C/O Berlin freut sich, vom 14. September 2024 die Ausstellungen der ersten beiden Gewinner:innen des After Nature . Ulrike Crespo Photography Prize: Laura Huertas Millán . Curanderxs und Sarker Protick অ�ার. Awngar zu präsentieren. Die Eröffnung findet am Freitag, den 13. September 2024, um 20:00 bei C/O Berlin im Amerika Haus in der Hardenbergstraße 22–24, 10623 Berlin statt.
Abb. oben: Para la Coca, 2024, film still, © Laura Huertas Millán
In ihren beiden ausgezeichneten Projekten untersuchen Laura Huertas Millán (1983, Kolumbien) und Sarker Protick (1986, Bangladesch) aus unterschiedlichen Perspektiven und geografischen Kontexten, wie koloniale Strukturen die moderne Beziehung zur Natur bis heute prägen. Beide teilen ein tiefes Interesse an der Geschichte und den Ursprüngen unseres Verhältnisses zur Welt. Durch die Verschmelzung von Historischem und Gegenwärtigem nehmen sie globale Zusammenhänge in den Blick und machen das Publikum auf die visuellen Mechanismen aufmerksam, die am Werk sind, wenn sich Vorstellungen von Natur in Fotografie und visuellen Medien manifestieren.
Laura Huertas Millán . Curanderxs
Kaum eine Pflanze ist so umstritten wie die Kokapflanze. In der westlichen Welt wird sie hauptsächlich mit dem Rauschmittel Kokain in Verbindung gebracht, das erstmals im Europa des 19. Jahrhunderts hergestellt wurde und ein gewaltvolles System des Drogenhandels und -missbrauchs hervorgebracht hat. Dass die Pflanze durch ihre heilende und stimulierende Wirkung eine kulturelle und spirituelle Bedeutung für die indigene Bevölkerung der Andenregion hat, verweist auf eine Leerstelle in der Geschichtsschreibung, die nicht zuletzt auf die westliche Wissenshegemonie zurückzuführen ist. Seit 2018 beschäftigt sich die kolumbianische Filmemacherin Laura Huertas Millán in ihren Arbeiten mit der Kokapflanze.
Die Ausstellung Curanderxs (span. Heiler:innen) präsentiert neben der gleich namigen Multikanal-Projektion, die im Rahmen des After Nature Prize 2024 neu produziert wurde, zwei weitere Videoinstallationen der Künstlerin. Ausgehend von dem erstmaligen Verbot der Pflanze im Zuge der spanischen Kolonisierung Latein-Amerikas entwickelt Huertas Millán in ihrer neuen Arbeit ein spekulatives Narrativ, in dessen Zentrum eine Gruppe weiblich gelesener Personen steht, die im 17. Jahrhundert heimlich Kokablätter verteilten. Als Reaktion auf die wenigen erhaltenen Quellen nutzt die Künstlerin die Fiktion als Strategie und imaginiert eine fragmentarische Erzählung über die koloniale Vereinnahmung der Natur. In einer Ästhetik, die als Verweis auf die Stille der Archive an den frühen Stummfilm angelehnt ist, treten aus den dunklen Tiefen der Untergrundlandschaften mutige Akteur:innen hervor, indem sie versklavte indigene Arbeiter durch die heimliche Verteilung von Kokablättern unterstützten.
In El Laberinto (2018) kombiniert Huertas Millán Found Footage mit eigenem 16-mm-Material aus Kolumbien. Der Film folgt den labyrinthischen Erinnerungen von Cristobal Gómez Abel, der in den 1980er Jahren für die Drogen barone im kolumbianischen Amazonasgebiet arbeitete. Dieser führt durch den Wald und die Ruinen einer Narco-Villa, die der amerikanischen Seifenoper Der Denver-Clan aus den 1980er Jahren nachempfunden ist. Durch ihre Bildsprache erzeugt Huertas Millán einen immersiven Raum, der Themen wie Trauma, Erlösung und die Suche nach Identität behandelt.
Schließlich blickt die 2-Kanal-Installation Para la Coca (2024) auf die gegenwärtige rituelle Nutzung der Kokapflanze in der indigenen Community in Kolumbien jenseits kolonialer Einschreibungen und Kriminalisierung. Abermals gemeinsam mit Cristobal Gómez Abel erarbeitet, erzählt der Film von einem Mythos der Murui, in dem die Kokapflanze als Gottheit in der Gestalt eines Mädchens dargestellt wird, das seine Gemeinschaft über den ethischen Gebrauch der Pflanze belehrt. Der Film unterstreicht die Bedeutung, diese kulturellen Praktiken zu respektieren und zu bewahren.
Mit Curanderxs zeigt C/O Berlin die erste monografische Ausstellung von Laura Huertas Millán in Deutschland und versammelt zudem ihre aktuellsten Arbeiten über die Kokapflanze in einer gemeinsamen Präsentation.
Sarker Protick . অ�ার . Awngar
Der bangladeschische Fotograf Sarker Protick spannt in seiner Ausstellung অ�ার . Awngar ebenfalls den Bogen zwischen verschiedenen Zeitlichkeiten. Mit Blick auf das historische Gebiet Bengalens, das sich heute über Indien und Bangladesch erstreckt, legt er die Verbindung zwischen der kolonialen Geschichte des indischen Subkontinents und der bis heute andauernden Ausbeutung der dort lebenden Menschen und Ökosysteme offen.
Seine fotografische Untersuchung gleicht dabei einer Feldforschung. Wie viele seiner Arbeiten ist অ�ার . Awngar als Langzeitprojekt angesetzt. Im Fokus steht der Zusammenhang zwischen dem Ausbau von Eisenbahnverbindungen und dem Kohlebergbau im 19. Jahrhundert unter der Kolonialherrschaft des British Empire. Für Awngar begab sich Protick auf die Reise an verschiedene Orte in Indien und Bangladesch, beispielsweise nach Narayankuri, Westbengalen, wo sich eine der ältesten Minen Indiens befindet. Oder an die 1,6 Kilometer lange Eisenbahnbrücke Hardinge Bridge – ein Prestigeprojekt, das zwischen 1910 und 1915 erbaut wurde und sich über den Padma River in Bangladesch erstreckt. Bis heute ist sie ein wesentlicher Teil der Infrastruktur des Schienenverkehrs und somit ausschlaggebend für die Mobilität der Arbeiter:innen und den Transport von Exportgütern. Gleichzeitig erinnert diese Infrastruktur an die brutale Geschichte der Teilung Bengalens.
Proticks Fotografien zeigen dystopische Kohlereviere umgeben von Schutt und Staubwolken, stillgelegte Eisenbahnstrecken, die ins Nichts führen, sowie Ruinen und Relikte des Spätkapitalismus, die an einst florierende Industrien erinnern. Seine sorgfältig durchdachten, minimalistischen Kompositionen öffnen den Blick für menschenleere Räume und Landschaften. Dabei arbeitet er vor allem mit natürlichen Lichtquellen, mit denen er sanfte und blasse Farbtöne erzeugt und so eine poetische, vermeintlich zeitlose Atmosphäre schafft. Andere Bildgegenstände, wie die imposante Hardinge Bride, setzt er abstrahiert in Schwarz-Weiß-Aufnahmen grafisch in Szene.
Protick gelingt es scheinbar mühelos, Widersprüche in seinen Bildern zu vereinen: Etwa der Verlust von Ressourcen und Lebensgrundlagen mit dem fortwährenden kapitalistischen Streben nach Wachstum. অ�ার (Awngar) bezeichnet im Bengalischen nicht bloß Kohle als Material, sondern referiert auf die Kohle als immerwährende Matrix in der Tiefe der Erde – als etwas, das von innen heraus erglühen und ewig unterhalb der Oberfläche brennen kann. Hiermit steht der Begriff sinnbildlich für die Kolonialgeschichte des British Empire und der kapitalistischen Strukturen, die heute durch privatisierte Bauunternehmen und Großkonzerne aufrechterhalten werden. In einer präzisen und atmosphärischen Bildsprache legt Protick die globale, geopolitische und historische Dimension des Imperialismus und dessen Einfluss auf die Klimakrise dar.
Mit অ�ার . Awngar zeigt C/O Berlin die erste monografische Ausstellung von Sarker Protick in Deutschland. Die Doppelausstellung wird von Katharina Täschner, Junior-Kuratorin bei C/O Berlin, kuratiert. Es erscheint eine begleitende Publikation bei Hartmann Books.
Der After Nature . Ulrike Crespo Photography Prize ist ein gemeinsames Projekt der C/O Berlin Foundation und der Crespo Foundation. Jährlich ermöglicht der Preis die Umsetzung zweier rechercheintensiver Projekte und würdigt Künstler:innen oder Gruppen, die durch ihre Arbeit neue Konzepte von Natur in Fotografie und visuellen Medien erkunden. Der Preis beinhaltet ein Preisgeld von je 40.000 Euro, eine Ausstellung bei C/O Berlin und eine begleitende Publikation. Anschließend ziehen die Ausstellungen in den Open Space der Crespo Foundation in Frankfurt am Main.
Laura Huertas Millán (*1983, Kolumbien) ist Künstlerin und Filmemacherin. Sie wurde an der Université PSL (SACRe-Programm) in Paris promoviert und hat in diesem Rahmen am Sensory Ethnography Lab der Harvard University geforscht. Ihre Filme waren auf führenden Festivals vertreten, unter anderem beim Filmfestival von Locarno, dem FIDMarseille, Doclisboa in Lissabon und Videobrasil in São Paulo. Das MASP São Paulo, das Maison des Arts de Malakoff und das Museum of Modern Art in Medellín zeigten Einzelausstellungen ihrer Arbeiten. Zudem waren ihre Arbeiten im Centre Pompidou und im Jeu de Paume in Paris, im Guggenheim Museum in New York, auf der Times Art Berlin und der Liverpool Biennale, FRONT International – Cleveland Triennial for Contemporary Art, der Videonale in Bonn und der Sharjah Biennale zu sehen. Sie lebt und arbeitet in Frankreich.
Sarker Protick (*1986, Bangladesch) ist Fotograf, Dozent und Kurator. Er hat am South Asian Media Institute – Pathshala in Dhaka studiert, wo er heute als Direktor des internationalen Programms tätig ist. Zudem ist er Co-Kurator des Chobi-Mela Festivals, des am längsten bestehenden Fotofestivals in Asien. Seine Arbeiten thematisieren häufig die Vergänglichkeit von Zeit und sind in Bangladesch und der historischen Region Bengalen angesiedelt. Sie werden in internationalen Ausstellungen gezeigt und erhielt verschiedene Stipendien und Preise, unter anderem war er Foam Talent und erhielt den Magnum Foundation Fund. Er lebt und arbeitet in Dhaka, Bangladesch.
WANN?
Vernissage: Freitag, 13 September 2024. ab 20:00 Uhr
Ausstellungsdaten: Samstag, 14. September 2024 bis Mittwoch, 22. Januar 2025
Öffnungszeiten: Täglich. 11:00 – 20:00 Uhr
WO?
C/O Berlin im Amerika Haus
Hardenbergstraße 22–24
10623 Berlin
KOSTET?
Eintritt Frei