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Samstag, April 27, 2024

General Idea – Martin-Gropius Bau | 22.09.2023-14.01.2024

Editors’ Choice

Der Gropius Bau präsentiert ab 22. September 2023 die bisher umfassendste Retrospektive von General Idea, der Künstlergruppe aus Toronto, welche die Grenzen zwischen Kunst, Medien und kreativem Aktivismus verwischte.

Abb. oben: General Idea, P is for Poodle, 1983/89, © Royal Bank of Canada Art Collection

Die Ausstellung wurde in enger Zusammenarbeit mit dem in Berlin lebenden Gründungsmitglied AA Bronson entwickelt und zeichnet das einzigartige künstlerische Vermächtnis von General Idea nach: Von der Gründung 1969 in Toronto bis zur Auflösung der Gruppe im Jahr 1994, als die beiden Mitglieder Felix Partz und Jorge Zontal an den Folgen von AIDS-Erkrankungen verstarben. Mit fast 200 Arbeiten – darunter ihre subversiven und ironischen Skulpturen, Installationen, Malereien, Videos, Publikationen und Archivmaterial sowie ihre charakteristischen Tapeten und ikonischen Logos – ist die Ausstellung die bisher umfassendste Retrospektive des Künstlertrios. In überwiegend chronologischer Struktur und mit dem für General Idea typischen „ernsthaften Humor” zeigt die Ausstellung kollaborative und genreübergreifende Auseinandersetzungen mit den Wechselbeziehungen von Gender, Sexualität, Medien, Protest, Kommerz, den Ökonomien des Kunstbetriebs und der Öffentlichkeit.

Darüber hinaus präsentiert der Gropius Bau ein Veranstaltungs- und Diskursprogramm, das dem Motiv der Infiltration folgt, um die Themen der Ausstellung aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten.

Die internationale Ausstellungsgeschichte von General Idea begann 1973 in der DAAD Galerie in Berlin. 1983 folgte eine Performance in der Akademie der Künste und 1988–1989 war die Gruppe Teil von Frank Wagners bedeutender nGbK Ausstellung VOLLBILD AIDS, der europaweit ersten institutionellen Ausstellung über die AIDS-Krise. 1989 adaptierte General Idea die Farben der deutschen Flagge für das Design des ersten Logos der Arbeitsgemeinschaft Deutsche AIDS-Stiftungen. Vor dem Gropius Bau wurde die neu produzierte öffentliche Skulptur AIDS (1989/2023) installiert. Als partizipative Arbeit konzipiert, werden Besucher*innen ermutigt, die Skulptur mitzugestalten und Notizen, Zeichnungen oder Kommentare zu hinterlassen.

„In meiner jugendlichen Vorstellung war Berlin die legendäre Stadt der künstlerischen Freiheit, der Dreigroschenoper und der Bohéme. General Ideas erste internationale Ausstellung fand 1973 in der DAAD Galerie statt, kuratiert von Robert Filliou. Aber die wahre Magie von Berlin, dieser ummauerten Stadt der Ausgestoßenen und Uranisten, entdeckten wir erst 1983, als wir zu dritt streng kontrolliert von bewaffneten Grenzpolizist*innen für unsere Pudel-Performance in der Akademie der Künste durch die DDR fuhren.“

AA Bronson, Künstler und Gründungsmitglied von General Idea

Die Ausstellungsgeschichte von General Idea begann vor mehr als 50 Jahren: In den späten 1960er Jahren wurden sie im Kontext der experimentellen Kunst- und Theaterszene zum ersten Mal auf ein Festival in Toronto eingeladen. Unter ihren ersten Arbeiten war der Miss General Idea Pageant (Miss General Idea Schönheitswettbewerb, 1970), eine Arbeit, welche das Format von Schönheitswettbewerben übernahm, um sich satirisch mit den Strukturen der Kunstwelt und der Wettbewerbsidee auseinandersetzte. 

Die Ausstellung beginnt mit den frühesten Projekten, die die Experimente der Gruppe mit Konzeptkunst, Performances und Mail Art nachzeichnen. Oft mit General Ideas charakteristischem Humor und Ironie nehmen sie die Form von Pamphleten, Bedienungsanleitungen und Fotografien an. Ihr FILE Megazine (1972–1989), eine spielerische Aneignung des Life Magazins, enthielt Interviews mit Prominenten und Künstler*innen wie Andy Warhol und veröffentlichte Projekte, Manifeste und Briefe von Künstler*innen.

Ursprünglich ein Kollektiv aus rund 25 Personen, bestand General Idea später aus den Mitgliedern AA Bronson, Felix Partz und Jorge Zontal. Während ihre experimentellen Publikationen sich verstärkt mit der aufkommenden Prominenten-Kultur auseinandersetzen, nahmen ihre Schönheitswettbewerbe, die als Live-TV-Show mit Publikum und Proben durchgeführt wurden, die heutigen Sozialen Medien und popkulturelle Formate wie Reality-TV vorweg.

In den 1980ern bediente sich General Idea der visuellen Sprache von Marken und Corporate Identity und lotete so auf humorvolle Weise die Verbindungen zwischen Kunst, Medien und Kommerz aus. Das Künstlertrio arbeitete mit Copyright-Symbolen, schaltete Werbe-Parodien, richtete Boutiquen ein und kommentierte so den Kommerzialismus und Konsumismus der 1980er-Ära. 1986 zog das Trio von Toronto nach New York um, als sich die queere Community dort in der Krise befand. Zwischen 1987 und 1994 wandte sich General Idea dem soziopolitischen Aktivismus zu, um Sichtbarkeit für die AIDS-Notlage zu schaffen. Für IMAGEVIRUS, eines ihrer bekanntesten Projekte, eigneten sie sich Robert Indianas ikonische Pop Art Arbeit LOVE an, indem sie das Wort „LOVE” durch „AIDS” ersetzten. General Idea stellte sich damit gegen das Klima aus Schweigen und Verdrängung, das die tragischen Tode und die öffentliche Teilnahmslosigkeit um die AIDS-Krise in den USA und anderswo umgab. Ihre Idee war es, das Logo weiter zu verbreiten, Poster zu gestalten und sie im Nahverkehr, auf T-Shirts, als Siebdrucke und im öffentlichen Raum in Städten von San Francisco bis Berlin in Umlauf zu bringen und so ein Bewusstsein für die Krise zu schaffen. Das geschah noch bevor Felix Partz und Jorge Zontal 1990 von ihrem eigenen HIV-positiven Status erfuhren. Die Ausstellung verdeutlicht die generative Qualität der Protest-Bildsprache von General Idea.

Die Installation Fin de siècle (1990) nimmt den gesamten Lichthof des Gropius Bau ein und zeigt Robbenbabys aus Kunstfell, die auf einem bühnenähnlichen Eisblock aus Styropor ruhen. Erstmals entstand sie in der Zeit von Partz’ und Zontals HIV-Diagnosen und erinnert an Caspar David Friedrichs Eismeer (Die gescheiterte Hoffnung, 1823–24). Die Arbeit ist als ironisiertes Selbstportrait dreier in kritischen Verhältnissen treibender Künstler intendiert. Mit Scharfsinn beleuchtet sie die breite öffentliche Aufmerksamkeit, die den angeblich bedrohten Sattelrobben-Babys zu der Zeit zuteilwurde. Gegen deren Jagd protestierte unter anderem Brigitte Bardot in ihrer politischen Kampagne zur Robbenrettung, während Menschen, die in den 1980ern an AIDS starben keine vergleichbare Sichtbarkeit und Aufmerksamkeit bekamen. „‚Rettet die Robben’ lässt sich leichter verkaufen… weil sie niedlicher sind als drei Homosexuelle mittleren Alters”, schrieb Zontal über die Arbeit.

Die Ausstellung legt ein besonderes Augenmerk auf General Ideas provokante und oftmals augenzwinkernde Interventionen in den Massenmedien. Die Serie Infe©ted Mondrian (1994) besteht aus Nachbildungen von Katalogabbildungen Piet Mondrians: auf Schaumstoffplatten gemalt, wurde Gelb durch Grün ersetzt – eine Farbe, die Mondrian verabscheute. Wie viele der Aneignungen von General Idea sind auch die Arbeiten der Reihe Infe©ted eine Hommage und zugleich eine Umkehrung kanonischer Bilder, neben denen von Mondrian unter anderem von dem Architekten und Möbeldesigner Gerrit Rietveld. Die Ausstellung gewährt einen umfassenden Einblick in eine der visionärsten künstlerischen Interventionen des 20. Jahrhunderts.

Der Gropius Bau hat ein umfangreiches Veranstaltungs- und Diskursprogramm konzipiert, das die Ausstellung begleitet. Es verbindet historische mit aktuellen Diskursen und vertieft die von General Idea aufgeworfenen Themen. Der spezifische Fokus liegt dabei auf einer intersektionalen Betrachtungsweise des deutschen und europäischen Kontexts. Neben Führungen durch die Kurator*innen und AA Bronson, wird das Programm dem Themenkomplex der ‚Infiltration’ in Form von Klangperformances, Künstler*innenvorträgen, interaktiven Veranstaltungen und Archivworkshops für die Öffentlichkeit während der gesamten Ausstellungsdauer nachgehen.

Kuratiert von Adam Welch, National Gallery of Canada und Beatrix Ruf, in Zusammenarbeit mit Zippora Elders, für den Gropius Bau

Das Veranstaltungs- und Diskursprogramm wird kuratiert von Zippora Elders, Leitung kuratorische Abteilung und Outreach.

Organisiert von der National Gallery of Canada in Zusammenarbeit mit dem Gropius Bau

WO?

Gropius Bau
Niederkirchnerstraße 7
10963 Berlin

WANN?

Freitag, 22.09.2023 – Sonntag, 14.01.2024
Montag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag 11:00–19:00
Samstag, Sonntag 10:00–19:00
Dienstag geschlossen

KOSTET?

Der Eintrittspreis beträgt 6/9€. 

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