Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen gibt die Erwerbung eines Schlüsselwerks des analytischen Kubismus bekannt. Erstmals seit über 50 Jahren ist es gelungen, ein Spitzenwerk des Kubismus dauerhaft für die Sammlung Moderne Kunst ib der Pinakothek der Moderne zu sichern.
Abb. oben : Pablo Picasso, Femme au violon, 1911, Öl auf Leinwand, 92 x 65 cm,
mit Renaissance-Kassettenrahmen (16. Jh., Toskana),Sammlung Moderne Kunst in der Pinakothek der Moderne, 2022 bis 2024 erworben mit großzügiger Unterstützung der Ernst von Siemens Kunststiftung,des Freistaat Bayern, der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, der Kulturstiftung der Länder,der Würth-Gruppe und von Fritz Schäfer, Schweinfurt, Foto: Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Sibylle Forster © Succession Picasso / VG Bild-Kunst, Bonn 2024
Mit Pablo Picassos „Femme au violon“, entstanden im Frühjahr 1911, ist ein Höhe- und Endpunkt der Ungegenständlichkeit in Picassos kubistischem Schaffen erreicht und die Auflösung des Objekts annähernd vollständig vollzogen. Die Komposition besticht durch die zarte Poesie der pointillistisch-vibrierenden, auf Grau-, Braun- und Ockertöne reduzierten Pinselschrift und die konsequente geometrische Zerlegung von Figur und Instrument. Form und Hintergrund sind in einer linearen Gitterstruktur verbunden. Durch den tüpfelnden Farbauftrag pulsiert das Bild gleichzeitig in wolkigen Hell-Dunkel-Zonen.
Die Entwicklung von Picassos analytisch-kubistischem Vokabular wird in München nun von der „Kristallschale“ (1909) über den „Fächer“ (1910) bis hin zur „Frau mit Violine” (1911) grandios sichtbar. In der Gegenüberstellung der großformatigen „Frau mit Violine” mit George Braques hochovaler, bereits 1967 erworbener „Frau mit Mandoline“ (1910) wird zudem einer der prägenden künstlerischen Dialoge der modernen Avantgarde in der Pinakothek der Moderne in kongenialen Werken sichtbar – die in der Kunstgeschichte einmalig enge Verflechtung von Picasso und Braque während der Entwicklung des analytischen Kubismus. Bislang fehlte im Münchner Bestand ein zentrales Werk aus der Hochphase Picassos, das sich der Analyse der menschlichen Gestalt widmet.
Für die frühe Rezeption und Etablierung des französischen Kubismus in Deutschland ist das Gemälde von unschätzbarem kulturellen Wert. „Femme au violon“ weist eine illustre Provenienz und Ausstellungshistorie auf. Als Leihgabe des wegweisenden Pariser Kunsthändlers Daniel-Henry Kahnweiler verkörpert es 1912 die jüngsten stilistischen Entwicklungen Picassos in der legendären „Sonderbund“-Ausstellung in Köln und wird nach der unmittelbaren Erwerbung durch den Sammler und Kunsthändler Alfred Flechtheim bereits 1913 in München auf der ersten deutschen Picasso-Retrospektive in der „Modernen Galerie Heinrich Thannhauser“ gezeigt. Nachdem das Werk über weitere Stationen um 1927 in die berühmte Sammlung des Krefelder Textilfabrikanten Hermann Lange gelangt und durch Erbfolge stets innerhalb der Familie weitergegeben wird, kehrt es 2014 – etwa ein Jahrhundert nach seiner ersten Präsentation – zunächst als Dauerleihgabe nach München zurück, um im Kubismus-Bestand der Sammlung Moderne Kunst eine markante Sammlungslücke zu schließen. Nachdem die letzten wegweisenden kubistischen Werke von Pablo Picasso, Georges Braque und Juan Gris bereits 1971 durch das Vermächtnis von Woty und Theodor Werner an die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen gelangten, ist es nun durch mehrjährige Bemühungen und dank einer Allianz von sechs Förderern gelungen, die „Femme au violon“ von Pablo Picasso dauerhaft für den Freistaat Bayern zu sichern. Ohne das so frühzeitige wie vorbehaltlose Engagement der Ernst von Siemens Kunststiftung wäre dies nicht möglich gewesen.
Picassos „Femme au violon“ wurde nun anlässlich dieser Neuerwerbung und Präsentation in Saal 29 eigens neu gerahmt. Das Gemälde erhielt durch Knoell Rahmen, Basel, einen italienischen Renaissance-Kassettenrahmen (Nussbaumholz, Toskana, frühes bis mittleres 16. Jahrhundert). Auch George Braques, „Femme à la Mandoline“, wurde ebenfalls in Basel mit einem neu angefertigten, erstmals ovalen Gemälderahmen aus Kieferholz nach einem barocken Profil ausgestattet.
Saal 29 der Pinakothek der Moderne präsentiert anlässlich der Neuerwerbung kubistische Werke aus dem Bestand der Sammlung Moderne Kunst. Der Kubismus hatte bereits vor dem Ersten Weltkrieg eine frühe Sternstunde in München: Der Galerist Heinrich Thannhauser (1859–1934) organisierte im Februar 1913 in seinen Räumen der „Modernen Galerie“ in der Theatinerstraße 7 die weltweiterste Picasso-Retrospektive des damals 31-jährigen Malers. Neben der nun für München gesicherten „Frau mit Violine“ waren Picassos Gemälde „Fächer“ sowie „Kristallschale“, die seit 1971 zu den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen gehören, auf dieser Ausstellung zu sehen.
Pablo Picasso und Georges Braque entwickelten seit 1906/07 den Kubismus als radikalen Bruch mit der Tradition der Malerei. Die Kritik an der Wiedergabe des Sichtbaren und die konzeptionelle Zerlegung des Gegenstandes in geometrische Einzelformen machen den Kubismus zu einem entscheidenden Ausgangspunkt für die konzeptionellen Neuerungen der Avantgarde. Die Präsentation zeigt stilistische Innovationen des analytischen zum synthetischen Kubismus auf, aber auch Weiterentwicklungen von Juan Gris, George Braque und Pablo Picasso während der 1920er-Jahre bis hin zu Sigmar Polkes ironischer Auseinandersetzung mit jener kubistischen Auflösung der Gegenstände in seinem „Akt mit Geige“ von 1968.
Oliver Kase, Sammlungsdirektor | Sammlung Moderne Kunst, Sammlungsleiter Klassische Moderne
Prof. Dr. Bernhard Maaz, Generaldirektor Bayerische Staatsgemäldesammlungen: „Eine der größten Erwerbungen eines deutschen Museums in den letzten Jahrzehnten verdankt sich der großartigen und entschiedenen Allianz von Förderern und Politik, von Stiftungen und Privatpersonen. Ich danke allen Beteiligten von der seit dem ersten Tage an motivierenden Ernst von Siemens Kunststiftung über die Landes- und Bundesebene, die bayerische Direktorenkonferenz bis hin zum Unternehmen von Reinhold Würth und zu Fritz Schäfer als einem selbstlosen Mäzen.“
Markus Blume, Staatsminister für Wissenschaft und Kunst, Freistaat Bayern: „Picassos ‚Femme au violon‘ wird Münchnerin – in gewisser Weise unsere kubistische Version der Mama Bavaria! Dank des großartigen Zusammenspiels von Politik, Stiftungen, Wirtschaft und privatem Mäzenatentum wird das ikonische Kunstwerk Picassos im Herzen unserer Kulturmetropole München heimisch. Der Ankauf ist ein fantastisches Gemeinschaftswerk und ein grandioser Gewinn für die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen und unseren Kulturstaat Bayern. Ich danke der Kulturstaatsministerin, der Kulturstiftung der Länder, der Ernst von Siemens Kunststiftung, der Würth-Gruppe und dem privaten Mäzen Fritz Schäfer für ihre Unterstützung! Hier zeigt sich, wie vereintes Engagement unsere staatliche Kulturlandschaft bereichert“.
Dr. Martin Hoernes, Generalsekretär der Ernst von Siemens Kunststiftung: „Femme au violon“ ist ein Münchner Bild! 1913 hat es der Sammler Franz Kluxen bei der ersten Picasso-Retrospektive hier gezeigt und hier ergänzte es zunächst als hochkarätige Leihgabe hervorragend den Bestand der Pinakothek der Moderne. Als Hauptförderer hat die EvSK ein Viertel des Kaufpreises übernommen und schon 2022 den Erwerb für München initiiert.
Prof. Dr. Markus Hilgert, Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder: „Picassos ‘Femme au violon’ ist nicht nur für die Entwicklungsgeschichte des Kubismus von herausragender Bedeutung – es ist auch hinsichtlich der frühen Picasso-Rezeption in Deutschland von gesamtstaatlicher Relevanz und in seiner Provenienz- und Ausstellungsgeschichte ganz unmittelbar mit der Stadt München verbunden. Die Kulturstiftung der Länder hat daher sehr gerne die Pinakothek der Moderne beim Ankauf unterstützt.“
Kulturstaatsministerin Claudia Roth: „Als genialer Künstler prägte Picasso die Malerei des 20. Jahrhunderts in herausragender Weise. Seine ‚Femme au violon‘ gilt als ein wahres Meisterwerk des Kubismus und ist damit von unschätzbarem kunsthistorischen Wert. Dass dieses Gemälde von Pablo Picasso nun endgültig einen festen Platz in der Pinakothek der Moderne gefunden hat, ist ein großer Gewinn für München und die gesamte deutsche Museumslandschaft. Ich freue mich sehr, dass es mit dem Ankauf gelungen ist, ein Stück künstlerische Avantgarde in Deutschland dauerhaft für eine breite Öffentlichkeit zu bewahren. Nötig war dafür eine starke Allianz. Eine Allianz, die sich mit ihrem finanziellen Engagement ganz klar zur Kultur bekennt. Die kooperative Zusammenarbeit von Bund, dem Freistaat Bayern, der Kulturstiftung der Länder sowie der Ernst von Siemens Kunststiftung ist ein tolles Beispiel für den hohen Stellenwert der Kultur in Bund und Land.“
Pablo Picasso, „Femme au violon“ ist ausgestellt in Saal 29
Zur Provenienz des Gemäldes: frühestens 1911−1912 Daniel Henry Kahnweiler, Paris; 1912 Alfred Flechtheim, Düsseldorf; spätestens 1913 bis mindestens 1917 Franz Kluxen, Münster und Boldixum; mindestens 1920 bis mindestens 1922 Max Leon Flemming, Hamburg; 1927 Galerie M. Goldschmidt & Co., Frankfurt am Main (in Kommission); frühestens 1927, spätestens 1931 bis 1942 Hermann Lange, Krefeld / Berlin; 1942 bis 1964 Marie Lange, Krefeld; seit 1964 Privatsammlung; 1994 bis 2004 Leihgabe aus Privatbesitz an die Staatlichen Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie; 2004 Leihgabe aus Privatbesitz an die Staatlichen Museen zu Berlin, Museum Berggruen; seit 2014 Leihgabe aus Privatbesitz an die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, Sammlung Moderne Kunst in der Pinakothek der Moderne, München
Erworben 2022 bis 2024 mit großzügiger Unterstützung der Ernst von Siemens Kunststiftung, des Freistaat Bayern, der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, der Kulturstiftung der Länder, der Würth-Gruppe und von Fritz Schäfer, Schweinfurt.
WO?
PINAKOTHEK DER MODERNE, Raum 29
Barer Straße 40
80333 München