Das Kupferstichkabinett im Kulturforum zeigt ab 12. Mai 2023 die Ausstellung “Dürer für Berlin. Eine Spurensuche im Kupferstichkabinett” des Künstlers Albrecht Dürer. Das Berliner Kupferstichkabinett besitzt eine der weltweit bedeutendsten Sammlungen von Handzeichnungen und Druckgraphiken Albrecht Dürers. Anhand von rund 130 Meisterwerken führt die Ausstellung nicht nur Dürers gesamtes künstlerisches Schaffen exemplarisch vor Augen, erstmals wird auch die facettenreiche Geschichte des Bestandes selbst sichtbar gemacht. Sie führt von den Anfängen des Kupferstichkabinetts 1831 und der Reichsgründung 1871 über die Gründerzeit und die Jahre des Nationalsozialismus bis zur kriegsbedingten Teilung der Bestände und ihrer Wiedervereinigung im Kulturforum 1994.
Abb. oben: Albrecht Dürer, Nemesis (Das große Glück), 1501, Kupferstich, deckend bemalt, Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett / Dietmar Katz
Über Generationen hinweg galt und gilt Albrecht Dürer (1471–1528) als einer der wichtigsten, wenn nicht als der bedeutendste Künstler im deutschsprachigen Raum. Bereits zeitgenössische Herrscherinnen nutzten seine Kunst und seinen persönlichen Ruhm für imperiale Auftritte und Repräsentationswerke. Kaiser Maximilian I. (1459–1519) etwa beauftragte Dürer mit dem berühmten Riesenholzschnitt der Ehrenpforte, den bis in unsere Zeit anspruchsvollsten und größten Holzschnitt überhaupt. Kaiser Rudolph II. (1552–1612) erwarb große Teile von Dürers künstlerischem Nachlass und brachte ihn nach Prag. Später gelangte er nach Wien. Und auch nach dem Ende des Heiligen Römischen Reichs blieb Dürer für eine ganze romantische Künstlerinnengeneration eine zentrale Leitfigur. Seit 1828, dem 300. Todesjubiläum Albrecht Dürers, wurde er kontinuierlich in Gedenkveranstaltungen geehrt, nicht zuletzt auch in Berlin, wo sich bedeutende Künstler wie Johann Gottfried Schadow, Karl Friedrich Schinkel oder der junge Adolph Menzel an den Meisterehrungen beteiligten.
Und so war Dürers Rolle als Repräsentant einer Kunst der Nation noch sehr präsent, als im Jahr 1871 das Deutsche Kaiserreich unter preußischer Führung mit der Hauptstadt Berlin gegründet wurde. Der aus vielen Einzelstaaten neu gegründete Reichsverbund brauchte nationale Identifikationsfiguren. Benötigt wurden Personen, die über die Grenzen der einzelnen Teilstaaten hinweg eine gemeinsame Identität schaffen, fördern und legitimieren konnten. Hierzu war Dürer besonders geeignet. Als wichtigster Künstler im deutschen Sprachraum erfüllte er auch aus preußischer Sicht alle integrativen Aspekte der neuen Reichsidee. Zudem war er als Sohn eines aus Ungarn eingewanderten Goldschmieds ein Künstler mit Migrationserfahrung. So entzog er sich gerade wegen dieser vielschichtigen Verflechtungen einer plumpen chauvinistischen Vereinnahmung durch einzelne Gruppen innerhalb des Reiches. Sein Andenken gehörte allen.
Die Verbindung Dürers mit nationalen Interessen war also keineswegs neu. Jetzt aber sollte sein Name mit der jungen Hauptstadt des Deutschen Kaiserreiches verknüpft werden – mit Berlin. Hier glaubte man sich bereits im Besitz einer umfänglichen und qualitätvollen Kollektion von Dürerzeichnungen. Sie stammte vorwiegend aus der Sammlung des preußischen Generalpostmeisters Karl Ferdinand Friedrich von Nagler, die als erweiterter Gründungsbestand 1835 für das Berliner Kupferstichkabinett erworben worden war. Kein Geringerer als Rudolf Graf StillfriedAlcantara, Zeremonienmeister des preußischen Königs und im Januar 1871 inthronisierten Deutschen Kaisers Wilhelm I., nahm diese Werkgruppe zum Anlass, unter Wilhelms Schirmherrschaft eine Prachtpublikation zu den Dürerzeichnungen der Berliner Sammlung herauszugeben. Mit ihr verwies er auf die Koinzidenz von Dürers 400. Geburtstag und dem Gründungsjahr des Kaiserreichs. Doch die Publikation verursachte einen „Dürer-Streit“, eine frühe wissenschaftliche Kontroverse in den Gründungstagen des Fachs Kunstgeschichte. Sie endete in der Einsicht, dass die Berliner Dürersammlung zu diesem Zeitpunkt dem internationalen Vergleich keineswegs gewachsen und hier dringend Abhilfe geboten war.
Aber erst die Folgegeneration um Richard Schöne (1840–1922), Wilhelm Bode (1845–1929) und vor allem um den Kupferstichkabinettsdirektor Friedrich Lippmann (1838–1903) konnte den Bedeutungsverlust ausgleichen. Durch kaiserliche Unterstützung und die Zeitläufte begünstigt, gelangen Lippmann spektakuläre Erwerbungen auf dem Feld der Dürerzeichnungen und -Druckgraphik. Diese im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts erworbenen Werke katapultierten das Kupferstichkabinett in den heute noch gültigen Rang einer führenden Dürersammlung. Dabei sind die für die wechselvolle Geschichte äußerst aufschlussreichen Wanderungen und Provenienzen der Blätter zwischen den Metropolen Wien, Paris und Berlin paradigmatisch für das Dürersammeln dieser Epoche. Darüber hinaus trug man die Kenntnis der Werke Albrecht Dürers durch hervorragend illustrierte Publikationen in die Welt. Im Zusammenwirken der Berliner Institute und Bildverlage sowie der 1879 gegründeten Reichsdruckerei verankerte eine von Friedrich Lippmann initiierte umfassende und kommentierte Faksimile-Edition aller Dürerzeichnungen als erster bebilderter Werkkatalog auch die Erforschung von Dürers Werk in Berlin.
Bis zu seinem Tod 1903 hatte Friedrich Lippmanns die Berliner Dürersammlung zu Weltruhm gebrach. Seine Amtsnachfolger führten Lippmanns Sammlungspolitik in den 1920er- und 30er-Jahren kontinuierlich fort. Auch zur Zeit des Nationalsozialismus blieb es bei Ankäufen aus bereits lange mit dem Kabinett verbundenen Privatsammlungen. Daneben wurden Dürerzeichnungen und -grafiken aus anderen Berliner Sammlungen an das Kupferstichkabinett überstellt, aber auch Dubletten verkauft oder getauscht.
Die Teilung Berlins und die dadurch bedingte Aufspaltung in die Kupferstichkabinette Ost und West ergab eine neue Situation. Beide Häuser verfügten nur über einen Teil der einstmaligen Sammlung. Insofern Dürer aber nach wie vor als Nationalkünstler der Deutschen fest im kunsthistorischen Kanon verankert war, bemühten sich beide Häuser erfolgreich, besonders klaffende Bestandslücken zu schließen. So integrierte das Kupferstichkabinett auf der Museumsinsel die reiche Dürersammlung Beuth in ihren Bestand und erwarb mit dem Meisterstich „Melencolia I“ ein wichtiges Schlüsselwerk, während das Kupferstichkabinett in Berlin-Dahlem neben mehreren Zeichnungen 1971 zu Dürers 500. Geburtstag eine komplette „Ehrenpforte“ erwerben konnte, deren Gegenstück sich auf der Museumsinsel befand.
So lässt sich anhand der Dürersammlung des Kupferstichkabinetts die
Bedeutung von Dürers Kunst für Berlin und die Herausbildung nationaler Kulturidentitäten vor wechselnden gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen aufzeigen. Somit ist dieser Komplex selbst vor dem Hintergrund zahlreicher Dürerausstellungen der letzten Jahre ein geradezu geborenes Thema für das Berliner Kupferstichkabinett, das nicht nur die didaktische Erschließung sammlungshistorischer Zusammenhänge vor Ort und im Katalog ermöglicht, sondern auch zahlreiche Meisterwerke im Original erfahrbar macht. So werden neben Dürers Meisterstichen berühmte Holzschnittfolgen wie die „Apokalypse“, das „Marienleben“ oder das „Rhinozeros“ in hervorragenden Zuständen gezeigt. Der Schwerpunkt liegt jedoch auf dem zeichnerischen Oeuvre, aus dem Werke wie „Dürers Mutter“, die „Drahtziehmühle“ und Vorstudien für das „Rosenkranzfest“ sowie zahlreiche Blätter aus dem berühmten „Skizzenbuch der Niederländischen Reise“ zu sehen sein werden.
„Dürer für Berlin. Eine Spurensuche im Kupferstichkabinett“ wird kuratiert von Michael Roth, Oberkustos der Sammlung Deutsche Kunst bis 1800 am Kupferstichkabinett.
WO?
Kulturforum, Ausstellungshalle
Matthäikirchplatz
10785 Berlin
WANN?
Eröffnung: Donnerstag, 11. Mai 2023, 19 Uhr
Ausstellungstermine: Freitag, 12. Mai – Sonntag, 27. August 2023
Di – Fr 10 – 18 Uhr, Do 10 – 20 Uhr, Sa + So 10 – 18 Uhr