Matthias Mühling, Direktor des Lenbachhauses, und die Ausstellungskuratoren Stephanie Weber, Adrian Djukić und Karin Althaus präsentieren ab 15 Oktober 2024 die Ausstellung: Aber hier leben? Nein danke.Surrealismus + Antifaschismus.
Abb. oben: Victor Brauner, Totem de la subjectivité blessée II, 1948, Legs de Mme Jacqueline Victor Brauner en 1986. Centre Pompidou, Paris, Musée national d’art moderne – Centre de création industrielle. © VG Bild-Kunst, Bonn 2024. Foto / Photo: Image Centre Pompidou
‘Die menschliche Seele ist international’. (Bulletin international du surréalisme [Mezinárodní Bulletin Surrealismu], Prag, April 1935)
Der Surrealismus war eine politisierte Bewegung mit internationalistischer Gesinnung. Seine Ursprünge liegen in der Kunst und Literatur, aber er ging weit darüber hinaus. Für die Surrealisten war die Realität unzureichend: Sie wollten die Gesellschaft radikal verändern und das Leben neu denken.
Seit sie sich in den 1920er Jahren zusammenfanden, prangerten die Surrealisten die europäische Kolonialpolitik an, organisierten sich gegen die Faschisten, kämpften im Spanischen Bürgerkrieg, luden Wehrmachtssoldaten zu Sabotageakten ein, wurden interniert und verfolgt, flohen aus Europa und fielen im Krieg. Sie schrieben Gedichte, feilten an der Dekonstruktion einer vermeintlich rationalen Sprache in einer vermeintlich rationalen Welt, arbeiteten an kollektiven Gemälden und Zeichnungen, fotografierten und collagierten und gestalteten Ausstellungen. Sie verweigerten der „pathetischen“ Vorstellungswelt der Tagespolitik den Zugang zu ihrer Kunst.
Regierung und Besatzung durch faschistische Parteien in verschiedenen europäischen Ländern und die Welt- und Kolonialkriege prägten den Surrealismus und zwangen das Leben seiner Protagonisten in unvorhersehbare Bahnen. Zugleich führte dies zu überraschenden Begegnungen und internationaler Solidarität, deren Verbindungslinien von Prag über Coyoacán bis Mexiko-Stadt, von Kairo bis zum republikanischen Spanien, von Marseille bis Fort-de-France auf Martinique, von Puerto Rico und Paris bis Chicago und zurück reichten. Surrealistisches Denken und Handeln fand damals und findet auch heute noch an mehreren Orten gleichzeitig statt. Anstelle einer didaktischen und linearen Erzählung ist die Ausstellung daher in mehrere Episoden gegliedert, die wie eine Landkarte angeordnet sind. Ziel ist es, den Surrealismus als die kontroverse und international vernetzte Bewegung zu veranschaulichen, die seine Vertreter beabsichtigten.
In ihrer Kunst bestanden die Surrealisten auf einer absoluten „Freiheit“, die den Rest der Gesellschaft anstecken sollte. Der Surrealismus verstand unter Freiheit – ein belasteter Begriff, der damals bereits von den Faschisten unter einem Vorwand verwendet wurde – eine Form des Zusammenlebens, die nicht von der Lohnarbeit diktiert wurde und in der es gemeinsame Ziele gab, die größer waren als die Nation und der Profit. Sie kritisierten die Verkümmerung der Phantasie in einer Gesellschaft, für die Kunst und Poesie zu exzentrischen Tätigkeiten geworden waren. Wenn uns jemand sagt, dass unsere Gegenwart mehr zu tun hat, als Gedichte zu schreiben, antworten wir: ‘Wir auch’“, schrieb ein Mitglied von La Main à plume, einer Gruppe, die im besetzten Paris in der Résistance kämpfte und Gedichte schrieb.
Zur Ausstellung erscheint die Publikation “Surrealismus + Antifaschismus. Anthologie” in separaten deutschen und englischen Ausgaben.
Herausgegeben von Matthias Mühling, Karin Althaus, Adrian Djukić, Stephanie Weber, mitherausgegeben von Ara H. Merjian.
Hatje Cantz Verlag, 600 Seiten..
WANN?
Ausstellungsdaten: Dienstag, 15. Oktober 2024 – Sonntag, 02. März 2025
WO?
Lenbachhaus
Luisenstraße 33
80333 München