Prolog | Persönliches –
Simone, wenn wir uns zu diesem Interview, das wir beide schriftlich geführt haben, persönlich hätten treffen können, z.B. in Deinem Zuhause oder in Deinem Atelier, wo sprächen wir dann jetzt zusammen? Wir treffen uns in meinem Atelier in Pankow, das in der obersten (sechsten) Etage eines mehrstöckigen Plattenbaus an einer Ausfallstraße liegt. Es ist ein Atelierhaus, das von außen leer wirkt, aber innen drin ist viel Leben, und jetzt wird auch noch gebaut und saniert (alles etwas chaotisch, überall Handwerker). In den Gängen hängen noch die grün-braunen Ornament-Tapeten aus DDR-Zeiten. Mein Atelier aber ist sehr hell, weiß, und man hat eine phantastische Aussicht … auf Autohaus, Supermärkte, Schrebergärten, Bürogebäude graublau und inklusive Discount-Hotel.
Abb.oben:Portrait Simone Haack, Foto Julia Grossi
Vielleicht sitzen wir an Deinem Lieblingsplatz? Ja, auf meiner weißen Kunstleder-Couch, das Regal mit meinen Bildbänden im Rücken, vor uns das aktuelle Bildgeschehen auf mehreren Leinwänden nebeneinander.
Woher kommst Du, wo bist Du wann geboren? In Gyhum, einem alten 400 Seelen-Dorf zwischen Bremen und Hamburg bin ich aufgewachsen. Weil es dort kein Krankenhaus gibt, kam ich in Rotenburg/Wümme zur Welt, Jahrgang 1978. Wo lebst und arbeitest Du derzeit? Wir wohnen in Berlin Kreuzberg in der Nähe des Gleisdreieckparks, meine künstlerische Arbeit passiert in meinem Atelier in Pankow/Weißensee. Welche Stationen und Menschen haben Dich geprägt? Künstlerisch vor allem die Stationen meines Studiums: Bremen, Auckland/Neuseeland und Paris. Ich habe bei einigen unterschiedlichen ProfessorInnen studiert, um meine Position aus verschiedenen Perspektiven zu formen. Die wichtigsten für mich waren Karin Kneffel, Katharina Grosse und Pat Andrea, genau wie auch Kommilitonen, mit denen ich noch heute in gutem Kontakt bin. Ansonsten sind es immer wieder Reisen und Arbeitsaufenthalte, die bei mir immer einen starken Eindruck hinterlassen, wie z.B. ein Stipendienaufenthalt in Namibia, oder in den letzten Jahren Reisen nach Indonesien, wo mein Mann archäologische Projekte hat. Aber auch die norddeutsche Landschaft meiner Kindheit hat sich tief eingegraben in mein Bildgedächtnis: Moore, Felder, Wälder, Haine, Flüsse, Hügelgräber.
Welche Schriftsteller:innen findest Du derzeit spannend und welche Bücher finden sich in Deinem Bücherregal? Diese Zeitgenossen gefallen mir gerade gut: Christian Kracht, Karl Ove Knausgard, Sibylle Berg, Sonja Heiss, Joachim Meyerhoff, Michel Houellebecq, Judith Hermann, Heinz Strunk, Florian Illies, Alice Munro, Lisa Eckhart. In meinem Regal stehen sonst vor allem Bildbände. Und ich habe neuerdings eine Leidenschaft für alte Kinderbücher, mit Illustrationen um die Jahrhundertwende. Welche Bücher haben Dich beeinflusst oder geprägt? Die Romane und Aufzeichnungen der Existentialisten und ihrem Umkreis haben mich in meinen Zwanzigern sehr geprägt, vor allem die von Jean-Paul Satre, Simone de Beauvoir und Albert Camus, sowie Paul Bowles, Georges Perec, Henry Miller, Bataille. Die Schriften von Freud, Jung, Fromm, und den Mitscherlichs. Tagebücher und Briefe von Anais Nin, Etty Hillesum, Sylvia Plath, Lou Andreas Salome, Max Frisch, Kafka, Rilke, Alfred Kubin, Gauguin, van Gogh.
Was liest Du aktuell und wo liegt das Buch griffbereit? Ich habe mich „festgelesen“ an Karl Ove Knausgards autobiografischer Romanreihe, momentan liegt schon etwas länger der letzte Teil „Kämpfen“ auf dem Nachttisch. Welche Musik hörst Du und wann? Im Moment am liebsten elektronische Musik, beim Malen und Autofahren. Aber auch anderes, Hauptsache sie nimmt mich mit. Ein paar meiner Evergreens, ohne Reihenfolge/Ordnung: David Bowie, Stereolab, Goldfrapp, Brian Eno, Roxy Music, Air, Radiohead, John Maus, Iggy Pop, Scott Walker, Kraftwerk, Moderat, La Femme, Jacco Gardner, Divine Comedy, White Rose Transmission, NO MORE, Aphex Twin, Get Well Soon, Rufus Wainwright, Metronomy, Beachhouse, The Convent, Velvet Condom, Calexico, Tindersticks, Nouvelle Vague, Klaviermusik von Bach, Scarlatti, Ligeti, Schönberg, Messien, Satie, Michael Nyman, Philipp Glass, Hans Otte, und so weiter.
Wenn Du etwas für uns kochen würdest, was wäre es? Eine norditalienische Ribollita! Was isst Du am liebsten? Das Essen in Italien, Südostasiatisch, Hausmannskost. Und Süßigkeiten. Was hältst Du vom Frühstücken? — Viel. Frühstücken muß ich, um zu funktionieren. Unter der Woche eher funktional im Atelier, am Wochenende genüßlich im Kreise meiner Familie. Gerne deftig. Welchen Sport oder Ausgleich zu Ihrer Arbeit betreibst Du? Mit Sport habe ich nichts am Hut. Film und Musik sind sehr wichtig für mich. Früher habe ich auch Klavier und Keyboard gespielt, und momentan hätte ich große Lust, Kirchenorgel zu lernen! Ansonsten: seit meiner Teeniezeit schreibe ich Tagebuch, es begleitet mich durch Höhen und Tiefen. Hast Du besondere Leidenschaften oder Hobbies, für die Du brennst, und wenn ja welche? Nein. Kunst machen, anschauen und eröffnen – meine liebsten Tätigkeiten – mache ich ja schon beruflich.
Interview | Künstler + Position
Zu Beginn erzähle uns bitte in ein paar Sätzen Deine künstlerische Vita.
Direkt nach meinem Abitur 1997 habe ich mit dem Studium (Freie Kunst) an der Hochschule für Künste in Bremen angefangen, erst in der Klasse von Jürgen Waller, dann bei Katharina Grosse, und die meiste Zeit bei Karin Kneffel, deren Meisterschülerin ich später wurde. Zwischendurch war ich für ein Jahr in Auckland/Neuseeland fürs Auslandsstudium, und nach meinem Meisterschülerabschluß ging es für ein Jahr mit dem DAAD an die École des Beaux-Arts nach Paris. Dort wollte ich eigentlich bleiben, bin dann aber für ein Jahresstipendium (Künstlerstätte Stuhr-Heiligenrode bei Bremen) wieder zurück nach Deutschland gekommen. Im Anschluss daran: Umzug nach Berlin, freie künstlerische Arbeit, Ausstellungen, Stipendien, Lehraufträge. Meine erste Galerieausstellung hatte ich 2006 in der Galerie Moderne in Silkeborg, Dänemark.
Erläutere uns kurz Dein aktuelles Projekt bzw. die kommende Ausstellung.
In meiner Ausstellung ARCHIPEL in der Galerie Köppe Contemporary zeige ich Malerei und Zeichnungen aus den letzten Jahren. ARCHIPEL beschreibt für mich eine Art Gegenwelt, die mit den Mitteln des Realismus arbeitet, aber nicht Realität abbildet und eine Art Parallelspur dazu bildet. Archipel ist ein zeitloser Ort im Irgendwo.
Worüber machst Du Dir zurzeit am meisten Gedanken; was beschäftigt Dich?
Wenn ich die Pandemie mal ausblende, beschäftigt mich sehr die Rolle und Stellung der Frau in der Gesellschaft. Hierzulande, aber vor allem auch in patriarchal geprägten Ländern.
Wie bist Du zur Kunst gekommen? Warum Kunst?
Als Teenager bin ich erstmals auf Künstler des Surrealismus und Expressionismus gestoßen und war dadurch sehr motiviert, selbst zu malen. Die Möglichkeit, durch und mit Malerei eine Bildsprache zu entwickeln, die weit über das Sichtbare hinaus geht und in der alles möglich ist, hat mich sehr gereizt. Ich hatte von Anfang an die Vision einer Bildwelt mit eigenem Bildpersonal, Räumen und einer eigenen Logik.
Was macht Dich aktuell glücklich?
Im Atelier zu sein und genug Zeit zum Arbeiten zu haben. Am liebsten an ganz neuen Bildern.
Was macht Dir aktuell Angst?
Die Mutanten, die deutsche Bürokratie, die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie, die Rückschritte im Geschlechterverhältnis m/w/d.
Glaubst Du, dass Kunst eine gesellschaftliche Verantwortung trägt? Und was denkst Du, was sie bewirken kann?
Na klar! Vielleicht ist Relevanz das bessere Wort, Verantwortung klingt so verpflichtend, und Kunst muß gar nichts. Kunst ist frei, nicht moralisch und wirkt oft subtil und indirekt. Deswegen ist eine eins-zu-eins-Wirkung etwas schwierig zu benennen.
Was macht Deine Kunst aus? Worum geht es in Deinem Werk – was sind die zentralen Themen?
In meinen Zeichnungen und Malereien befasse ich mich mit dem Bild des Menschen und beleuchte vor allem die Themen Identität und Individualität. Dabei geht es mir nicht um die Darstellung konkreter Personen -Porträts im eigentlichen Sinne- sondern um die Entwicklung zeitloser, suggestiv-fiktiver Bildnisse, die den Menschen in seiner physischen und psychischen Existenz zeigen, für mich „Fiktionale Porträts“.
THE DEED | DAS WERK: Simone Haack
Die in Berlin lebende und arbeitende Malerin Simone Haack spricht im Rahmen ihres Interviews über die zentrale Botschaft ihres künstlerischen Werks.
Le Sommeil, 2021, 90 x 100 cm, Öl auf Baumwolle, Foto Lea Gryze
Simone, was macht Deine Kunst aus? Bitte beschreibe das Kernthema und die zentrale Botschaft Deines Werks.
In meinen Zeichnungen und Malereien befasse ich mich mit dem Bild des Menschen und beleuchte vor allem die Themen Identität und Individualität. Dabei geht es mir nicht um die Darstellung konkreter Personen -Porträts im eigentlichen Sinne- sondern um die Entwicklung zeitloser, suggestiv-fiktiver Bildnisse, die den Menschen in seiner physischen und psychischen Existenz zeigen, für mich „Fiktionale Porträts“.
Cherry Blossom Girl, 2019, 90 x 165 cm, Öl auf Baumwolle, Foto Lea Gryze
Mich reizt der Mensch als Wesen, mit und in seiner Umwelt, mit seinen Instinkten, Bedürfnissen, Emotionen und Beziehungen – im Verhältnis zu sich selbst, zu seinem Körper, zu Nahrung, zu Raum, zu Kleidung und zu seinen Mitmenschen, und auch zu Tieren. Der tierische Aspekt im Menschen, und der menschliche Aspekt am Tier. Meine Malerei bedient sich dabei den Mitteln des Realismus, ohne dabei „Realität“ abzubilden.
Liebesperlen, 2021, 120 x 140 cm, Öl auf Baumwolle, Foto Lea Gryze
Dem Unheimlichen gebe ich dabei genausoviel Raum wie auch dem Absurden, der Ironie und dem Humor, denn mir ist eine Ambivalenz im Bildausdruck wichtig.
„Auf dem Gebiet der Empfindungen unterscheidet sich das Wirkliche nicht vom Eingebildeten.“ Andre Gide
Konspirative Sitzung, 2021, 80 x 120 cm, Öl auf Baumwolle, Foto Lea Gryze
Stelle uns die Arbeit vor, die aus Deiner Sicht exemplarisch für die Botschaft Deines Werks steht, oder diese aus Deiner Sicht am besten verkörpert.
Ich habe keine konkreten Botschaften, meine Bilder sind im Idealfall ambivalent und mehrdeutig lesbar. Sie erschließen sich als sinnliche Erfahrungen, Betrachter brauchen keine zusätzliche Information. Ich möchte nichts vorgeben und eine möglichst große Freiheit in der Rezeption ermöglichen. Um was es mir geht, habe ich ja schon oben angedeutet, mein Bild „Vier“ (2013, 170 x 120 cm, Öl auf Baumwolle) bringt vieles davon auf den Punkt.
Vier, 2013, 170 x 120 cm, Öl auf Baumwolle, Foto Lea Gryze
Was ist das Ziel Deiner Kunst, Deines Werks – was soll es beim Betrachter bewirken?
In irgendeiner Form emotional andocken.
Die Frage nach THE DEED | DAS WERK ist ein ergänzender und separat präsentierter Teil des THE INTERVIEW IN|DEEDS mit Simone Haack.
Wie schützt Du Dich in der heutigen Zeit vor zu viel Inspiration?
Ich habe nichts gegen zu viel Inspiration, wenn ich mein Skizzenbuch und meine Kamera dabeihabe, um Gedanken und Ideen festzuhalten.
Wie viel in Deinen Arbeiten ist vorher geplant – wie viel entsteht intuitiv?
Es ist ein Wechsel aus beidem. Anfangs plane ich viel, aber während des Malprozesses versuche ich, dem Bild gegenüber offen zu sein und darauf zu reagieren. Manchmal komme ich auch ganz ab von der Ursprungsidee.
Was sind Deine (nächsten) Ziele?
Zur Zeit bin in der DSC Gallery in Prag Gastkünstlerin in der Einzelausstellung meines geschätzten Malerkollegen Lubomir Typlt (noch bis 10.4.), und ab 19. März gibt es in der Galerie Obrist in Essen eine dreiteilige Ausstellung zum Thema „NÄHE“, mit spannenden Künstlern wie Eva & Adele, Twin Gabriel und John Coplans, kuratiert von Sabine Kampmann. Ansonsten ist kürzlich der sehr empfehlenswerte Bildband „Preparing for Darkness“ von Uwe Goldenstein (Galerie Selected Artists) erschienen, da wird es auch von ihm kuratierte Ausstellungen geben. Ab Juni läuft im Bomann Museum Celle eine große Ausstellung „Wider das Böse“, kuratiert von WP Fahrenberg, die Gruppenausstellung „Female Gaze“ bei Alexander Ochs, kuratiert von Silke Tobeler, und später im Jahr bin ich Teil der Ausstellung „The New Force of Painting“ im Frissiras Museum in Athen.
Wie stehst Du zum Thema Glauben? Hast Du Glaubensgrundsätze oder gibt es einen Leitspruch?
Ich versuche darauf zu vertrauen, daß alles im Leben einen Sinn hat.
Welches Projekt würdest Du gerne noch realisieren, wenn fehlende Zeit, mangelnder Mut oder finanzielle Ressourcen keine Rolle spielen würden?
Einen Spielfilm machen.
Was sind aus Deiner Sicht Attribute für gute Kunst?
Sie bewegt, berührt, löst aus, zieht an, lullt ein, nimmt mit, wühlt auf, irritiert, begeistert, verstört.
Wird man als Künstler:in geboren? Oder ist ein Kunststudium aus Deiner Sicht Pflicht?
Beides. Als Künstler geboren werden klingt natürlich sehr pathetisch, aber letztlich hat man entweder einen Hang dazu oder nicht. Und den kann man im Studium ausbilden, muß man aber nicht.
Wem zeigst Du ein neues Werk zuerst?
Meistens meinem Mann oder KollegIinnen.
Wie sieht die erste Stunde Deines Tages aus?
Ich sitze im Auto. Atelier, Wohnung und Kita liegen bei uns etwas in der Stadt verstreut …
Sind im Zeitalter des Internets der Dinge Galerien noch notwendig? Wenn ja, warum und wofür?
Unbedingt! Als physischer Ort und Label unverzichtbar. Gute Galerien platzieren Künstler in der Kunstwelt, und darüber hinaus sind sie Kulturvermittler. Offline und online.
Social-Media – aus Deiner Sicht Segen oder Fluch?
Ein Segen, gerade auch in Zeiten des Lockdowns und der Kontaktbeschränkungen.
Epilog | Aktuelles
Die Einzelausstellung ARCHIPEL mit neuen Arbeiten von Simone Haack ist vom 30. März bis 22. Mai 2021 in der Galerie Köppe Contemporary, Knausstraße 19, 14193 Berlin-Grunewald zu sehen.
In Zeiten von Corona, in denen Reisen, Atelierbesuche und persönliche Kontakte unangebracht oder sogar unmöglich sind, bleibt das schriftliche Interview ein wichtiges Medium, um Künstlerpersönlichkeiten vorzustellen, um ihre Botschaften zu verbreiten und um mit Kunstliebhabern in Kontakt zu bleiben. Die Interviews werden von der Redaktion nicht redigiert oder gekürzt und stets im O-Ton wiedergegeben. Daher nehmen wir auch keine Übersetzung des Interviews in Englische bzw. Deutsche vor, es sei den, diese wird seitens des/der Interviewten eingereicht.