussiert im Atelier oder im Bus zu arbeiten. Wieder zu spielen und zu experimentieren, und die neuesten Werke weiterzuentwickeln. Ich möchte meine Cyanotypien auf ein professionelleres Niveau bringen, um sie öffentlich zu zeigen. Ich habe vor, mit neuen Technologien und Materialien zu arbeiten, um eine neue Art des Zeichnens zu entwickeln. Last-and-definitely-least muss ich endlich meine Steuererklärung abhaken.
Wie stehst Du zum Thema Glauben? Hast Du Glaubensgrundsätze oder gibt es einen Leitspruch?
Ich bezeichne mich als ziemlich spirituellen Menschen. Ich *glaube* an unser Bewusstsein, und vermute, wir und eigentlich alles, was existiert, sind alle ein Stück davon. Ich finde, jede Religion hat etwas Wichtiges zu bieten, bin aber gleichzeitig ziemlich erschöpft von dem ganzen Quatsch, was zwischen bestimmten Religionen gerade abgeht.

Welches Projekt würdest Du gerne noch realisieren, wenn fehlende Zeit, mangelnder Mut oder finanzielle Ressourcen keine Rolle spielen würden?
Mein “money no object” -Traum ist ein riesiges Grundstück mit einem Kunstzentrum, Galerie und Ateliers und circa 10 Tiny Houses, um verlorene, vergessene, unentdeckte aber großartige KünstlerInnen zu beherbergen und Sichtbarkeit zu geben – vor allem Künstlerinnen. Eine Art Zufluchtsort, wo KünstlerInnen in Ruhe arbeiten und ausstellen können ODER einen neuen verdammt guten selbst-ausgebauten VW Crafter zu kaufen und eine selbst organisierte, nicht durch Raum oder Zeit begrenzte Artists Residency auf Weltreise zu leben.
Was sind aus Deiner Sicht Attribute für gute Kunst?
Hatte ich schon erwähnt: Kunst, die authentisch ist. Kunst, die die Wahrheit verfolgt, Kunst, die ehrlich ist. Um zu dieser Kunst zu kommen, ist sie davor auch gescheitert, hat Fehler erlebt (und entdeckt), hat Frust und Enttäuschung erlebt. Deswegen ist sie dann auch umso ehrlicher.
Wird man als Künstler*in geboren? Oder ist ein Kunststudium Pflicht?
Manche werden so geboren. Manche haben es sich antrainiert. Ein gutes Kunststudium kann helfen, geht natürlich aber auch ohne.
Wie siehst Du die Zukunft von Kunst im Zeitalter von KI?
Ich bin froh, dass ich echte Bilder mit echter Farbe mit meinen eigenen Händen mache. Ich vermute, dass zukünftig die von echten Menschen gemachte Kunst in einem Meer von KI gemachter Kunst eine größere Bedeutung annehmen wird. Als Werkzeug werden Künstler die KI bestimmt an ihre Grenzen bringen, so wie es sich gehört. In diesem Sinne finde ich es schon wichtig, dass wir als KünstlerInnen mit den neuen Technologien vertraut bleiben, ihre Grenzen testen, und sie für künstlerische Ideen und Konzepte nutzen – dass sie nicht nur der Industrie dienen. Ich denke daran, wie Warhol mit dem damals neuen Videoformat experimentiert und mit seiner unkonventionellen Herangehensweise die Filmindustrie stark beeinflusst hat.

Wie stehst Du zum Thema NFT?
Finde ich spannend. Hat einen schlechten Ruf, aber es scheint ja von seriösen Künstlern genutzt zu werden, z. B. Hirsts Experiment mit seinen Kunstwerken, die man entweder als NFT haben kann oder als Original – hat man die NFT-Version gewählt, wird das Original zerstört. Das stellt interessante Themen in Frage – was ist das Original? Wo liegt der monetäre Wert? Was ist der Sammlerwert? Wie sieht das aus mit dem Wiederverkauf auf dem zweiten, dritten Markt? Besitz und Copyright werden thematisiert. Ich denke, wenn man berühmt ist, kann man einen Haufen Kohle verdienen. Ansonsten weiß ich nicht, ob es viel bringt. Ich hatte es mir mal angeschaut, aber damals war mir das zu teuer, ein NFT zu erstellen. Ich glaube, mittlerweile gibt es Möglichkeiten, das günstiger zu machen. Aber ja, warum nicht? Noch mal so eine Sache, wo Kunst sich austoben kann in Hinsicht neuer Technologien.
Wem zeigst Du ein neues Werk zuerst?
Der/dem Ersten, die/der es zufällig sieht. Es sind meistens andere KünstlerInnen in meinem Atelierhaus, die zum Quatschen vorbeikommen. Manchmal geht ein Werk auch direkt zur Galerie, dann ist es der Galerist oder die Galeristin.
Wie sieht die erste Stunde Deines Tages aus?
Meinem Sohn das Frühstück und die Brotdose vorzubereiten, dabei mache ich schnell meine kurzen Yogastretches (während der Wasserkocher aufkocht). Dann kommt mein Sohn. Ich mache mit ihm etwas Quatsch und schicke ihn zur Schule mit einer bekloppten Mama-Weisheit. Diese Zeit ist militärisch bis auf die Minute präzise eingetaktet und wehe, Joshuas Papa taucht zu früh auf und bringt alles durcheinander. Dann mache ich mir das heilige heiße Getränk, das ich dann ganz genüsslich zu Nachrichten, beim Doom-scrolling oder Vogelbestaunen trinke. Dann raff ich mich zusammen, geb mir selbst einen Tritt in den Hintern und mache mich auf den Weg ins Atelier.

Sind im Zeitalter des Internets der Dinge Galerien noch notwendig? Wenn ja, warum und wofür?
Absolut! Es kann nicht sein, dass wir Kunst nur über einen Screen “genießen”. Ich will die Werke in aller Wirklichkeit wahrnehmen. Um Gottes willen. Wo wären wir ohne Galerien und Museen?
Social-Media – Segen oder Fluch?
Das kommt natürlich darauf an, wie man es nutzt. Hat man seine Nutzung gut im Griff, dienen sie als Tool und als Thermometer oder Maßstab unserer Zeit. Natürlich sind zu viele davon abhängig, ob sie genug “Likes” bekommen haben. Das kann nicht gut sein …
EPILOG | AKTUELLES
Die Einzelausstellung „frgmntd lmnts / lmntl frgmnts“ mit Arbeiten von Nicole Heinzel ist vom 8. Februar bis 5. April 2025 in der Galerie kajetan, Grolmannstr. 58, 10623 Berlin-Mitte zu sehen. Die Ausstellung ist donnerstags bis samstags von 12:00 bis 18:00 Uhr geöffnet. Die Ausstellung ist auch geöffnet im Rahmen des Galerierundgang Charlottenwalk am Freitag, 14. März 2025 von 12:00 bis 21:00 Uhr und am Samstag, 15. März 2025 von 12:00 bis 18:00 Uhr.
DEEDS-Interviews werden von unserer Redaktion nicht redigiert oder gekürzt und stets im O-Ton wiedergegeben. Daher nehmen wir auch keine Übersetzung des Interviews in Englische bzw. Deutsche vor, es sei denn, diese wird seitens des/der Interviewten eingereicht, oder wir werden mit der Übersetzung betraut. Hier wurden die deutsche und die englische Version des Interviews von der Künstlerin selbst eingereicht.