PROLOG | PERSÖNLICHES
Justine, wo treffen wir Dich? Ich arbeite, wo ich wohne, d.h. mein Atelier grenzt direkt an meinen Wohnbereich an. Mein Atelier ist umgeben von Grün, viel Grün, denn es liegt im Biosphärenreservat an der Elbe vor den Toren Hamburgs. Vor meiner Malwand habe ich links und rechts zwei große Fenster, links sehe ich einen großen Eichenbaum und rechts ist es mittlerweile zugewachsen mit einem dichten Bambuswald. Durch mein Oberlicht fällt aber immer noch viel Sonne auf meine Malwand.
Abb. oben: Im Atelier
Vielleicht sitzen wir an Deinem Lieblingsplatz? Mein Lieblingsplatz in meinem Atelier ist der kleine Ofen, besonders im Winter. Direkt davor steht ein Sessel, in dem ich gerne zusammen mit meinen Yorkshire Mädchen meine Malwand von weitem betrachte. Das mache ich oft und gerne und das ist auch ein essentieller Bestandteil meiner Malerei. Du wurdest 1974 in Zabrze, Polen geboren und lebst in Hamburg und Berlin. Welche Stationen und Menschen haben Dich in Deinem bisherigen Leben besonders geprägt? Na, ich denke es ist schon ein wichtiger Punkt in meinem Leben, dass ich bis zu meinem zehnten Lebensjahr in Polen aufgewachsen bin, das war damals schon eine andere Welt. Ich habe als Kind noch den Ausnahmezustand in Polen miterlebt mit den ganzen Einschränkungen. Man konnte nicht ausreisen und es gab nur ein begrenztes Angebot an Lebensmitteln in den Geschäften. Zudem gab es Lebensmittelkarten und bestimmte Waren wie Fleisch oder Käse wurden rationiert. Aber es war auch sehr authentisch dort aufzuwachsen und bodenständiger ohne die ganze glänzende Welt, die ich dann später in der BRD kennengelernt habe. Diese speziellen Alltäglichkeiten, wie die Omas zum Beispiel, die damals überall in Zeitungspapier eingewickelte Sonnenblumenkerne für 5 Zloty verkauft haben, hätte ich nicht missen wollen.
Welche Schriftsteller*innen findest Du derzeit spannend und welche Bücher finden sich in Deinem Bücherregal? Tschick von Herrendorf, alles von T.C.Boyle, Nell Zink, Juli Zeh. Welche Bücher haben Dich beeinflusst oder geprägt? – Was liest Du aktuell und wo liegt das Buch griffbereit? Zur Zeit lese ich die Gespräche zwischen David Sylvester und Francis Bacon. Welche Musik hörst Du und wann? Musik ist für mich fundamental beim Malen, nicht umsonst tragen vieler meiner Bildertitel Songtitel, allerdings kann ich nicht immer Musik hören, es gibt Zeiten, da brauche ich absolute Ruhe beim Malen. Wenn ich Musik höre ist das Björk, Arvo Pärt, Massive Attack, die bulgarische Chöre, Portishead, Ween, Viagra Boys, Elliott Smith, Yeah yeah yeah, Alice Merton, Jeff Buckley, Chopin, viel Jazz…
Wenn Du etwas für uns kochen würdest, was wäre es? Thai Chicken im Wok. Was isst Du am liebsten? Alles asiatische. Was hältst Du vom Frühstücken? Nix, gehe joggen. Welchen Sport oder Ausgleich zu Deiner künstlerischen Arbeit betreibst Du? Mit meinen Hunden laufen. Für welche besonderen Leidenschaften oder Hobbies brennst Du? Meine Tiere (drei Hunde & zwei Katzen). Welches Persönlichkeitsmerkmal macht Dich besonders aus? Kopf durch die Wand (typisch Widder!). Hast Du ein Anliegen, das Du mit uns teilen möchtest? Oder eine Antwort auf eine (nicht von uns gestellte) Frage, die Dich aktuell bewegt? –
INTERVIEW | KÜNSTLER + POSITION
Wir möchten kurz Deinen künstlerischen Werdegang vorstellen. Zwischen 1997 und 2000 hast du als Bühnenbildnerin bei den Städtischen Bühnen Frankfurt gearbeitet. Ab 1996 hast du an der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste (Städelschule) in Frankfurt am Main bei Peter Angermann und Michael Krebber studiert und warst Meisterschülerin im Fach Freie Malerei. 2003 hast du dein Studium abgeschlossen. Seit 2016 bist du Mitglied des MalerinnenNetzwerks Berlin-Leipzig, einem Zusammenschluss von Malerinnen. Haben wir etwas übersehen? Falls ja, nenne uns weitere Stationen Deines künstlerischen Werdegangs.
Wie bist Du zur Kunst gekommen? Warum Kunst?
Meine Mutter hatte ein Faible für Kunstbücher. Das waren die ersten Bezugspunkte, an die ich mich gut erinnere. Da war zum Beispiel ein wunderbarer Katalog von Stanislaw Ignacy Witkiewicz, auch Witkacy genannt. Seine in den 1920er-Jahren gemalten, ziemlich schrägen Ölbilder und Pastelle mochte ich, weil sie schön, zugleich furchteinflößend waren. Ebenso die kleinen Aquarelle, die Nikifor, ein Autodidakt, jeden Tag in einem Kurort angefertigt hatte. Auf ihre Weise recht naiv, haftet ihnen etwas so Intimes wie Authentisches an.
Was macht Dich aktuell glücklich?
Draußen in der einsamen Natur zu sein
Was macht Dir aktuell Angst?
Ich denke, wie vielen, die gesamtpolitische Lage mit den vielen Konflikten in der Welt und die Ignoranz der Menschen, wenn es um das Thema Klimaänderung geht.
Glaubst Du, dass Kunst eine gesellschaftliche Verantwortung trägt? Und was denkst Du, was sie bewirken kann?
Was mir auffällt, dass Menschen gerade in prekären Zeiten einen Hunger nach Kunst, sei es in Form von Musik, Theater oder bildender Kunst verspüren. Das war ja sogar in Konzentrationslagern während der NS-Zeit der Fall, als Musiker weiterhin musiziert haben und in der Ukraine, wo weiterhin Theatervorstellungen in Kiew stattfanden, während die Stadt bombardiert wurde. Kunst scheint also etwas zu haben, was uns beruhigt und uns einen Sinn im Dasein verspüren lässt.
Was macht Deine Kunst aus? Worum geht es in Deinem Werk – was sind die zentralen Themen?
Besonders spannend finde ich es in meiner Malerei die Grenze zwischen Figuration und Abstraktion auszuloten. In meinen neuen Arbeiten stehen mittlerweile figurative Elemente neben völlig abstrahierten Passagen. Ich mag den Gegensatz zwischen dem völlig Losgelösten, wo Malerei ganz frei ist, weil sie nicht durch das Einhalten einer (sinngebenden) Form begrenzt ist und der Figuration, wo eher die Ratio vorherrscht. Dies versuche ich durch eine Variationsdichte an verschiedenen Techniken zu erreichen. Über die Jahre habe ich mir ein weites Spektrum an vielen Techniken erarbeitet, aus dem ich nun schöpfen kann: es wird gesprayt, nass- in -nass gemalt, abgeklebt, weggeschabt, gespachtelt, alles aufgelöst, gestempelt, mit verschiedenen Werkzeugen gearbeitet. Ich mag es, wenn verschiedene Techniken aufeinandertreffen und das Ganze sich zu einem stimmigen Bild zusammensetzt. Es gibt keine Tabus. Mut und sich Herauszufordern, gehört für mich zur Malerei dazu.
THE DEED | DAS WERK: Justine Otto
Die 1974 in Zabrze (Polen) geborene und in Hamburg und Berlin lebende Künstlerin Justine Otto spricht in ihrem Interview über die zentrale Botschaft ihres künstlerischen Werks.
Bitte beschreibe das Kernthema und die zentrale Botschaft Deines Werks.
Ehrlich gesagt, wenn Kunst eine ‘Botschaft’ hat, mag ich sie nicht oder finde sie schlecht. Am besten ist Kunst dann, wenn sie keine Botschaft hat. Ein Kernthema gibt es nicht. Wie ein roter Faden spinnen sich die Themen von einem Bild zum nächsten. Ein Faden ist jedoch immer der menschliche Körper, der sich oftmals in Abstraktion auflöst oder in der Abstraktion aufgeht.
Stelle uns die Arbeit vor, die exemplarisch für die Botschaft Deines Werks steht, oder diese aus Deiner Sicht am besten verkörpert.
Wie gesagt, ich will keine ’Botschaften’ übermitteln. Ich kann aber gerne eine Arbeit beschreiben und den Prozess wie sie entstanden ist:
Nehmen wir doch eine Arbeit aus meiner Heroes Serie: Als Inspirationsquelle dienten mir Schwarz-Weiß-Fotografien von „Machtpersonen“, also Generälen oder Soldaten aus der Kaiser-Wilhelm-Zeit. Reizvoll fand ich das dekorative „Equipment“, mit dem sie ausstaffiert sind, wie Orden, Medaillen, Reversverzierungen, Kopfbedeckungen, das abstrahierte ich immer weiter, bis es nur noch reine Formen waren. So entstanden meine abstrakt-kubistisch anmutenden Helden.
Von dort führte mich der Weg schnurstracks zu den Heldenfiguren des Wilden Westens, wie dem rauchenden Marlboro-Mann, der einsam durch die Prärie reitet. Es gibt diesen roten inhaltlichen Faden, manchmal auch ästhetische Aspekte wie den Hut, der mich wegen seiner Zeitlosigkeit reizt und quasi von Sujet zu Sujet führt. So erging es mir auch bei „Multiplayer“: Das Bild entstand als Fortsetzung meiner Cowboymänner, die mich in die Musikhistorie der Cowboyhelden der 20er-Jahre führten, wie z.B. Roy Rodgers, Gene Autry.
Was ist das Ziel Deiner Kunst, Deines künstlerischen Werks? Was soll es beim Betrachter bewirken?
Ich will gute Malerei schaffen, die Menschen, die etwas davon verstehen auch gut finden. Gute Malerei, bei der der Inhalt mit der Form eine stimmige Einheit bildet.
Die Frage nach THE DEED | DAS WERK ist ein ergänzender und separat präsentierter Teil des THE INTERVIEW IN|DEEDS mit Justine Otto
Wie schützt Du Dich in der heutigen Zeit vor zu viel Inspiration?
Die Ruhe in der Landschaft an der Elbe
Wie viel in Deinen Arbeiten ist vorher geplant – wie viel entsteht intuitiv?
Das ist unterschiedlich. Meistens entstehen zuerst Zeichnungen und dann Collagen. Sie sind wie ein Gerüst oder eine Idee, die durch die Malerei belebt wird. Das ganze kann dann aber während des Malvorgangs in eine völlig andere, nicht eingeplante Richtung gehen. Mittlerweile merke ich beim Malen, dass ich es gezielt auf diesen Punkt hinauslaufen lasse, wo ich fast alles Geplante über Bord werfe, und ein völlig neues Terrain betrete. Das kann sehr enervierend sein, aber würde ich diesen Weg nicht einschlagen, würde ich mich nicht herausgefordert fühlen.
Was sind Deine (nächsten) Ziele?
Demnächst stehen bei mir einige Ausstellungen im Ausland an, so z.B. in Süd-Korea, Frankreich und den USA an.
Wie stehst Du zum Thema Glauben? Hast Du Glaubensgrundsätze oder gibt es einen Leitspruch?
Ich glaube an die Natur und an den Lauf der Dinge.
Welches Projekt würdest Du gerne noch realisieren, wenn fehlende Zeit, mangelnder Mut oder finanzielle Ressourcen keine Rolle spielen würden?
Ich würde gerne noch mehr Bäume pflanzen als ich es bisher schon getan habe.
Was sind aus Deiner Sicht Attribute für gute Kunst?
Das ist so schwer zu beschreiben, das kann ich hier gar nicht ganz kurz abhandeln. Bei Malerei spürt und sieht man das, wenn man so schon so viele Jahre wie ich malt. Aber Authentizität und Originalität sind wichtige Kriterien für mich. Auch wenn Kunst mit einer Absicht daherkommt, ist sie mir suspekt.
Wird man als Künstler*in geboren? Oder ist ein Kunststudium Pflicht?
Bestimmte Grundkenntnisse sowohl in der Kunstgeschichte als auch in den Techniken sind bestimmt von Vorteil, eine gute Allgemeinbildung auch.
Wie siehst Du die Zukunft von Kunst im Zeitalter von KI?
–
Wie stehst Du zum Thema NFT?
Noch keine Erfahrung damit, aber das ist für die Zukunft sicherlich ein relevantes Thema
Wem zeigst Du ein neues Werk zuerst?
Meinem Mann
Wie sieht die erste Stunde Deines Tages aus?
Kaffee und Instagram
Social-Media – Segen oder Fluch?
Segen mit Suchtcharakter
EPILOG | AKTUELLES
Die Ausstellung „ÜBERSCHAU #11 VERMEER CONTEMPORARY“ mit Malerei von Justine Otto ist vom 25. August bis 23. September 2023 im CSR.ART Contemporary Showroom, Friedrichstraße 67-70 in 10117 Berlin-Mitte zu sehen. Die Arbeiten werden in einer Gruppenausstellung mit verschiedenen Künstlern präsentiert. Die Ausstellung ist Dienstag bis Samstag von 11:00 bis 19:00 Uhr geöffnet.
Justine Otto (Instagram: @ottojustine)
__________
Die DEEDS-Interviews werden von unserer Redaktion nicht redigiert oder gekürzt und stets im O-Ton wiedergegeben. Daher nehmen wir auch keine Übersetzung des Interviews in Englische bzw. Deutsche vor, es sei denn, diese wird seitens des/der Interviewten eingereicht, oder wir werden mit der Übersetzung betraut. Hier wurde die deutsche Version des Interviews von der Künstlerin eingereicht.