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Think Big! Gail Rothschild porträtiert spätantike Textilfunde aus Ägypten im Bode Museum | 01.07.-31.10.2022

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Frauen und ihre Rolle in Kunst und Gesellschaft stehen im Bode-Museum weiter im Fokus. Parallel zur aktuellen Ausstellung „Der zweite Blick: Frauen“ wird ab 1. Juli 2022 eine Sonderausstellung der New Yorker Künstlerin Gail Rothschild präsentiert. Ägyptische Textilien aus der reichen Sammlung des Museums für Byzantinische Kunst sind die Inspirationsquelle für ihre neue Serie monumentaler Malereien. In der Gegenüberstellung mit Wirkereien aus der Zeit vom 4. bis 9. Jahrhundert entsteht eine faszinierende Dynamik zwischen vergangenen Kulturzeugnissen und zeitgenössischem Kunstschaffen.

Abb. oben: Gail Rothschild, Portrait, 2022, © Gail Rothschild

Gail Rothschild (*1959 in New York City) lebt in Brooklyn. Nach ihrem Abschluss in Yale begann Rothschild eine Karriere als Wanderkünstlerin. Für Museen und Colleges in den Vereinigten Staaten schuf sie ortsspezifische Installationen, die sich mit der weniger bekannten Geschichte der Frauen und der Ureinwohner:innen des Landes befassen. In Zusammenarbeit mit internationalen Museen setzt sich Rothschild in ihren Gemälden mit archäologischen Textilfragmenten auseinander. Für ihre aktuelle Serie großformatiger Malereien in Acryl auf Leinwand hat sich Gail Rothschild von den Bildwirkereien der reichen Textilsammlung des im Bode-Museum beheimateten Museums für Byzantinische Kunst inspirieren lassen. „Wenn ich ein antikes Textil male, denke ich an so viele Dinge. Ich bin mir seines Schöpfers, des Spinnens der Faser und seiner Webart bewusst“, beschreibt Rothschild ihre Motivation. „Ich denke an die ursprüngliche Verwendung der Textilien und die Körper, die sie berührt haben. … Ich denke daran, wie sich das Gewebe und die einst gesponnenen Fasern im Laufe der Zeit auflösen. Meine Bilder stehen in der Tradition der Vanitasbilder, sie sprechen von Zeit.“

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Ovaler Tunikabesatz mit biblischer Szene, 7.-10. Jahrhundert, Ägypten, Achmim, Wolle und Leinen, Wirkerei, © Staatliche Museen zu Berlin, Skulpturensammlung und Museum für Byzantinische Kunst / Antje Voigt

Auf der Suche nach neuen Vorlagen für ihre großformatigen Werke stieß Gail Rothschild auf die bunten, motivreichen Wirkereien aus dem spätantiken Ägypten, die zur Zeit ihrer Entdeckung um 1900 viele bedeutende Künstler:innen, Kunstsammler:innen, Modemacher:innen und Theaterleute faszinierten. Besonders der französische Ägyptologe Albert Gayet und der Kunsthändler Dikran Kelekian haben seinerzeit dazu beigetragen, die bis dato unbekannten Kleinodien weltweit zu verbreiten. Auch unter wirtschaftlichen Aspekten hätte der Zeitpunkt der Entdeckung der Textilien kaum besser sein können. Im Zuge der Industrialisierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden in Europa und Nordamerika Kunstgewerbevereine und -museen mit wachsendem Bedarf an Musterkollektionen als Anschauungsmaterial für Fabrikanten und Handwerker aus den neuen Berufszweigen und für interessierte Laien. Textilien aus ägyptischen Gräbern, deren Muster und Motive als Vorlage für die nunmehr maschinelle Textil- und Tapetenproduktion dienten, waren dafür geradezu prädestiniert.

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Tunikafragment mit figürlich verziertem Streifen, 7.-9. Jahrhundert, Ägypten, Wolle und Leinen, Wirkerei, © Staatliche Museen zu Berlin, Skulpturensammlung und Museum für Byzantinische Kunst / Antje Voigt

Das Berliner Museum für Byzantinische Kunst besitzt die größte Sammlung spätantiker Textilien aus Ägypten in Deutschland. Sie entstand in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts im Zusammenhang mit Wilhelm von Bodes Plänen, im Kaiser-Friedrich-Museum, das 1904 eröffnen sollte, auch eine Abteilung mit spätantik-byzantinischen Kunst- und Alltagsobjekten einzurichten. Den Grundstock bildeten über 80 Textilien aus der Sammlung des ehemaligen deutschen Konsuls in Kairo, Carl Reinhardt, welche Bode privat erwarb und dem neuen Museum schenkte. In den folgenden Jahren wuchs die Textilsammlung durch Erwerbungen oder Schenkungen von Privatpersonen sowie Übertragungen von Beständen aus dem Ägyptischen Museum und vom Kunstgewerbemuseum. Heute umfasst sie rund 2.000 Objekte.

Gail Rothschild überführt nun mit ihren monumentalen Bildern diese Alltagsobjekte aus der Spätantike in die Kunst des 21. Jahrhunderts. 2019 besuchte die Künstlerin erstmals das Bode-Museum und ließ sich zu einer neuen Serie inspirieren.

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Gail Rothschild, Adoration, 2021, New York, Brooklyn, Acryl auf Leinwand, © Gail Rothschild

Nur auf den ersten Blick wirken ihre Gemälde wie Kopien, doch sind sie eigenständige Kunstwerke mit einer ganz eigenen Präsenz, Dynamik und Ausstrahlung. In der Gegenüberstellung mit originalen Textilien aus der Antike entsteht ein faszinierendes Spannungsfeld zwischen Zeugnissen einer vergangenen Kultur und zeitgenössischem Kunstschaffen. Aufgrund der Größe der Bilder kommen Besucher*innen nicht umhin, sich auch mit den kleinformatigen Textilfragmenten intensiver auseinanderzusetzen. Dies birgt die Chance, sie als kunsthandwerkliche Meisterstücke neu zu erleben und ihre alltägliche Funktion und Nutzbarkeit in der damaligen Gesellschaft zu erfahren.

ART at Berlin - Courtesy of Gail Rothschild_After_Dubuffet_2019

Die Ausstellung soll zum gesellschaftlichen Diskurs beitragen und dazu anregen, sich mit der langen Historie von antiken Kleidungsstücken und Ausstattungstextilien – von ihrer Herstellung bis zur Verwendung als museales Anschauungsobjekt – auseinanderzusetzen.

„Think Big! Gail Rothschild porträtiert spätantike Textilfunde aus Ägypten“ wird kuratiert von Cäcilia Fluck, wissenschaftliche Mitarbeiterin, und Kathrin Mälck, Textilrestauratorin der Skulpturensammlung und Museum für Byzantinische Kunst.

Zur Ausstellung erscheint ein Katalog im Verlag Schnell & Steiner, Regensburg

WANN?

Freitag, 1. Juli bis Montag, 31. Oktober 2022

Sonderöffnungszeiten: Di – So 10 – 18 Uhr

WO?

Museumsinsel Berlin, Bode-Museum
Am Kupfergraben, 10117 Berlin-Mitte


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