Korallenriffe auf der ganzen Welt werden durch die globale Erwärmung zerstört. Als Reaktion auf diese Umwelttragödie haben die Künstlerschwestern Margaret und Christine Wertheim ein Werk geschaffen, das auf den Mitteln traditioneller Handarbeitstechniken basiert. Ihre gehäkelten Korallenriffe stellen eine raumgreifende Simulation von Farben und Formen dar, die vom australischen Great Barrier Reef inspiriert ist: Ein kollektiver Akt künstlerischer Produktion, der schon Tausende von Menschen rund um den Globus einbezogen hat, eine ästhetische Symbiose aus Kunst, Wissenschaft, Mathematik und kollektiver Praxis, der die unendlichen Möglichkeiten kreativen Handarbeitens zugrunde liegen.
Das Projekt wurde auf der Biennale von Venedig 2019 erstmals der internationalen Kunstöffentlichkeit vorgestellt. Nun präsentiert das Museum Frieder Burda in Baden-Baden eine umfassende Hommage an das Werk der beiden Künstlerinnen in Form einer Installation, die geradezu in das gesamte Haus „hineinwuchert“. Udo Kittelmann, künstlerischer Leiter des Museums, hat die Ausstellung in enger Zusammenarbeit mit den Schwestern Wertheim entwickelt.
Abb. oben: Christine und Margaret Wertheim, Baden-Baden Satellite Reef, Museum Frieder Burda, Baden-Baden
Die Korallenriffe der Welt sind bedroht Das Great Barrier Reef, das erste Lebewesen, das aufgrund seiner immensen Größe vom Weltraum aus sichtbar ist, erstreckt sich über 344.000 Quadratkilometer. Doch in den letzten Jahrzehnten sind 60 % dieses maritimen Wunderwerks an Korallenbleiche erkrankt, weite Bereiche des einstmals pulsierenden Lebens sind nun tot. Zu den traditionellen Belastungen durch Überfischung, Tourismus und landwirtschaftliche Abwässer kommen nun noch die Erwärmung der Meere und die Versauerung der Ozeane hinzu, beides Folgen der wirtschaftlichen Übermacht der globalen Petrochemie. Das Projekt “Crochet Coral Reef” (gehäkeltes Korallenriff) sensibilisiert und regt zum Nachdenken an über diese große anthropogene Krise. Es stellt eine künstlerische Installation dar, die sowohl emotional als auch monumental ist, indem sie die beide Ebenen – die privat ausgeführten und anschließend öffentlich ausgestellten Handarbeiten – eindrucksvoll zusammenführt: Die subjektive Tätigkeit wird transformiert in die kollektive Inszenierung im öffentlichen Raum eines Museums.
Margaret und Christine Wertheim
Die ungewöhnliche Begegnung aus Kunst und Wissenschaft im Projekt “Crochet Coral Reef” spiegelt das berufliche und persönliche Leben der Schwestern Wertheim wider. Margaret arbeitet nicht nur als Künstlerin, sondern ist auch eine international anerkannte Wissenschaftsautorin und Verfasserin von Büchern über die Kulturgeschichte der Physik. Christine, eine Dichterin und vormalige Malerin, unterrichtet seit Jahrzehnten Critical Studies and Art Theory am Goldsmith’s College in London und am California Institute of the Arts in Los Angeles. Da die beiden Schwestern schon in ihrer Kindheit lernten, ihre eigene Kleidung herzustellen, ist die Verbindung von Kunsthandwerk mit konzeptionellen Ansätzen aus Wissenschaft und Kunst für sie naheliegend. Zugleich verfolgen sie damit einen feministischen Ansatz. Ihr Projekt steht bewusst in der Tradition von Judy Chicagos bekanntem Kunstwerk „The Dinner Party“ und Mierle Ukeles` Pionierarbeit im Bereich der “sozialen Praxis”.
Seit sie im Jahr 2005 mit ihren gemeinsamen Projekten begannen, haben die Schwestern Wertheim mit Gemeinschaften in 50 Städten und diversen Ländern zusammengearbeitet, um die für ihre Arbeit signifikanten „Häkelriffe“ jeweils vor Ort entstehen zu lassen. Bis heute haben fast 20.000 Menschen, zumeist Frauen, an diesem installativen Gesamtwerk mitgewirkt. In Baden-Baden hat das Projekt eine bislang noch nie da gewesene Resonanz hervorgerufen. Mehr als 40.000 gehäkelte Korallen sind als Reaktion auf den vorherigen öffentlichen Aufruf im Museum eingetroffen. In ganz Deutschland haben sich Gemeinschaften im Geiste eines „kreativen Häkelns“ zusammengeschlossen, um auf diese Weise auf die Krise der Weltmeere aufmerksam zu machen.
Integration von weiblich konnotiertem Kunsthandwerk und angewandter Mathematik
Es ist kein Zufall, dass spezifische Formen des Kunsthandwerks, die normalerweise mit weiblicher Identität assoziiert werden, Gegenstand zahlreicher aktueller Ausstellungen und Neubewertungen sind. In ihnen artikulieren sich subtile Botschaften über Selbstbestimmung, stille Rebellion und feministischen Protest, in den mit leicht verfügbaren textilen Materialien hergestellten Objekten und Praktiken sind kodierte Texte eingeschrieben und eingewebt.
Gleichzeitig umfasst das Projekt auch eine mathematische Dimension. Denn die hier gefertigten Formen basieren auf der hyperbolischen Geometrie, einer alternativen mathematischen Theorie jenseits der klassischen euklidischen Geometrie. Alle gekräuselten, korallenähnlichen Formen, die in dieser Ausstellung zu sehen sind, sind handwerkliche Simulationen mathematischer Formen, wie sie die Korallen und andere Meeresorganismen ausbilden. Durch das Häkeln mit Garn betreiben die Autorinnen und Autoren der Werke eine Art angewandte Mathematik, gleichzeitig bringen sie Handwerk und Geometrie mit dem Klimawandel und der Entwicklung des Lebens auf der Erde in Verbindung. „So wie sich Lebewesen durch kleine Veränderungen eines zugrunde liegenden DNA-Codes weiterentwickeln, so entwickelt sich auch das gehäkelte Korallenriff durch kleine Veränderungen eines zugrunde liegenden Häkelcodes. So entsteht eine Taxonomie der Häkelkorallen-‘Organismen’.“, so die beiden Schwestern über ihre Arbeit.
WANN?
Samstag, 29. Januar – Sonntag, 26. Juni 2022
Öffnungszeiten: Di–So, 10.00–18.00 Uhr
an allen Feiertagen geöffnet
WO?
Museum Frieder Burda
Lichtentaler Allee 8b
76530 Baden-Baden
www.museum-frieder-burda.de
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