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Dienstag, Dezember 10, 2024

THE INTERVIEW IN|DEEDS: WHO IS … Annegret Soltau

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Prolog

Annegret, wo sprechen wir zusammen, wo treffen wir Dich? Ich wohne im Wald in einem alten Forsthaus. Neben dem Gebäude befindet sich ein Schießplatz für Jäger und Sportschützen mit mehreren Schießständen im Aussenbereich um uns herum und deshalb knallt es hier heftig. Wenn wir draußen sind, müssen wir uns einen Lärmschutz aufsetzen, in den Innenräumen ist es einigermaßen erträglich. Man könnte es eine gebrochene Idylle nennen. Sonntags ist der einzige Tag, an dem nicht geschossen wird, was wir sehr genießen. Mein Atelier ist im Erdgeschoss. Dort arbeite ich an meinen Bildern und habe sie auch hier gelagert, ein weiterer Lagerraum befindet sich im Nebengebäude. Ich habe immer Atelier und Lebensräume zusammen gehabt, so konnte ich, als die Kinder klein waren, immer zwischendurcharbeiten und jede, auch oft nur kurze Zeitspanne, weiterarbeiten, sowie auch abends. Diese Arbeitsweise habe ich später auch beibehalten. Mittlerweile haben wir zwei Enkelkinder und wenn sie hier sind, können sie ebenso in meinem Atelier ihre eigenen Bilder machen. Leben und Kunst bildet bei mir eine Einheit, nicht nur der Ort sondern auch meine Bildmotive.

Abb.oben: Annegret Soltau, Paris Photo am 14.11.2021, Foto: Monika Barth

Vielleicht sitzen wir an Deinem Lieblingsplatz? Mein Lieblingsplatz ist dem Fenster zugewandt mit dem Ausblick in den Wald. Im Sommer war er durch die große Hitze sehr ausgetrocknet und viele Bäume sind in den letzten Jahren wegen des veränderten Klimas eingegangen, so auch eine über das Haus ragende Tanne vor meinem Fenster. Sie war Namensgeberin des Hauses, denn es heißt Forsthaus Tanne. Du wurdest 1946 in Lüneburg geboren und lebst seit 1973 in Darmstadt. Welche Stationen und Menschen haben Dich in Deinem bisherigen Leben besonders geprägt? Als Kind lebte ich in einem kleinen Dorf am Deich direkt an der Elbe bei meiner Großmutter, die Landwirtin war. Beeindruckt hatte mich der Fluss im Winter, wenn er vollkommen zugefroren war und wir auf dem Eis in die Schule schlittern konnten, die sich im Nachbarort befand. Das Landleben war eher eintönig und es passierte nicht viel. Unser Reethaus brannte im Kriegsende ab und ich wohnte jahrelang mit meiner Oma im umfunktionierten Viehstall. Es war eine einsame und karge Zeit. Später dann kam eine ungestüme Zeit in Hamburg mit verschiedenen Berufen (Zimmermädchen – Dresdner Bank – Aupair – Barfrau – Arzthelferin usw.). Davon hat mich die Arbeit bei dem Unfallarzt Dr. Mathies am Hamburger Hafen sehr wahrscheinlich am meisten geprägt, denn ich musste bei ihm Patienten nach schweren Hafenunfällen bei den OP`s assistieren, es waren tiefe Kopfwunden, Arm-und Bein Amputationen usw. Ich musste mit zwei Zangen die Wunden offenhalten, sowie auch das Blut mit einem Wattestab abtupfen, damit der Arzt die Teile gut zusammennähen konnte. Nach der Abheilung musste ich die Fäden ziehen, auch Spritzen geben, Verbände anlegen und abnehmen und die Wundheilung überwachen. In dieser Praxis blieb ich ein gutes halbes Jahr, um dann endlich an die Kunstakademie in Hamburg zu gelangen und dort Malerei und Grafik zu studieren. Endlich war ich bei meinem Traum angelangt!(Über diese frühe Zeit hat mein Mann nach meinen Erzählungen ein Buch verfasst: „Annegret Soltau: Ich war total suchend“ von Baldur Greiner).

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Annegret Soltau im Atelier, Foto: Theo Jansen

Welche Schriftsteller*innen findest Du derzeit spannend und welche Bücher finden sich in Deinem Bücherregal? Besonders gern lese ich Biographien und Lebensläufe, sehr oft auch über/von KünstlerInnen. Aber auch einen Großteil der Bücher von dem norwegischen Schriftsteller Karl Ove Knausgard finde ich ziemlich spannend, obwohl er einen eher langweiligen und normalen Alltag beschreibt, aber wie er es schreibt ist einfach fesselnd und ungewöhnlich. Er beschreibt den schwierigen Alltag als Schriftsteller und neu daran ist, dass seine Rolle gänzlich anders ist als wie es bekannt ist von früheren Romanschriftstellern.

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Annegret Soltau, Portrait im Atelier, Foto: Axel Deus

Welche Bücher haben Dich beeinflusst oder geprägt? Bücher von Schriftstellerinnen aus den 70er Jahren habe ich zu der Zeit regelrecht verschlungen z.B. Sylvia Plath „Unter der Glasglocke“, Doris Lessing „Das Goldene Notizbuch“, Christa Wolf „Nachdenken über Christa T.“, Verena Stefan „Häutungen“, Karin Struck „Klassenliebe“, Erica Jong „Wer hat Angst vorm Fliegen“, Brigitte Schwaiger „Wie kommt das Salz ins Meer“ sowie Marlene Streeruwitz „Verführungen“. Diese Romane waren eine Offenbarung für mich, weil ich hier meine Anliegen, Gefühle und Auseinandersetzungen wiederfand, die ich selbst im Leben erfahren hatte und in meinem bildnerischen Ausdruck suchte und verfolgte. Mit der Schriftstellerin Karin Struck war ich, trotz einiger Differenzen, jahrelange befreundet und wir haben auch einige Buchprojekte zusammen gemacht: z.B. „Die Einsamkeit einer Schwangeren“, „Frauenliebe“, „Annäherungen an Ingeborg Bachmann“ sowie „Die liebenswerte Greisin“. Auf ihrem Todesbett 2006 diktierte sie ihrer Betreuerin noch einen Text für meinen Ausstellungskatalog „ich selbst“. Mit ihrer Tochter Sarah bin ich heute noch befreundet. Was liest Du aktuell und wo liegt das Buch griffbereit? Aktuell lese ich ein Buch über iranische Frauen von der Autorin Golineh Atai. Der Titel ist „IRAN die Freiheit ist weiblich“. Es liegt neben meinem Bett und ich lese täglich vor dem Einschlafen. Die Lage der Frauen im Iran interessiert mich sehr, vor einigen Jahren hatte ich Kontakt zu einer Künstlerin in Teheran. Sie lud mich ein, als Online-Jurorin für die KünstlerInnen-Gruppe „Pershbook“ teilzunehmen. Dadurch bekam ich einen internen Einblick in die aktuelle Kunst der IranerInnen. Es sollte auch eine Ausstellung meiner Arbeiten in dem Museum in Isfaham stattfinden und ich machte schon Pläne, wann und wie ich dorthin reisen könnte. Aber leider kam diese Ausstellung nicht zustande, als die Kuratoren des Museums meine Bilder sahen, die den nackten und fragmentierten Körper von Frauen zeigten. Neda, meine Mentorin, musste mir daraufhin eine Absage erteilen. Mittlerweile ist der Kontakt abgebrochen und wir sehen uns nur noch über die sozialen Medien.

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Annegret Soltau, Mit mir SELBST, 2022, Santiago de Chile, VG Bild-Kunst Bonn, 2022

Welche Musik hörst Du und wann? Früher hörte ich vorwiegend aktuelle Rockmusik der 60/70er Jahre, nach denen ich auch gern tanzte, z.B. Janis Joplin, Tina Turner, Beatles, Rolling Stones usw., meine Lieblingssongs sind aber auch immer noch „Nothing compairs“ von Sinead O`Connor und Prince „Purple Rain“. Gern höre ich auch Musik von Björk, Meredith Monk und Laurie Anderson, sowie manchmal Marianne Faithful oder Alicia Keys und viele andere mehr. Früher habe ich beim Zeichnen und Arbeiten oft Musik gehört und einige Zeichnungen entstanden bei der Musik von Janis Joplin. Welchen Sport oder Ausgleich zu Deiner künstlerischen Arbeit betreibst Du? Ich mache einigermaßen regelmäßig Yoga und benutze als Fortbewegungsmittel und zum Einkaufen immer das Fahrrad (kein Elektro, ich bewege mich lieber mit eigener Kraft). Und draußen an der Wand am Nebengebäude steht ein HulaHoop-Reifen, den ich des öfteren benutze. Sport an sich interessiert mich nicht besonders und ist mir zu zeitintensiv. Für welche besonderen Leidenschaften oder Hobbies brennst Du? Meine Leidenschaft ist und war immer die Kunst, es erfüllt mich ganz und gar, daneben brauche ich keine Hobbies. Welches Persönlichkeitsmerkmal macht Dich besonders aus? Meine Beständigkeit bei dem zu bleiben, was ich mir im Leben gesucht oder gefunden habe.

INTERVIEW | KÜNSTLER + POSITION

Wir möchten kurz Deinen künstlerischen Werdegang vorstellen. Ausgebildet wurdest Du als Malerin und Grafikerin an der Hochschule für bildende Künste Hamburg und der Akademie der bildenden Künste Wien (1967–1972) bei Hans Thiemann, Kurt Kranz, David Hockney und Rudolf Hausner. Haben wir etwas übersehen? Falls ja, nenne uns weitere Stationen Deines künstlerischen Werdegangs.

Wie bist Du zur Kunst gekommen? Warum Kunst?

Kunst war wie ein Stern, den ich immer am Horizont gesehen habe, auch wenn es noch Jahre dauerte, habe ich ihn nie aus den Augen verloren…..

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courtesy of the artist

Was macht Dich aktuell glücklich?

Meine Enkelkinder, meine Familie und Freunde, mein Leben mit  und in der Kunst, die Menschen, die ich in diesem Zusammenhang immer wieder treffe oder neu kennenlerne und natürlich, wenn mir eine künstlerische Arbeit gelungen scheint.

Was macht Dir aktuell Angst?

Die allgemeine Weltlage z.B. Klimakatastrophe, der russische Angriffskrieg in der Ukraine, die Unterdrückung und Gewalt  gegen Frauen, Menschen auf der Flucht, die im Meer sterben müssen, es ist unerträglich.

Glaubst Du, dass Kunst eine gesellschaftliche Verantwortung trägt? Und was denkst Du, was sie bewirken kann?

Es ist möglich, einzelne Menschen damit zu berühren und dadurch etwas zu bewirken.

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courtesy of the artist

Was macht Deine Kunst aus? Worum geht es in Deinem Werk – was sind die zentralen Themen?

Meine Themen entsprechen oft dem jeweiligen Lebensabschnitts. Es geht mir dabei nicht primär um das eigene Selbst sondern ich sehe mich exemplarisch.

THE DEED | DAS WERK

Annegret Soltau. Die 1946 in Lüneburg geborene und seit 1973 in Darmstadt lebende Künstlerin Annegret Soltau spricht in ihrem Interview über die zentrale Botschaft ihres künstlerischen Werks.

Bitte beschreibe das Kernthema und die zentrale Botschaft Deines Werks. Stelle uns die Arbeit vor, die exemplarisch für die Botschaft Deines Werks steht, oder diese aus Deiner Sicht am besten verkörpert.

Es gibt für mich kein exemplarisches Werk sondern alle Bilder gehören, wie ein Lebensband, alle miteinander zusammen.

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Annegret Soltau, Installation Vatersuche, Mathildenhöhe, 2006, Foto: Heinz Hefele

Was ist das Ziel Deiner Kunst, Deines künstlerischen Werks? Was soll es beim Betrachter bewirken?

Mein zentrales Anliegen ist, körperliche Prozesse in meine Bilder miteinzubeziehen, um Körper und Geist als gleichwertig zu verbinden.

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Annegret Soltau, Video-Installation, schwanger, Foto: Heinz Hefele

Die Frage nach THE DEED | DAS WERK ist ein ergänzender und separat präsentierter Teil des THE INTERVIEW IN|DEEDS mit Annegret Soltau. Der Umfang der Antworten obliegt den Interviewten. Die Redaktion redigiert die Antworten nicht.

Wie schützt Du Dich in der heutigen Zeit vor zu viel Inspiration?

Es ist nicht mein Problem, ich lasse mich nur davon inspirieren was mich fesselt, berührt oder erschüttert, ich muss nicht alles darstellen.

Wie viel in Deinen Arbeiten ist vorher geplant – wie viel entsteht intuitiv?

intuitiv und geplant

courtesy of the artist

Was sind Deine (nächsten) Ziele?

Meist arbeite ich in Serien, die ich unbedingt beenden möchte und manche werden erst mit meinem Tod beendet sein. Z.B. die Serie „personal identity“ besteht aus Selbstportraits in denen ich alle meine gespeicherten Dokumente einnähe. Die Serie beginnt mit einem Selbstportrait, in dem ich meine Original Geburtsurkunde  eingenäht habe. Das letzte Motiv wird meine Sterbeurkunde sein und ich habe meiner Tochter aufgetragen, diese Arbeit nach meinem Tod zu machen und damit wird diese Arbeit erst nach meinem Tod vollständig beendet sein.

Wie stehst Du zum Thema Glauben? Hast Du Glaubensgrundsätze oder gibt es einen Leitspruch?

Ich verstehe mich als Agnostikerin

Welches Projekt würdest Du gerne noch realisieren, wenn fehlende Zeit, mangelnder Mut oder finanzielle Ressourcen keine Rolle spielen würden?

Ich muss meine Vatersuche noch unbedingt beenden, weil sich eine neue Spur ergeben hatte. Geblieben davon sind die Dokumente eines DNA Abgleichs, die aber leider auch zu keinem Ergebnis führte. So bleibt auch diese jahrelange künstlerische Arbeit ohne reales Ergebnis sondern nur das Dokument einer endlosen Suche.

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courtesy of the artist

Wird man als Künstler*in geboren? Oder ist ein Kunststudium Pflicht?

Ich denke schon, dass man als KünstlerIn geboren wird, trotzdem kann ein Studium nicht schaden.

Wie siehst Du die Zukunft von Kunst im Zeitalter von KI?

es wird sich finden…..

Wie stehst Du zum Thema NFT?

Damit muss ich mich erst noch näher beschäftigen, hatte bis jetzt noch keinen Nerv dazu…..

Wem zeigst Du ein neues Werk zuerst?

Meistens meinem Mann, der auch Künstler ist, aber manchmal auch nicht und ich lege es einfach erst einmal beiseite.

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courtesy of the artist

Wie sieht die erste Stunde Deines Tages aus?

Frühstück mit Tageszeitung lesen und ab und zu Tagebuch schreiben. Dieses Tagebuch hat sich so entwickelt, dass ich eine Seite per Hand schreibe und die andere Seite das Weltgeschehen oder Dinge, die mich besonders interessiere, aus Zeitungen ausreisse und einklebe. In den letzten Jahren habe ich dann immer auch noch ein sogenanntes „Bilderbuch“ hinzugefügt, dieses entsteht vom Ende des Buches und führt hin zu dem Geschriebenen. In dieser Art habe ich schon einige Kisten voll, ein Teil davon befindet sich bereits im Hessischen Staatsarchiv, wohin dann auch der Rest der Bücher kommen wird.

Social-Media – Segen oder Fluch?

ich poste und like manchmal ganz gerne……

EPILOG | AKTUELLES

Die Ausstellung „ÜBERSCHAU #11 VERMEER CONTEMPORARY“ mit einer Arbeit von Annegret Soltau ist vom 25. August bis 4. November 2023 im CSR.ART Contemporary Showroom, Friedrichstraße 67-70 in 10117 Berlin-Mitte zu sehen. Die Arbeit wird in einer Gruppenausstellung mit verschiedenen Künstler*innen präsentiert. Die Ausstellung ist Dienstag bis Samstag von 11:00 bis 19:00 Uhr geöffnet.

Annegret Soltau (Instagram: @annegretsoltauofficial)

Annegret Soltau (Facebook: @annegret.soltau)


Die DEEDS-Interviews werden von unserer Redaktion nicht redigiert oder gekürzt und stets im O-Ton wiedergegeben. Daher nehmen wir auch keine Übersetzung des Interviews in Englische bzw. Deutsche vor, es sei denn, diese wird seitens des/der Interviewten eingereicht, oder wir werden mit der Übersetzung betraut. Hier wurde die deutsche Version des Interviews von der Künstlerin eingereicht.

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