Die Berliner Galerie Semjon Contemporary lädt herzlich in die Paul-Gerhardt-Kirche in Berlin-Prenzlauer Berg. Am Freitag, 8. März 2019 wird dort zum Beginn der Fastenzeit das Altarbild mit einem von der Künstlerin Ursula Sax gestalteten Fastentuch verhüllt.
Abb. oben: Das Fastentuch von Ursula Sax, Foto: Markus Rheinfurth
Fastentücher werden auch Hungertücher genannt. Mit ihnen verhüllt man in katholischen und evangelischen Kirchen traditionell während der 40 tägigen Fastenzeit vor Ostern die bildliche Darstellung von Jesus, z.B. am Kreuz. In manchen Gegenden wird der gesamte Altarraum verhüllt, so dass einer Liturgie nur noch hörend zu folgen ist, nicht sehend. Ziel ist unter anderem, das körperliche Fasten um ein geistiges Fasten zu erweitern und das Mysterium der Wiederauferstehung Christi zu vergegenwärtigen. (Anm. d. Red.)
“Die Bildhauerin Ursula Sax hat in bisher 68 Jahren ein Werk von großartiger Vielseitigkeit der Mittel, Methoden und Materialien geschaffen. Schon früh, mit 15 Jahren, nahm sie das Studium an der Stuttgarter Kunstakademie auf und kam mit 20 nach Berlin, wo Hans Uhlmann ihr wichtigster Lehrer wurde und sie sich mit 25 eine freiberufliche Existenz aufbauen konnte. Ein Werdegang von heute unglaublich scheinender Stringenz. Seither entsteht ein Werk als fortwährende Erkundung, der zeitgenössischen Möglichkeiten des Skulpturalen ohne die Skulptur als (be)greifbaren materiellen Gegenstand jemals zu verlassen. Als Professorin hat Ursula Sax Bildhauerei‐Studenten gleich mehrerer Generationen auf den Weg gebracht, erst in Berlin und Braunschweig, dann 1993 bis 2000 an der Akademie in Dresden, wo sie im vergangenen Jahr den Großen Kunstpreis der Stadt erhielt.
Ursula Sax entwickelt ihr Werk in inniger Zwiesprache mit den Materialien, denen sie sich zu Zeiten widmet. Nahezu alles, was formbar ist, hat sie bearbeitet: Das Harte ‐ Stein, Keramik, Porzellan, Bronze, Stahl und vor allem Holz, wie das Zarte – Seide, Wolle, Filz und jedwede andere Textilien. Dabei erfährt sie den Raum als geistig aktive Dimension der bildhauerischen Arbeit. Nicht im Sinne ästhetisierender Harmoniebestrebung, sondern als spannungsvoll widersprüchliches aufeinander Bezogensein von Raum und Skulptur.
Die bekannteste Arbeit im Stadtraum ist der elegant geschwungene »Looping« (1992), jene 19 Meter hohe und 50 Meter lange, leuchtend gelbe Stahlrohrspirale, die einen gesichtslosen Stadtraum am Messegelände in Berlin überspannt.
In den vergangenen Jahren wurde Papier zum bevorzugten Material. Unter anderen entstand die Werkgruppe »Fasten‐ und andere Tücher«, abstrakte Gebilde aus farbigen Papierschichten. Papier ist ein leichtes und fragiles Material, es ist vergänglich und Holz zumeist sein Grundstoff. Angesichts der Kruzifixe, die Ursula Sax immer wieder aus einfachen Packpapieren formt, gewinnen diese Eigenschaften eine metaphysische Qualität, wie überhaupt im jüngsten Werk der Bildhauerin die Momente von Zeit, Vergänglichkeit und Transzendenz eine wichtiger werdende Rolle spielen.”
Matthias Flügge
Ursula Sax
1935 geboren in Backnang/Württemberg
1950‐55 Studium der Bildhauerei, Staatliche Akademie für Bildende Künste Stuttgart
1956‐60 Hochschule für Bildende Künste Berlin, Meisterschüler
ab 1960 freischaffend in Berlin
1985/86 Gastprofessur HdK Berlin
1989/90
Gastprofessur HdK Berlin
Professur HfBK Braunschweig
Professur HfBK Dresden
2000 Ende der Lehrtätigkeit, wieder freischaffend
2013 Umzug nach Berlin
In diesem Jahr – 100 Jahre Bauhaus – wird das große Bühnenstück »Geometrisches Ballett (Hommage à Oskar Schlemmer)« von Ursula Sax auf Initiative ihrer Galerie Semjon Contemporary in einer neuen Bühnenfassung im Radialsystem Berlin uraufgeführt werden. Zudem eröffnet es das Bauhaus Festival Dessau und wird als Dresdner Fassung auf der rekonstruierten Appia‐Bühne im Festspielhaus Hellerau zu sehen sein (mehr Infos: www.semjoncontemporary.com).
WANN? Freitag, 8. März, 18 Uhr
Eröffnung mit Matthias Flügge, Kunsthistoriker und Rektor der Hochschule für Bildende Künste Dresden, und Pfarrerin Jasmin El‐Manhy
Musikalische Gestaltung: Kammerchor enchore Aufführung der Messe für Doppelchor von Frank Martin
WO? Paul‐Gerhardt‐Kirche, Wisbyer Straße 7, 10439 Berlin-Prenzlauer Berg
Ausstellungszeitraum: Freitag, 8. März bis Ostersamstag, 20. April 2019
Öffnungszeit während der Installation montags‐freitags, 15 – 18 Uhr und zu den Gottesdiensten
Die Altarverhüllung wird kuratiert von Sabine Herrmann, Klaus Killisch und Markus Rheinfurth. Sie ist eine Veranstaltung der evangelischen Kirchengemeinde Prenzlauer Berg Nord.