Das Berliner Aktionsbündnis fair share! Sichtbarkeit für Künstlerinnen lädt am Weltfrauentag 2023 (08.03. um 12 Uhr) zu einer symbolischen Aktion am Spreeufer vor dem Marie-Elisabeth-Lüders-Haus ein. Dass der Weltfrauentag 2023 dem Equal Pay Day in Deutschland am 07.03. folgt, gibt in diesem Jahr das Thema des Protests vor.
Abb. oben: fair share for women artists, Aktion am 08.03.2023 um 12 Uhr am Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, Foto: Petra Weller.
Anders als in den letzten Jahren vor den Häusern der Staatlichen Museen zu Berlin, steht fair share! in diesem Jahr bewusst an einem Ort politischer Entscheidungen. Das Bündnis fordert eine gerechte und angemessene Bezahlung der Arbeit von kunstschaffenden Frauen, verbunden mit der Sichtbarkeit und Anerkennung des weiblichen Potentials in der Bildenden Kunst.
Künstlerinnen und weibliche Kulturschaffende (1) gehen am diesjährigen Weltfrauentag als Repräsentantinnen der Gesellschaft direkt ins Zentrum politischer Entscheidungsfindung: Zwischen Marie-Elisabeth-Lüders- und Paul-Löbe-Haus sowie mit Blick auf den Bundestag werden fair share! Akteurinnen in pink in einem Buchstaben-Scrabble immer wieder neue Slogans bilden, während von der “Feminist Corner” Tatsachen, Utopien, Wünsche und Forderungen an die Politik artikuliert werden. Als besonderes Highlight wird auf der Spree der alte Floßschlepper Aurora pink beflaggt mit weiteren Aktivistinnen an Bord zwischen Museumsinsel und Humboldthafen für Aufmerksamkeit sorgen.
Der Gender Pay Gap in der Bildenden Kunst
Frauen verdienen gesamtgesellschaftlich 18% weniger als Männer (2), d.h., sie arbeiten vom 1. Januar an 66 Tage – bis zum 7. März – umsonst. Noch drastischer sieht es in der Bildenden Kunst aus: Hier liegt der Gender Pay Gap mit 30 % (3) deutlich höher – Bildende Künstlerinnen bleiben 2023 bis zum 19. April für ihre Leistungen unbezahlt. Dies lässt sich auf strukturelle Unterschiede und immer noch virulente Geschlechterstereotype in der Kreativwirtschaft zurückführen. So zeigen die mit Steuergeldern subventionierten Museen und Ausstellungshäuser sowie die Kunstsammlungen des Bundes eklatante Unterschiede in der Repräsentation von Künstlerinnen und Künstlern. Fair share! Recherchen ergaben, dass die Sammlung des Deutschen Bundestages (Artothek), die seit 1971 jährliche Ankäufe tätigt (gegenwärtig 175.000 €/Jahr), nur etwas über 20 % Werke von Künstlerinnen verwaltet (4). Die Kunstsammlung des Bundes kann für die letzten Jahre zwar eine deutliche Erhöhung bei den Ankäufen der
Werke von Künstlerinnen aufweisen. Die Gesamtbilanz seit Beginn der 1970er Jahre liegt jedoch auch hier nur bei knapp 30 %, bei einem Ankaufsetat von derzeit mehreren Millionen Euro pro Jahr (5). Die Lücken ziehen sich durch alle Museen im Bundesgebiet, und das auch im zeitgenössischen Bereich, obwohl 60 % aller Kunsthochschulabsolvent*innen weiblich sind (6). Da lohnt sich der entlarvende Blick der Guerrilla Girls in ihrer aktuellen Ausstellung im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe. Der Kunstbetrieb – privat wie institutionell – wird seit Jahrhunderten von männlichen Akteuren dominiert. Diese vereinen Macht und Geld und bestimmen auch heute noch, wer oder was gezeigt, gesammelt und angekauft wird. Das hat Einfluss auf die staatlich subventionierten Institutionen, wo Kurator*innen mit vermeintlich objektivem Blick hochkarätige Ankäufe tätigen und Ausstellungsprogramme zusammenstellen – in enger Kooperation mit dem Markt.
Aus dem Teufelskreis von Erfolgsdruck, Prestigedenken und Kanongläubigkeit auszubrechen, erfordert Mut. Wir wollen Galerist*innen, Kustod*innen und Museumsleiter*innen darin bestärken, die Karten zugunsten von Künstlerinnen neu zu mischen. Die Werke vieler kunstschaffender Frauen sind weniger sichtbar und werden zu wesentlich günstigeren Preisen angeboten (Gender Discount), wodurch ein eklatanter Gender Pay Gap entsteht. Laut Angaben der Künstlersozialkasse liegt das durchschnittliche Einkommen der Künstlerinnen in Deutschland weit unter der Armutsgrenze, wobei sorgearbeitende und alleinerziehende Frauen besonders betroffen sind. Hier ist politisches Handeln dringend geboten. Von der Individualkünstlerin bis, bis zu den wichtigen Interessensvertretung der bildenden Künstler*innen, dem bbk berlin und dem BBK Bundesverband, sind in den letzten Jahren Forderungen und Maßnahmenkataloge erarbeitet worden. Lösungsvorschläge und Best Practice Beispiele liegen vor.
Doch es braucht weitaus mehr als die Sensibilisierung für das Thema.
Das Aktionsbündnis fair share! Sichtbarkeit für Künstlerinnen
Das fair share! Aktionsbündnis ist eine von Ines Doleschal und Rachel Kohn 2020 gegründete, wachsende Initiative von Bildenden Künstlerinnen, Kunsthistorikerinnen und anderen Kulturschaffenden und -interessierten aus Berlin mit überregionaler Wirkung. Die Akteurinnen machen sich für mehr Sichtbarkeit von Künstlerinnen im staatlich geförderten Kunstbetrieb stark. Sie fordern eine Quote in allen Bereichen zeitgenössischer Kunst sowie eine Aufwertung von Künstlerinnen im historischen Bereich. Neben Hauptaktionen zum Weltfrauentag vor prominenten Museen in der Stadt, in denen Kunstwerke von Frauen stark unterrepräsentiert sind, treten sie ein für wenig beachtete Einzelkünstlerinnen (z.B. Anna Dorothea Therbusch), für Genderparität in der Vergabe von Förderungen und Stipendien sowie für gerechtere Honorierung weiblichen Kunstschaffens und kunstaffiner Tätigkeiten im Kulturbetrieb.
Das Aktionsbündnis versteht sich außerdem als Plattform für Austausch und Empowerment zur Förderung von Teilhabe, Diversität und Avantgarde. Ziel aller Aktionen ist eine Steigerung künstlerischer Qualität und Vielfalt in der deutschen Museums- und Ausstellungslandschaft, sowie gerechtere Strukturen an der Basis der Kunstproduktion.
fair share! fordert
• eine Anerkennung der Leistungen von Künstlerinnen aller Jahrhunderte bis heute
• die gendergerechte Gestaltung von Ankäufen und Ausstellungstätigkeiten
• eine Steigerung der Präsenz von Werken von Künstlerinnen in Schausammlungen und Ausstellungen – im zeitgenössischen Bereich auf 50 %
• eine Förderung von Forschungsprojekten und Publikationen zu Künstlerinnen
• die Aufarbeitung und Ergänzung kunsthistorischer Publikationen und Lehrbücher
• das Etablieren einer bundesweiten Künstlerinnen-Datenbank sowie eines Monitoring-Büros zur Analyse der Repräsentanz von Künstlerinnen in deutschen Museen und Sammlungen, angesiedelt im Ressort der Staatsministerin für Kultur und Medien nach dem Beispiel USA und UK (7)
• eine Einführung von deutlich mehr und gezielten Förderungen und Preisen für Künstlerinnen aller Altersstufen
• die Abschaffung von Altersbeschränkungen bei Ausschreibungen
• Förderungen und Stipendien für Künstlerinnen in Care-Verantwortung
• Förderprogramme für Künstler*innen mit Erziehungs- und Care-Aufgaben, sowie die Entwicklung von Förderprogrammen zur gezielten Unterstützung des Wiedereinstiegs nach familienbedingter Auszeit
Weitere Details über Aktionen unter
www.fairshareforwomenartists.de
Die fair share! Aktion ist klimafreundlich konzipiert und wird möglichst ressourcenschonend umgesetzt.
Die Realisierung wird durch private Spenden finanziert.
Jede Spende hilft:
Konto: Frauenmuseum Berlin e.V.
IBAN: DE26 8306 5408 0004 0227 50
Kennwort: fair share! Aktion 8. März 2023
Quellen:
(1) Unter Künstlerinnen* verstehen wir Frauen, Lesben, inter-nicht-binäre und TransPersonen.
(2) Deutschland liegt mit einem Pay Gap von 18% (2022) an viertletzter Position der 27 europäischen Mitgliedsstaaten.
https://www.destatis.de/Europa/DE/Thema/Bevoelkerung-ArbeitSoziales/Arbeitsmarkt/GenderPayGap.html
(3) Gender Pay Gap 2022 in ausgewählten künstlerischen Berufen in Deutschland; Auswertung ver.di; Stand 27.01.2023 (auf der Grundlage von Zahlen der KSK vom 4. Quartal 2022)
(4) Sammlung des Bundestages (Artothek): insgesamt liegt das Verhältnis im Sammlungsbestand bei rund 23 % Künstlerinnen zu 75 % Künstler. Quelle: Bestandsverzeichnis
https://www.bundestag.de/resource/blob/807584/a9a260c73b3ba86efd31988f79f324ec/bestandsverzeichnis_artothek-data.pdf
(5) Bundeskunstsammlung: insgesamt liegt das Verhältnis im Sammlungsbestand bei 27% Künstlerinnen zu 73 % Künstler, in den neuesten Ankaufszeiträumen wurde es deutlich verbessert. Anteile Künstlerinnen: (2012-2016) 40 %, (2017-2021) 59 % im regulären Ankauf sowie 52 % durch Neustart Kultur Ankauf (2020-21), Quelle: Bundeskunstsammlung https://www.kunstsammlungbund.de/kunstdatenbank/2_Kuenstler/2_kuenstler_node.html;jsessionid=D70B661FF82EE369B9D060BF4EABDC11.live412 sowie Ausstellungskataloge
https://www.museumsreport.de/2020/08/ankaufetat-der-bundeskunstsammlung-auf-drei-millioneneuro-erhoeht/ ; “Identität nicht nachgewiesen”, Vorwort zum gleichnamigen Ausstellungskatalog, Hg. Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH, 2022, ISBN 978-3-7774-3988-4, S. 8
(6) Studierende (2018/19) in der Bildenden Kunst werden mit 59 % Frauen angegeben. https://www.bbkberlin.de/sites/default/files/2021-03/spartenbericht-bildende-kunst-5216102219004.pdf, S. 43
(7) Schon im 7. Folgejahr analysiert das Monitoringbüro der Freelands-Stiftung die Repräsentanz von Kunstwerken von Frauen in den Museen und Sammlungen im United Kingdom.
https://freelandsfoundation.co.uk/research-and-publications/women-artists-report
Der privat finanzierte Burns-Halperin-Report trägt seit 2018 Data aus Museen und Auktionshäusern zusammen und analysiert die Ankäufe von Kunst von Frauen, von PoC und weiblichen PoC.
https://news.artnet.com/art-world/letter-from-the-editors-introducing-the-2022-burnshalperin-report-2227445