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Donnerstag, April 25, 2024

Warum artspring? | „Und nächstes Jahr machen wir dann …“

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Ein Kommentar von Julia Brodauf.

Der Gedanke lag eine Weile in der Luft: Man müsste doch mal, mit allen zusammen, die Ateliers öffnen, damit alle sehen können und alle gesehen werden können, die das ganze Jahr über hinter verschlossenen Türen … und dann stellten wir die üblichen 5 Minuten vor Deadline-Mitternacht jenen Antrag auf Förderung beim Kulturamt Pankow und nahmen nach der positiven Antwort im frühen Frühjahr 2017 Kurs auf den ersten artspring. Den Kunstfrühling, bewusst vor den alljährlichen Kunstherbst gesetzt, merke: Die KünstlerInnen selbst sind lange vor der inszenierten und vielfach jurierten städtischen Verkaufsveranstaltung am Start.

Abb.oben: artspring Offene Ateliers 2019, Eröffnungsabend in der Ateliergemeinschaft Milchhof, Foto André Wunstorf

Wir freuten uns über die Resonanz von rund 200 KünstlerInnen im Stadtbezirk und über ein sich von selbst generierendes Veranstaltungsprogramm und gingen nach diesem Erlebnis mit einer gewissen Selbstverständlichkeit ins zweite Jahr: Dass das Netzwerk im Bezirk nun, da es geweckt war, weiter gepflegt werden solle, war uns klar. Artspring 2018 lief mit rund 300 KünstlerInnen und zeigte allein 200 Arbeiten in der mehrwöchigen Ausstellung artspring central im Museum Pankow. Wir erfanden dazu noch den artspring berlin award und knüpften erste Kontakte in die Lokalpolitik.

Die Ausstellung zog viele BesucherInnen an, aber an einem Wochenende 300 einzelne Orte mit Besuch zu versorgen, blieb eine Herausforderung und abhängig vom selbständigen Engagement der jeweiligen AtelierinhaberInnen. Auch das vielleicht eine wertvolle Erkenntnis – der etablierte Kunstmarkt erwartet von  uns ein Verhalten, dass dem sehr altmodischen Bild eines Debütantinnenballs ähnelt: Einigermaßen brav am Rand sitzen, bis ein Kunst-Influencer, ein Galerist vielleicht oder eine Kuratorin, kurz Aufmerksamkeit schenkt. Passivität bringt einen aber tatsächlich auch nur mit einer sehr geringen Wahrscheinlichkeit irgendwo zum Walzer, selbst auffordern ist nicht nur emanzipierter, sondern auch unterhaltsamer, mehr Rock’n Roll eben. Und durchaus erfolgreich: Berlin ist bekannter für seine Projekt-und Offraumszene als für seine Versuche, kunstmarktmäßig mit dem alten Westen oder anderen Metropolen mitzuhalten.

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artspring 2019, Eröffnung artspring Festival, Pop up Info Store in den Schönhauser Allee Arcaden, Foto André Wunstorf

Das, was am Kunstmarkt zum Wertobjekt hochgehandelt wird, ist gerüchteweise eher „Berlin based“ als Berliner Pflanze, aber das, was hier wächst und rankt, kämpft schwer um sein Auskommen. Berlin ist nicht mehr „arm, aber sexy“, und das ist ein Standortproblem: Die Immobilien, die Miete, die Investoren, die Mietpreisbremse, das Gewerbeschutzgebiet, die Enteignung: Diese Begriffe belegen die Zeitungsseiten, aber die Ateliers in der Goldleistenfabrik kosten seit Februar 50 % mehr (und das ist schon der KünstlerInnensonderpreis), das Atelierhaus in der Australischen Botschaft(ost) kämpft höchst engagiert um den  Erhalt des Hauses als Kulturstandort, die KunstEtagen Pankow ringen mit der Topsanierung ihres ollen Plattenbaus und der jüngste Hilferuf kommt aus der Bizetstraße, wo die Atelierwohnungen nun in lukrative Eigentumswohnungen umgewandelt werden sollen. Unser aller Tage im Bezirk sind gezählt, wenn nicht – ja, was denn? Ein Umdenken geschieht, aber wo? Kann man alle KünstlerInnen durch einen lokalpolitischen Eingriff mit Platz versorgen? Oder mit Struktur? Matthias Böttcher, SPD-Politiker und Vorsitzender des BVV-Kulturausschusses, machte sich in einer Podiumsdiskussion in den KunstEtagen Pankow im vergangenen November stark für die Einrichtung gleich zweier weiterer, kommunaler Galerien zusätzlich zu den bestehenden zweien und der in Planung der Wiedereröffnung befindlichen an der Kastanienallee. Das klingt schon mal gut, aber wird es machbar sein?

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artspring 2019, Eröffnung artspring dezentral 2 in der Janusz Korczak Bibliothek, Foto André Wunstorf

Tatsächlich haben die Lokalpolitik und auch der Wirtschaftsverbund im Bezirk längst verstanden, was sie an ihren KünstlerInnen haben. Gezeigt hat das auch eine großangelegte Studie zum Tourismus, die im letzten Jahr gelaufen ist. Der Bezirk Pankow, so wurde es dort besprochen, steht für Familienfreundlichkeit, für naturnahen Wohnkomfort , aber auch sehr stark für Kunst und Kultur. Unter den bei jenem Gespräch Anwesenden, und da waren wir auch dabei, legten sich dann die Stirnen in Falten: Wo sind sie denn hin, all die Offräume, die Verrückten, die Sehenswerten, die Lauten? Die Blicke richteten sich auf uns, wir saßen da immerhin symbolisch für rund 300 Kunstschaffende: Ja, wir sind noch da. Wir machen immer noch tolle Sachen, stellen Betrachtungen und Forschungen an und begeben uns Woche für Woche in unsere Arbeitsräume, um l’art pour l’art zu produzieren, mal mit mehr finanziellem Erfolg, mal mit mehr Nebenjob, mal mit Besuch aus dem Ausland, mal mit Kind unterm Arm, mal verprassen wir das Geld unserer Eltern, mal das vom Amt.

Nicht nur das vom Arbeitsamt, nein, man kann ja auch beim Bezirksamt die Kulturförderung für Projekte beantragen, so wie auch artspring entstanden ist. Zwei Mal 80 000 Euro an Förderung kann hier insgesamt vergeben werden, 160 000 Euro im Jahr.  Klingt das nach viel? Der Bezirksbürgermeister Sören Benn bezeichnet den Bezirk Pankow als ostdeutsche Großstadt, einwohnermäßig, und wenn man sich da ein bisschen umguckt, sind 160 000 Euro nicht der Kulturprojektetat einer Großstadt. Eher arm, als sexy. Warum das im Einzelnen so ist, entzieht sich unserer Kenntnis, wir machen beruflich Kunst, andere können beruflich die Strukturen der städtischen Töpfe durchdenken. Aber wenn wir lesen, dass diese Holzdinger, die insgesamt 12 Parkplätze auf der Schönhauser Allee blockieren, allein in der Herstellung 50 000 Euro pro Stück kosten, dann stellen sich schon Fragen.

Wollen wir wirklich 200 000 Euro ausgeben, um den MitbürgerInnen mitten an einer Hauptverkehrsader ein Bänkchen in die Sonne zu stellen? Wollen wir wirklich den Verkehr lahm legen, die Lärmschutzauflagen erhöhen, den Takt verringern, die Gegend beruhigen, das allgemeine Balkonien soweit verteuern, bis auch der letzte wirklich sexy Künstler in eine Brandenburger Kleinstadt abgeworben wurde, und es dafür am Helmholtzplatz so richtig schön ruhig ist, weil da wirklich kein Hahn mehr kräht? Haben wir dann „Sommer vorm Balkon“ nicht total falsch verstanden? Wollen wir nicht lieber dafür sorgen, dass agile und lebendige Strukturen entstehen, in denen Künstlerinnen und Künstler in Kontakt mit den HändlerInnen und AnwohnerInnen um sie herum kommen und die Chance haben, sich ihren Platz in der innerstädtischen Gesellschaft selbst zu gestalten, auch Geld zu verdienen, auch steigende Mieten zu bezahlen?

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artspring Offene Ateliers 2019, Atelierhaus Schönhauser 69, Foto Kerstin Karge

Wir von artspring, wir wollen das gerne. Auch das seit dem letzten Jahr regelmäßig tagende artspring forum zeigt, dass die Vernetzung wichtig ist. Wir haben bereits Pläne geschmiedet, wie man eine „rund-ums-Jahr“ – KünstlerInnen-Präsentation, einen Anlauf- und Knotenpunkt, eine Kommunikationsstelle für alle schaffen kann. Natürlich kostet das Geld. Frau Balla vom Kulturamt war dankenswerterweise schon mit uns beim EU-Mittel-Spezialisten der Stadt, und der hielt das auch für eine gute Idee. Leider würde die EU auch im günstigsten Fall nur die Hälfte bezahlen. Wir brauchen also mindestens 200 000 Euro im Hintergrund, um diese Struktur aufzubauen und drei Jahre am Leben zu erhalten. Hatten wir die Zahl nicht gerade schon mal?

Bevor also weitere Gartenzäunchen im Stadtverkehr aufgebaut werden, bitten wir die Verantwortlichen, ihre eigenen Strukturen soweit zu überarbeiten, dass stattdessen ein eigener Topf für artspring entsteht. Denn, das wurde uns vielfach gesagt, wir haben die Kulturförderung nun zum dritten Mal bekommen, danach müssen wir uns nach anderem Geld umsehen.  Um das transparent zu formulieren: Wir haben für artspring 2017 12000 Euro bekommen und für 2018 und 2019 jeweils 17000 Euro aus Mitteln des Bezirks und des Bezirkskulturfonds. Die 3000 Euro Künstlerinnenhonorar, die wir in diesem Jahr mehr haben wollten für die Gäste des Veranstaltungsprogramms, gab es übrigens nicht extra, merke: Kunst ist ein Ehrenamt. Die Organisation von artspring ist auch ein Ehrenamt. Wir zahlen ein paar Honorare, aber das meiste passiert nach Dienstschluss im Brotjob, am Wochenende, nachts, mit Freude, aber auch unter Strapazierung  eigener Kraftreserven und der der Familien und Freunde.

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artspring Offene Ateliers 2019, Atelier Lindy Annis, Foto André Wunstorf

Wer schon mal unsere Fördergelder für drei Jahre Festival zusammengerechnet hat, kommt auf 46 000 Euro.  Dazu kommen ein paar Spendengelder und vor allem auch die Unterstützung in Naturalien durch unsere Projektpartner, in diesem Jahr zum Beispiel die Schönhauser Allee Arcaden, das Planetarium und die Stadtbibliothek mit Räumen für unsere Aktionen. Und Künstlergeld: Die Ateliergemeinschaft Milchhof e.V. hat in diesen drei Jahren etwa ein Fünftel dieser Summe aus eigenen Mitteln beigesteuert.

Nichtsdestotrotz: Die Stadt gab uns bisher weniger, als ein Parklet kostet. Wir halten das für ein falsches Signal. Und möchten an dieser Stelle fordern: Ganz egal, wie ihr es macht: Unterstützt uns durch euer Know-How in der Bereitstellung von schlappen 200 000 Euro und jemandem, der diesen EU-Antrag erfolgreich stellt. Dann wird es auch in Zukunft artspring geben. Ansonsten sitzen wir im nächsten Frühling mit einem Vanilleeis und Gehörschutz im Parklet rum und lassen die Türen zu den Ateliers wieder zu. Wir haben uns nun drei Jahre lang gezeigt, jetzt liegt es an euch.

Herzliche Grüße,
Eure Künstlerinnen und Künstler des Stadtbezirks Pankow


Dieser Text erschien ursprünglich im artspring berlin magazin, der Zeitung, in der alle teilnehmenden Künstlerinnen und Künstler sowie die mit dem Kunstfestival artspring verbundenen Veranstaltungen aufgelistet werden. Das Kunstfestival artspring lief den ganzen Monat Mai 2019 über und mündete in das Wochenende der offenen Ateliers am Himmelfahrts-Wochenende.

Artspring konnte sich weiter etablieren und die Besucherinnen und Besucher in die Atelierhäuser locken – die Standortprobleme sind damit aber noch lange nicht gelöst. Artspring an sich ist keine kommerzielle Veranstaltung, sondern eine Aktion, um die Künstlerinnen und Künstler in ihrem jeweiligen Geschäft zu unterstützen. In der Folge von artspring treten nach wie vor Akteure aus dem Bezirk mit Ideen und Angebote an uns heran – hier steckt noch viel Potenzial, um aus den ersten Schritten in die Öffentlichkeit eine wirklich nachhaltige und in ihrem Vernetzungscharakter zwischen Kunstschaffenden, Lokalpolitik und lokalem Unternehmertum vorbildhafte Veranstaltungsreihe zu etablieren.

Die ersten Anträge sind gestellt, aber der Appell an unser Rathaus, artspring durch ein eigenes Budget auf sicheren Boden zu stellen, bleibt bestehen.

Julia Brodauf, Initiatorin von artspring berlin (neben Jan Gottschalk), Absolventin Kunstakademie Düsseldorf, Meisterschülerin von Jan Dibbets, Lehrbeauftragte / Dozentin an verschiedenen Kunst bezogenen Institutionen wie u.a. Berlin Art Institute, weißensee kunsthochschule berlin, seit WS 2017/18 Projektleitung Support-Büro, HGB Leipzig

www.artspring.berlin

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