Das Städel Museum widmet dem frühen Kupferstich als künstlerischem Bildmedium eine eigene Ausstellung. Vom 28. September 2022 bis 22. Januar 2023 werden etwa 130 bedeutende deutsche und niederländische Kupferstiche des 15. Jahrhunderts präsentiert. Die Ausstellung zeichnet die Entwicklung des Kupferstichs von einfachen Anfängen zu immer anspruchsvolleren Schöpfungen nach.
Abb. oben: Israhel van Meckenem, Kampf zweier Wilder Männer zu Pferd, um 1480
Zu sehen sind herausragende Blätter u. a. von Martin Schongauer, Wenzel von Olmütz oder Israhel van Meckenem sowie von frühen, anonymen Stechern wie dem Meister ES, dem Meister mit den Bandrollen oder dem Meister b(x)g. Den Abschluss bilden einige der ersten Kupferstiche des großen deutschen Renaissancekünstlers Albrecht Dürer.
Der Kupferstich zählt zu den ältesten Techniken des europäischen Bilddrucks. Das Tiefdruckverfahren entwickelte sich um 1430/1440 aus der Kunst des Gravierens von Metall in den Goldschmiedewerkstätten. An Ober- und Niederrhein, etwas später auch in Italien, begannen Goldschmiede und Maler, religiöse und weltliche Darstellungen in Kupferplatten zu stechen, die sie anschließend auf Papier abdruckten. Die vervielfältigten Bilder wurden für die private Andacht genutzt oder dienten als Vorlagenmaterial für Maler, Glasmaler und Bildhauer – oder andere Kupferstecher. Nach und nach entstand eine im Druck verbreitete neue Bilderwelt, deren Reiz auch heute noch in einer einfachen und doch wirkungsvollen grafischen Gestaltung und einer unmittelbaren, faszinierenden Erzählfreude liegt.
Philipp Demandt, Direktor des Städel Museums, über die Ausstellung: „Die überaus seltenen frühen Kupferstiche geben nicht nur Einblicke in die Welt des Spätmittelalters. Sie spielen als gedruckte, vervielfältigte und verbreitete Bilder in der Kunstgeschichte eine eigene und folgenreiche Rolle. Das Städel Museum verfügt dank seines ersten Sammlungsinspektors Johann David Passavant über einen herausragenden Bestand. Unsere Ausstellung präsentiert anschaulich, wie sich der Kupferstich zu einem neuartigen, dynamischen Bildmedium entwickelte und so auch VOR DÜRER. KUPFERSTICH WIRD KUNST
„Als Dürer in den letzten Jahren des 15. Jahrhunderts in Nürnberg seine Werkstatt gründete, konnte er sich auf eine bereits entwickelte Tradition beziehen. Der Meister ES hatte Kupferstiche in großer Menge geschaffen und ihre Herstellung als ein eigenes Gewerbe etabliert, bei Martin Schongauer waren Kupferstiche auf ein künstlerisches Niveau gehoben worden, das sie potenziell mit Gemälden gleichsetzte. Der Hausbuchmeister hatte eine originelle und spontane Ästhetik hinzugefügt und Israhel van Meckenem das innovative und wirtschaftlich erfolgversprechende Potenzial des gestochenen Bildes weiterentwickelt. Dazu kamen etliche begabte Kupferstecher, die die Bildproduktion im letzten Viertel des Jahrhunderts bereicherten“, erläutert Martin Sonnabend, Leiter der Graphischen Sammlung bis 1750
Die frühen Kupferstiche des Städel Museums wurden zum größten Teil um die Mitte des 19. Jahrhunderts vom damaligen Sammlungsinspektor Johann David Passavant zusammengetragen. Heute umfasst der Bestand des Städel Museums etwa 260 Blätter, die Hälfte davon wurde von Passavant in den Jahren zwischen 1840 und 1861 erworben. Passavant, der selbst Maler war und in seiner Jugend dem Kreis der Nazarener in Rom angehört hatte, sah die Kupferstiche des 15. Jahrhunderts mit den Augen eines Romantikers. In den einfachen, bescheidenen, dabei christlichen und scheinbar „für alle“ geschaffenen Bildern konnte er eine Verwandtschaft mit dem nazarenischen Kunststreben finden. Diese Perspektive spiegelte den doppelten Charakter der frühen Kupferstiche als zumeist fromme „Gebrauchsbilder“ und mit gestalterischem Anspruch geschaffene „Kunstwerke“ wider. Neben der Sammeltätigkeit liegt Passavants Verdienst in der umfangreichen Erfassung bis dahin wenig oder gar nicht bekannter Kupferstiche. Es war der Beginn der professionellen wissenschaftlichen Forschung als Grundlage der Arbeit des Museums.
Die Kapitel der Ausstellung
Frühe Kupferstiche und der Meister ES
Die frühesten Kupferstiche sind heute ausgesprochene Raritäten, sie wurden ohnehin nur in wenigen Exemplaren gedruckt. Sie entstanden in den Werkstätten von Goldschmieden oder Malern. Beim Stechen mit dem Grabstichel in die Metallplatten modellierten die Kupferstecher ihre Motive mit Schattenflächen aus dichten Strichbündeln, wie sie vergleichbar in Federzeichnungen der Zeit vorkommen.
Gedruckt wurde anfangs, indem das Papier auf die eingefärbten Platten gelegt und die Darstellung dann mit viel Kraft durchgerieben wurde. Die Motive wurden in der Regel nach Vorlagen kopiert.
Neben den Aposteln des Meister des Johannes Baptista (tätig um 1440–1460? am Oberrhein, Basel?) oder den Passions-Kupferstichen des Meister mit den Bandrollen (tätig um 1450–1470 in den östlichen Niederlanden) präsentiert die Ausstellung Kupferstiche des Meister ES, darunter Die kleine Madonna von Einsiedeln und Der Ritter und die Dame mit Helm und Lanze. Der Meister ES war der erste „professionelle“ Kupferstecher. Er war vermutlich als Goldschmied ausgebildet und um 1440/1450–1467 am Oberrhein tätig, vielleicht in Straßburg. Früh entwickelte er eine systematische grafische Sprache, deren Ziel es war, mit der Qualität von Malerei zu rivalisieren. Der Meister ES schuf bis zu 500 Kupferstiche, von denen etwa 300 erhalten sind. Es bestehen enge Bezüge zur Straßburger Malerei und Skulptur seiner Zeit, aber auch zur franko-flämischen Buch- und Tafelmalerei, darunter zu den die Zeit prägenden Gemälden Rogier van der Weydens.
Die frühen Kupferstiche wurden nicht als wertvolle Kunstwerke betrachtet und sorgfältig aufbewahrt, sondern als Bilder genutzt. Sie dienten zunächst vor allem religiösen Zwecken: So konnten etwa Heiligenfiguren auf Wände und Möbel geklebt, berührt, angebetet oder geküsst werden. Die meisten Grafiken des Meister ES gingen durch diesen privaten Gebrauch verloren, umso seltener sind die noch erhaltenen Blätter
Martin Schongauer
Im Gegensatz zu den Kupferstichen des Meister ES sind die von Martin Schongauer (Colmar um 1445–1491 Breisach oder Colmar) überwiegend in verhältnismäßig großer Anzahl erhalten (etwa 25 bis 80 Exemplare). Schongauer gilt als bedeutendster Kupferstecher des 15. Jahrhunderts. Der Sohn eines Goldschmieds war von Haus aus mit Metallbearbeitung vertraut, ließ sich aber zum Maler ausbilden. Um 1470 machte er sich selbstständig und schuf neben seiner Malerei ein etwas über 100 Kupferstiche umfassendes druckgrafisches Werk. Schongauer verwendete als Erster ein einheitliches Monogramm als Signatur.
In der Ausstellung sind u. a. Szenen aus dem Marienleben, die Madonna im Hofe oder das Blatt Der Heilige Antonius, von Dämonen gepeinigt sowie profane Motive, Wappenbilder und ornamentale, bzw. auf die Goldschmiedekunst bezogene Arbeiten wie Ein Rauchfass zu sehen. Seine Kupferstichkompositionen waren nie Kopien von Bildvorlagen, sondern grundsätzlich eigene Erfindungen. Er perfektionierte seine
grafische Sprache und schuf technisch und künstlerisch hochentwickelte Meisterwerke. Schongauer verstand es, das Zusammenspiel von schwarzer Linie und weißem Papier im Kupferstich so zu gestalten, dass eine reiche malerische Wirkung entsteht. In seinen Darstellungen finden Licht, unterschiedliche Materialoberflächen, Raum und Körpervolumen zu einem stimmigen Ganzen zusammen. Eine Besonderheit Schongauers sind seine feinfühligen, mit größter Genauigkeit beobachteten Naturstudien. Seine Werke wurden in ganz Europa bewundert und kopiert, sowohl in Kupferstichen als auch in Gemälden und anderen Bildmedien.
Deutsche Kupferstiche 1470–1500
Die Kupferstiche Martin Schongauers setzten Maßstäbe im späten 15. Jahrhundert. Die meisten Kupferstecher dieser Zeit waren Maler oder Goldschmiede, die nebenher Druckgrafiken schufen. Wenige sind mit Namen bekannt, doch kennzeichneten sie ihre Werke nach dem Beispiel Schongauers mit Monogrammen und Hausmarken. Der Meister BM (tätig um 1480–1500 in Süddeutschland, Oberrhein) und der Meister AG (tätig um 1475–1490 am Oberrhein und in Franken, Würzburg) waren im unmittelbaren Umkreis Schongauers tätig, andere, wie der Meister BR mit dem Anker (tätig um 1480–1490 am Niederrhein, möglicherweise in Köln), kannten seine Kupferstiche und ahmten sie nach.
Ein weiterer einflussreicher Künstler war der sogenannte „Hausbuchmeister“, der im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts am Mittelrhein und möglicherweise in einem höfischen Umfeld tätig war. Er kratzte originelle und unterhaltsame Motive in weiches Metall und druckte ganz wenige Abzüge. Bekannt wurden seine Kaltnadelradierungen durch Kopien wie die des Meisters b(x)g (tätig um 1470–1490 am Mittelrhein [Frankfurt am Main?]), von Israhel van Meckenem und auch von Wenzel von Olmütz (tätig um 1475–um 1500 in Olmütz/Olomouc), einem auf Nachstiche spezialisierten Goldschmied aus dem heutigen Tschechien.
Gegen Ende des Jahrhunderts betonten die Kupferstecher bisweilen den Charakter ihrer Grafiken als eigenständige Kunstwerke. Der Meister LCz (tätig um 1470–1500 in Franken) schuf einige Blätter, die in ihrer Bildwirkung neben Gemälden bestehen können, Mair von Landshut (tätig um 1500 in Freising und Landshut) druckte seine Kupferstiche auf farbig getöntes Papier und überarbeitete sie mit dem Pinsel zu virtuosen Hell-Dunkel-Kompositionen.
Israhel van Meckenem und niederländische Kupferstiche 1470–1500
Der produktivste und wirtschaftlich erfolgreichste Kupferstecher des 15. Jahrhunderts war Israhel van Meckenem (in oder bei Bonn um 1440/1445–1503 Bocholt), ein niederrheinischer Goldschmied, der in Bocholt nahe den heutigen Niederlanden arbeitete. Tätig ab etwa 1470 und stichtechnisch hoch versiert, legte er seinen Schwerpunkt auf das Kopieren von gewinnversprechenden Vorlagen. Er stach Kupferstiche des Meisters ES, Martin Schongauers und des noch jungen Dürer nach, ließ sich aber auch eigens entworfene Vorlagen von Künstlern wie Hans Holbein d. Ä. und anderen liefern. Auf diese Weise brachte er neue Motive auf den Markt, insbesondere aus dem Alltagsleben seiner Zeit, die sein Publikum unmittelbar ansprachen. Dazu gehören etwa die Moriskentänze, städtische Fastnachtsvergnügungen, die bei ihm erstmals im Bild auftauchen, und vor allem die Folge des sogenannten Alltagslebens.
Die niederländischen Kupferstecher des späteren 15. Jahrhunderts, die neben Israhel van Meckenem in der Ausstellung präsentiert werden, waren überwiegend entlang des Niederrheins tätig, weniger in Zentren der Malerei wie Brügge oder Gent. Sie schufen anspruchsvolle Kupferstiche, die technisch die Kenntnis der Werke Martin Schongauers verraten. Sie zeigen Motive aus der zeitgenössischen niederländischen Malerei, gelegentlich aber auch ungewöhnliche, originelle Darstellungen.
Albrecht Dürer
Wie Martin Schongauer war Albrecht Dürer (1471–1528) der Sohn eines Goldschmieds und damit von Kindheit an mit der Bearbeitung von Metall vertraut. Während der Ausbildung zum Maler in seiner Heimatstadt Nürnberg war er so sehr von Schongauers Kupferstichen beeindruckt, dass er während seiner Gesellenwanderung auch Colmar aufsuchte. Dort konnte er den kurz zuvor verstorbenen Meister aber nicht mehr antreffen. Als Dürer um 1495 in Nürnberg seine Werkstatt gründete, nahm er nur einzelne Gemäldeaufträge an und konzentrierte sich in erster Linie auf die Druckgrafik. Diese machte ihn in wenigen Jahren, auch dank seines markanten Monogramms, europaweit bekannt. Schon seine frühen Kupferstiche waren so erfolgreich, dass sie in kürzester Zeit von Israhel van Meckenem, Wenzel von Olmütz und anderen nachgestochen wurden. Dürer führte die grafischen Ausdrucksmöglichkeiten des Kupferstichs zu einer neuen, von keinem seiner Vorgänger erreichten Qualität.
Auch für programmatische Äußerungen zu seinem Selbstverständnis als neuzeitlicher Künstler setzte er das Medium des Kupferstichs ein, wie in Adam und Seite 6/7 Eva, seinem Meisterwerk von 1504. Es veranschaulicht, wie seine Kupferstiche zwar vervielfältigte, verbreitete Bilder blieben und zugleich einen neuartigen Status als autonome Kunstwerke reklamierten. Dürers Adam und Eva bildet damit den Schlusspunkt der Ausstellung und empfängt zugleich auf der Eingangswand die Besucher – als Einladung, die Geschichte und die Vielfalt des Kupferstichs „vor Dürer“ kennenzulernen.
WANN?
Mittwoch, 28 September 2022 bis Sonntag, 22. Januar 2023
KOSTET?
Tickets online buchbar unter shop.staedelmuseum.de. Sonderpreis bis einschließlich 16 Oktober: 10 Euro. Der Sonderpreis ist ein vergünstigter Eintritt, der während der Umgestaltung des Sammlungsbereichs Kunst der Moderne gilt. Der Sonderpreis gilt für alle Besucher, inkl. Schüler, Studenten, Auszubildende, Arbeitssuchende und Besucher mit einem Grad der Behinderung von 50 Prozent oder mehr. Ab dem 18. Oktober: 16 Euro, ermäßigt 14 Euro. Freier Eintritt für Kinder unter 12 Jahren.
WO?
Städel Museum
Schaumainkai 63
60596 Frankfurt am Main