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Freitag, April 19, 2024

The Cast Whale Project – Gil Shachar – St. Elisabeth Kirche

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Trotz eines möglichen Lockdowns weiterhin besuchbar bleibt das Ausstellungsprojekt “The Cast Whale Project” mit einer lebensgroßen, 14 m langen Wal-Skulptur des israelischen, in Deutschland lebenden Künstlers Gil Shachar. Der Wal “strandet” anlässlich des Gallery Weekends 2021 in der St. Elisabeth-Kirche in Berlin-Mitte und ist vom 22.04. bis zum 14. Mai 2021 täglich von 11 bis 20 Uhr besuchbar (Einlass kostenlos, FFP 2 Maske obligatorisch, beschränkt auf 50 Personen zeitgleich im Kirchenschiff). Das Projekt wurde realisiert auf Initiative der Galerie Semjon Contemporary, die den Künstler Gil Shachar vertritt.

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Gil Shachar, 2021, The Cast Whale Project @ St. Elisabeth, Berlin,
Foto: Artland, Sarah Kiviby courtesy of the artist and Semjon Contemporary

Nach Jahrelangen Recherchen, die 2013 begannen, hatte Gil Shachar in Südafrika nach intensivem Verhandeln mit dem südafrikanischen Umweltministerium die Zusage erhalten, für ein Kunstprojekt einen verendeten Buckelwal abformen zu können. Dazu hatte der Künstler vor Ort ein abrufbereites Team zusammengestellt, das nach dem „Go“ des Künstlers unverzüglich mit der Sicherung und Abformung eines tot gestrandeten Tieres beginnen würde.

Nach einer Wartezeit von zwei Jahren wurde im August 2018 in Lamberts Bay ein für den Abguss passender, auf dem Rücken liegender, gestrandeter Wal entdeckt, der für das Kunstprojekt genutzt werden durfte.

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Gil Shachar, August 2018, Abformung Küste Südafrika,
Foto: Warrick Mc Leod, courtesy Gil Shachar and Semjon Contemporary

Das Team begann sofort mit seiner Arbeit, um den vierzehn Meter langen Buckelwal abzuformen. Gil Shachar, aus Duisburg kommend, schloss sich dem Team am folgenden Tag an.

Mit zehn Helfern und in nur zweieinhalb Tagen wurde zunächst, soweit möglich, der Sand um den Wal entfernt und begradigt. Danach wurde ein provisorischer Zaun errichtet, um zu verhindern, dass das Tier von der einbrechenden Flut wieder ins offene Meer gezogen würde.

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Gil Shachar, August 2018, Abformung Küste Südafrika,
Foto: Warrick Mc Leod, courtesy Gil Shachar and Semjon Contemporary

So geschützt begann das Abformen des Wals: Erst mit einer Schicht Gelcoat, dann mit zwei Schichten glasfaserverstärktem Polyesterharz.

ART at Berlin - Gil Shachar_2018-August_Abformung_Kueste Südafrika Foto-Warrick Mc Leod
Gil Shachar, August 2018, Abformung Küste Südafrika,
Foto: Warrick Mc Leod, courtesy Gil Shachar and Semjon Contemporary

Die gehärtete Form wurde dann mit der Flex zerlegt und an den Verbindungsstellen mit Metallhaken versehen, um sie später besser wieder zusammenfügen zu können. Drei Tage dauerte die Abformung.

Kurz danach wurde der Wal vom Meer ‚zurückgeholt‘.

Die Wal-Skulptur selbst wurde später in einem dreimonatigen Arbeitsprozess in Cape Town fertiggestellt und dann nach Deutschland verschifft.

Stephan Berg, Intendant des Kunstmuseum Bonn, schreibt dazu in einem Text aus dem Jahr 2020:

“Die Suche nach einer Werkstatt, in der die weiteren Schritte erfolgen konnten, gestaltete sich schwierig, da der infrage kommende Ort in Kapstadt zu dem Zeitpunkt noch belegt war. Erst etwa sechs Monate später, im März 2019 konnten die Arbeiten an dem Wal fortgesetzt werden. Zunächst mit vier, dann mit insgesamt sechs Helfern wurde die Form wieder zusammengebaut und von der Decke abgehängt. Die Nähte an den geflexten Stellen wurden repariert, anschließend wurde die gesamte Gussform mit Polyurethan laminiert.
Mehrere Schichten Epoxydharz, verstärkt mit Glasfasermatten, sowie eine in die Skulptur integrierte Struktur aus Metall sorgten für die notwendige Stabilität. Im finalen Schritt wurde die nunmehr aus fünf Teilen bestehende Skulptur mit einer dunklen, monochromen Farbe bemalt, die, damit sie auf dem Polyurethan haftete, lösungsmittelbasiert sein musste. Im Ergebnis benutzte Shachar dafür eine Farbmischung, die hauptsächlich schwarzen, nicht glänzenden Schultafellack enthielt. Alles in allem beanspruchten diese Arbeitsschritte zehn Wochen.
Diese tatsächlich zehrenden und mühevollen Schritte auf dem Weg zu dem endgültigen Projekt sind hier nicht zuletzt deshalb etwas ausführlicher geschildert worden, weil sie in einem großen Kontrast zu der Selbstverständlichkeit stehen, mit der dieser Werk vor uns erscheint: als eine Gegebenheit, die, nun, wo sie einmal in der Welt ist, so wirkt, als wäre sie immer schon da gewesen. Und dabei zugleich ein Moment des Überwältigt-Seins und tiefster Berührung auslöst. Überwältigend ist die Begegnung mit dem Abguss dieses Buckelwals schon alleine durch die Größe. Die vierzehn Meter lange Skulptur ist nämlich im Grunde von keiner normalen Betrachter-Position heraus vollständig zu überblicken. Dazu bedürfte es der Vogelperspektive. Wenn man sich diesem Koloss dagegen sozusagen in Augenhöhe nähert, wird er zu einem Gebirge, das sich nur umrunden, nicht aber in einem Blick erfassen lässt. (…) Erst nach und nach, wenn der Blick, der das Ganze sucht, dieses aber nicht überblicken kann, sich den einzelnen Partien der Skulptur nähert, wird aus der abstrakten, riesigen Skulptur der Körper des größten Säugetiers dieser Erde. Das ist der Moment, wenn sich die Überwältigung durch die schiere Monumentalität der Skulptur in das Gefühl des Berührtseins verwandelt, wenn aus dem abstrakten auch ein emotionales Erlebnis wird. Je näher man diesem Körper kommt, umso weniger kann man seiner Leiblichkeit, seinen Körperöffnungen, dem scheinbaren Blick des Auges, den Schrunden und Wunden, die ihm unter anderem Schiffsschrauben zugefügt haben, ausweichen. Vielleicht ist das die größte Qualität dieses Werks: Dass es zugleich pure skulpturale Wirklichkeit und hochemotionale Allegorie auf das kreatürliche Leben schlechthin ist.”

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Gil Shachar, August 2018, Herstellung der Walskulptur, Cape Town Frühjahr,
Foto: Warrick Mc Leod, courtesy Gil Shachar and Semjon Contemporary

Bereits 2020 haben viele Menschen den großen Wal im Kunstmuseum Bochum trotz Corona sehen können. “Die Begegnung mit dieser gewaltigen und beeindruckenden Skulptur hinterlässt ihre Spuren”, sagt Galerist Semjon H.N. Semjon. Er hatte sie ebenfalls erlebt und erkannte schnell, dass in Berlin der ideale Ort für die Präsentation der Wal-Skulptur die Schinkelkirche St. Elisabeth in der Invalidenstraße in Berlin-Mitte sei. “Die Proportionen von Architektur und Wal sind stimmig. Zudem spiegelt die tragische Geschichte des Ortes, aber auch sein hoffnungsvoller Neuanfang nach dem Krieg und nach der Wiedervereinigung durch unzählige Kulturveranstaltungen vortrefflich die ‚Auferstehung‘ des Wals, sein neues Leben als Kunstwerk”, so der Galerist.

ART at Berlin - The Cast Whale Project in St Elisabeth - Gil Shachar - 2 - via Semjon Contemporary
“Der Wal in St. Elisabeth”*, 2021, 42 x 29,7 cm
Fine Art Print auf Hahnemühle Paper Rag; Edition von 200 (+20)

(*die Kreise sind Distanzkreise, die eingezeichnet wurden, um herauszufinden, wie viele Personen sich je nach Regel aufhalten dürfen; nach der Einzeichnung des Wals durch Gil Shachar hat die Galerie Semjon Contemporary das Bild als Auflagenprint produziert)

Semjon fasst in Worte, was das Kunstwerk für ihn bedeutet: “Die Skulptur wird zum Botschafter der geschundenen Kreatur und dafür, wie wir mit unserer Erde und ihrer Schöpfung umgehen. Ebenso sind die vielen Mythen, die sich bei allen Völkern um ihn gesponnen haben, in unser kollektives Gedächtnis eingeschrieben. Die Geschichte von Jona und dem Wal sind allen geläufig, Moby Dick als moderner Mythos erst recht. Der Wal ist zugleich eine faszinierende – scheinbar realistische – aber doch abstrakte Skulptur. Ein Meisterwerk von Gil Shachar!”

ART at Berlin - The Cast Whale Project in St Elisabeth - Gil Shachar - 6 - Foto Sarah Kivi
Gil Shachar, 2021, The Cast Whale Project @ St. Elisabeth, Berlin
Foto: Artland, Sarah Kiviby courtesy of the artist and Semjon Contemporary

Dass der sakrale Ort jetzt während der Corona-Pandemie unabhängig vom regulierten öffentlichen Leben ein offenes Haus ist, erweist sich in der augenblicklichen Situation als ein großes Glück. In dem großen Kirchenschiff dürften sich auf der verbleibenden Fläche, die nicht durch die Walskulptur belegt ist, laut Veranstalter eigentlich rund 150 Personen aufhalten. Bei der Planung der Veranstaltung wurde die zulässige Besucher:innenzahl aber sicherheitshalber deutlich reduziert – und zwar auf 50 Personen zeitgleich. Ein negativer COVID 19 Test ist für den Einlass nicht verpflichtend, wird jedoch empfohlen. Wer dieser Empfehlung solidarisch nachkommen möchte, findet das nächste Testzentrum in der Villa Elisabeth gleich nebenan.

Über www.betterplace.me/wal-von-gil-shachar-in-st-elisabeth kann das Projekt gefördert werden.

Gil Shachar: Cast Whale Project

WO? Offene Kirche St. Elisabeth, Invalidenstraße 3, Berlin-Mitte

WANN? Donnerstag, 22. April – Freitag, 14. Mai 2021, täglich 11 – 20 Uhr

KOSTET? kostenlos

Einlassregeln: FFP 2 Maske obligatorisch, beschränkt auf 50 Personen zeitgleich im Raum, COVID 19 Test empfohlen, aber nicht verpflichtend

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