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Donnerstag, Dezember 12, 2024

BERLIN. WO SONST?!

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Ein geradezu symbolisches Foto – das Bild von Tod Seelie , die „Swimming Cities“. Phantastisch anmutende Flöße, konstruiert von einer Gruppe von Künstlern, Handwerkern und Seeleuten um die New Yorker Künstlerin Swoon. 2008 befuhren sie damit den Hudson River und enterten 2009 die Biennale in Venedig.

Abb, oben: Swiming Cities, Foto: Tod Seelie

Vom 25.09. bis 05.10.2019 zeigt das neue Berliner Museum der Subkulturen (musuku) seine erste Ausstellung »Islands of Utopia« als Zwischennutzung im Haus der Statistik (siehe Herbstausgabe DEEDS.NEWS S. 2). Tod Seelies Foto ist Teil dieser Ausstellung. Sie erzählt von Subkulturen und Gemeinschaften, die vom Wasser aus neue Spielräume ausloten. Forderte der französische Soziologe Henri Lefebvre 1968 in seinem gleichnamigen Buch noch das »Recht auf Stadt«, so findet die heutige Generation von Künstler*innenn zwar immer wieder Wege, ihrer Kreativität in Berlin Räume zu geben und sich neu zu erfinden. Doch die Räume werden rarer.

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Allesanderplatz prängt auf dem Haus der Statistik, Foto: C. Keller

Mehr und mehr Atelierhäuser und –gemeinschaften müssen ihre Räume in neuerdings begehrten Lagen an Investoren übergeben. Einst für Anleger uninteressante Objekte wie leerstehende Fabriketagen oder Gewerbehöfe, die durch die Anwesenheit und Aktivitäten der Künstler*innen über Jahre hinweg geradezu auratisch aufgeladen und aufgewertet wurden, stehen nun ganz oben auf der Immobilien- oder Grundstück-Hitliste. Das Phänomen der Verdrängung trifft auch große Namen, wie zuletzt die Malerin Katharina Grosse oder den Aktionskünstler John Bock, die ihre Ateliers in den an die Samwer-Brüder verkauften Weddinger Uferhallen haben. Mit der kürzlich gezeigten Ausstellung „Eigenbedarf“ (24.08.-01.09.2019), von 65 Künstler*innen aus den Ateliers in den Uferhallen organisiert, wurde mit künstlerischen Mitteln, Strategien und Ideen auf die prekäre Raumsituation und die sich verändernden Wohn- und Arbeitsbedingungen innerhalb des Berliner Stadtgefüges aufmerksam gemacht.

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den Uferhallen in Wedding zur Ausstellung „Eigenbedarf“ : Stefan Alber und Peter Dobroschke, SOS, 2019, Copyright Stefan Alber und Peter Dobroschke

Diese Entwicklung zwingt die Künstler*innen regelrecht in einen nomadischen Status, durch den sie zudem in gewisser Weise verletzlich und im Schaffensprozess gehindert – ja sogar teils schutzlos den kapitalistischen Gegebenheiten unserer Zeit ausgeliefert sind.

„Berlin ernährt seine Künstler nicht“, erklärte jüngst der Bildende Künstler Ulf Saupe im taz-Artikel „Kunst gegen Internetraketen“ vom 26.08.2019, daran habe man sich schon gewöhnt. „Die Stadt hat es zu lange versäumt, alle Kulturschaffenden als etwas Schützenswertes zu sehen.“ Wir müssen zeitnah realisieren, dass wir uns allen selbst enormen Schaden zufügen, wenn diese Entwicklung so weiter geht.

Werfen wir also einen Blick auf die Situation in Berlin.

Eigentlich sind die zu Grunde liegenden Voraussetzungen gar nicht so schlecht, wenn auch nicht konsequent genutzt und ausgebaut. Berlin ist DER Standort in Deutschland für Künstler*innen und ihre Galerien, denn weit über 400 Galerien und rund 6.000 Künstler*innen, die von diesen Galerien vertreten werden, haben bereits ihre Heimat in Berlin gefunden. Und die Potentiale der Stadt im Hinblick auf die notwendigen Wirtschaftsfaktoren sind durchaus nicht übel. Nein, sie sind teilweise sogar einmalig in Deutschland.  

In 2018 stieg die Zahl der registrierten Berlin-Gäste nach Auskunft des Amtes für Statistik Berlin Brandenburg um 4,1 % auf insgesamt 13,5 Mio. Rund 8 Mio. der Berlin-Besucher sind aus anderen deutschen Bundesländern angereist, womit die Quote der inländischen Gäste bei 60 % liegt. Aus dem Ausland wurden in den Berliner Unterkünften rund 5,4 Mio. Gäste registriert (40 %). Diese Besucher*innen zählen – statistisch betrachtet – im Großteil zu einer gebildeten, aufgeklärten und besser situieren Gesellschaftsschicht mit Interesse an Kunst. Richtig ist allerdings auch, dass man bis dato nur kleine Teile dieser Zielgruppe mobilisieren konnte, Kunst in ausreichendem Umfang auch in Berlin zu kaufen.

Wo sonst in Deutschland tummelt sich so viel Potential?

Wo sonst in Deutschland ist man der Kunst und den Künstler*innen so nah wie hier?

Denn Berlin ist nicht nur der größte Städtereisen-Magnet in Deutschland, sondern gleichzeitig das deutsche Tor zur Kunstwelt. Als Produktionsstandort für Kunst ist das Land – und somit Berlin – mit führend.

Ein Blick zurück in die Geschichte zeigt: Das kontrastreiche und aufregende Großstadtleben der deutschen Hauptstadt übte schon auf die Künstler*innen der Weimarer Republik eine große Anziehungskraft aus. Berlin war damals – wie heute – Dreh- und Angelpunkt der Kunst- und Kulturszene. Ob Neue Sachlichkeit oder Berliner Sezession, ob Protagonist*innen wie Max Beckmann, Käthe Kollwitz oder Edvard Munch – sie alle prägten das Bild einer kreativen und turbulenten Stadt. Ihren internationalen Ruf hat sie, abgesehen von den Jungen Wilden im West-Berlin der 70er, nun wieder erlangt. Nach dem Mauerfall hat sich Berlin zu einem international beachteten Produktionsstandort für zeitgenössische Kunst entwickelt.

Ob Malerei, Skulptur, Fotografie, Performance oder Installation, viele Kunst-Schaffende zieht es in die deutsche Hauptstadt – für einige Wochen oder Monate, für ein paar Jahre oder für immer. Thomas Demand, Candice Breitz, Jorinde Voigt, Omer Fast, Jonas Burgert, Olafur Eliasson, Jeppe Hein, Monica Bonvicini, Katharina Grosse, Alicja Kwade oder derzeit noch Ai Weiwei – sie alle leben und arbeiten in Berlin. Diese berühmten Namen stehen stellvertretend für die große Anzahl ihrer Berliner Berufskollegen. Denn im letzten Kulturwirtschaftsbericht ist gar von 20.000 aktiven Bildenden Künstler*innen in Berlin die Rede. Etwa 6.000 davon sind, wie bereits erwähnt, mit ihren Arbeiten in Berliner Galerien vertreten. Diese befinden sich in den Galeriequartieren, den buchstäblichen Galerienzentren der Stadt: in Berlin-Mitte, Kreuzberg, der Potsdamer Straße in Tiergarten und neuerdings wieder Charlottenburg. Ihnen eilt ein hervorragender Ruf voraus.

Wo sonst – auch historisch betrachtet – ist das Potential so groß, die Arbeit der Künstlerinnen und Künstler zu präsentieren und zu vermarkten? Und das nicht nur in Deutschland oder Europa, sondern weltweit.

Doch die besten wirtschaftlichen Voraussetzungen (und der folgende Punkt dringt nun zu einer weiteren, womöglich kritischeren und komplizierteren Problematik als die schlichte Feindbild-Formel „guter Künstler | böser Investor“ innerhalb der Berliner Kunstszene vor) –  die besten wirtschaftlichen Voraussetzungen und Unterstützungsangebote durch den Senat wie Atelierförderprogramme etc. fallen auf fruchtlosen Boden und nützen wenig bis nichts, wenn hinter den Kulissen die Pfründe so verteilt sind, dass für einen Großteil der Mitspieler der Berliner Kunstszene, sprich: für die Galerien und ihre Künstler*innen, ein Fortkommen erschwert oder gar verunmöglicht wird.

Denn: Wo sonst gibt es ein Gallery Weekend, an dem nur 45 (die Anzahl der Teilnehmer des GW 2019) von den 440 Berliner Galerien zur Teilnahme berechtigt sind? Natürlich gibt es ein qualitatives Gefälle innerhalb der Galerieszene. Aber die Platzhirsche sind doch allen bekannt. Das Argument, man müsse das Niveau hoch halten, um international ernst genommen zu werden, ist zweifelsfrei richtig. Und für die grundsätzliche Initiative zur Etablierung des Konzepts gebührt den sieben Initiatoren Dank. Allerdings ist in berechtigte Zweifel zu ziehen, dass es eben nur 45 Galerien sein sollen, die über die Qualität verfügen, an einem Gallery Weekend offiziell teilzunehmen. Diese Selektion hat vielmehr den Anschein, man wolle unter sich bleiben und scheue einen größeren Wettbewerb, damit das in die Stadt getragene Kapital innerhalb eines eingeschworenen Zirkels verbleibt.

Dabei sollte es aus unserer Sicht in der Kunst nicht um ein Ausschließen und Fernhalten von den sprichwörtlichen Fleischtöpfen gehen. Sondern um ein Mitnehmen aller Protagonisten um der Vielfalt der Kunst willen – Künstler*innen, Galerist*innen sowie Kunstbegeisterte. Und um ein gemeinsames Bemühen des Steigerns der Anziehungskraft von Kunst und Kultur in der Gesellschaft. Auf das der Bedarf nach Kunst Einzug in alle Gesellschaftsschichten halten möge. Auf dass das Besitzen von Kunst nicht nur den intellektuellen Genuss und die Lebensqualität durch die Aufwertung des eigenen Umfelds fördern möge, sondern die Kunstkäufer*innen auch in der Gewissheit lässt, mit dem Kauf von Kunstwerken den Künstler*innen ein weiteres Arbeiten zu ermöglichen und damit die Grundlagen für eine aufgeklärte, reflektierte Gesellschaft zu schaffen. Eine Gesellschaft, die mithilfe ihrer Künstler*innen immer wieder Fragen stellt, um die aktuellen Standpunkte zu überprüfen und ihr gesellschaftliches Denken und Handeln zu verbessern.

Doch dafür scheinen die Voraussetzungen derzeit weniger positiv. Der Kunstmarkt ist klar strukturiert. Er basiert auf gewissen intellektuellen und gesellschaftlichen Parametern, die bestimmte Kreise aus unterschiedlichen Beweggründen bewusst fern halten oder ausschließen. Ein Öffnen des Kunstmarktes wird von den marktbestimmenden Teilnehmer*innen als große Gefahr für das gesamte Konstrukt angesehen. Ob diese Befürchtung berechtig ist, darüber wollen wir eine Diskussion anregen. Die Antwort der Gesetze des Marktes ist eindeutig: Die Angst ist unberechtigt.

Berlin – so viel steht fest – hat kein Problem als Produktionsstandort von zeitgenössischer Kunst. Nur der hiesige Kunstmarkt will noch nicht so richtig aus seinen Kinderschuhen heraus.

Aber wo sonst hierzulande ist das Potential größer?

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