Wolfgang Borchert, der einer der wichtigsten Autoren der „Stunde Null“ und auch Schauspieler war, schrieb Draußen vor der Tür innerhalb von acht Tagen im Januar 1947. Unheilbar krank nach sechs Jahren Krieg, diversen Gefangenschaften und der Hungersnot, blieb ihm wenig Zeit, das wusste er. Am 13. Februar desselben Jahres fand die Rundfunkpremiere des Textes statt, die ein dermaßen leidenschaftliches Echo auslöste, dass eine Theateraufführung in den Hamburger Kammerspielen am 21. November geplant wurde.
Abb. oben: Draußen vor der Tür, v.l. Kathrin Wehlisch, Jonathan Kempf, Foto: Matthias Horn
Mit seinem Text hatte Borchert einen Aufschrei gegen die ungeheure Verdrängung der Nachkriegszeit in Worte gefasst, der einer kriegstraumatisierten und um ihre Jugend schwer betrogenen Generation eine Stimme gab. Einen Tag vor der Uraufführung des Stücks, welches laut Untertitel „kein Theater spielen und kein Publikum sehen will“, starb Borchert im Alter von nur 26 Jahren.
Zu Lebzeiten wurde Borchert wiederholt monatelang inhaftiert, er erhielt sogar ein Todesurteil: Seine kritischen Worte über Hitler in seinen Briefen, seine Goebbels-Parodie auf einer Kabarettbühne und seine Verehrung für Rainer Maria Rilke, welche die Nazis als vermeintliche Homosexualität kriminalisierten, wurden als staatsgefährdende Straftaten eingeordnet. Die Familie Borchert wurde 1937 aus ihrer Hamburger Wohnung vertrieben, denunziert von der benachbarten Familie Kramer aufgrund mangelnder Linientreue. Frau Kramer fand schließlich, unter anderem Vorzeichen, als Figur Eingang in Borcherts expressionistisches Stationen-Drama.
Geprägt von seiner Erfahrung als Kriegsheimkehrer stellte Borchert in der Figur des Beckmanns – der keinen Tag länger ermordet werden und keinen Tag länger Mörder sein will – Fragen, die weit über das Nachkriegsdeutschland von 1945 hinaus drängen, wie gegenwärtig wieder schmerzhaft deutlich wird: Welche Verantwortung übernehmen wir für die Folgen der Kriege „draußen vor der Tür“, an denen wir beteiligt sind? Was wollen wir wissen von den Auswirkungen der Gewalt „draußen vor der Tür“, von der wir profitieren? Wie geht unsere Gesellschaft mit kriegstraumatisierten Menschen um? Sind wir bereit, anstelle von Verdrängung Trauerarbeit zu leisten? Wer stellt sich der Wahrheit eines Schlachthauses, bevor er sich sein Wurstbrot schmecken lässt? Was tun wir, um Krieg zu verhindern? In was für eine Welt schicken wir die uns nachfolgenden Generationen?
Text: Amely Joana Haag
Mit: Bettina Hoppe, Jonathan Kempf, Oliver Kraushaar, Peter Luppa, Tilo Nest, Josefin Platt, Philine Schmölzer, Veit Schubert, Kathrin Wehlisch
Regie: Michael Thalheimer
Bühne: Olaf Altmann
Kostüme: Nehle Balkhausen
Musik: Bert Wrede
Licht: Rainer Casper
Dramaturgie: Amely Joana Haag
WANN?
Samstag, 30. April 2022 – 20:00 Uhr
Sonntag, 1. Mai 2022 – 18:00 Uhr
Samstag, 14. Mai 2022 – 19:30 Uhr (Einführungsgespräch: 19:00 Uhr)
Sonntag, 15. Mai 2022 – 18:00 Uhr
WO?
Berliner Ensemble
Großes Haus
Bertolt-Brecht-Platz 1
10117 Berlin-Mitte
+49 30 284 08 155
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