Der Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin zeigt vom 29. September bis zum 3. Oktober 2022 die für den diesjährigen Rundgang 50Hertz zum Thema „Cross-over von Kunst und Wissen“ ausgewählten Video-Installationen von Clara Alisch, Steph Joyce und Lisa Hoffmann. Die Szenografie gestaltet Louise Nguyen (raumlabor, Berlin). Die Werke der Künstlerinnen sind zudem ab sofort auf der Projekt-Website zusammen mit dem Ausstellungskatalog und Filmen über ihre Arbeits- und Schaffensprozesse des Berliner Kameramanns Alexander Gheorghiu zugänglich: www.rundgang50hertz.de.
Abb. oben: Lisa Hoffmann, Screentesting: (ghosts are made of bedsheets), 2021, Still aus dem 4-Kanal-Video, 32:30 Min. (Loop), ohne Ton © 2022 bei den Künstler*innen
Nach der öffentlichen Ausschreibung im September 2021 zum Thema „Cross-over von Kunst und Wissen“ wurden die Arbeiten digital eingereicht. Der Call richtete sich an Student*innen, die im Sinne eines Cross-over-Ansatzes Erkenntnisse wissenschaftlicher Disziplinen wie Ethnologie, Physik, Ökologie, Mathematik, Anthropologie, Archäologie, Biologie, Geschichte, Geophysik in eine künstlerische Arbeit übersetzen. Zu welchen Formen des Erkennens eine Verzahnung der Künste mit den Wissenschaften führt, bestimmt die seit den 1990er-Jahren unter dem Begriff „künstlerische Forschung“ an Kunsthochschulen in Europa unterschiedlich intensiv geführte Diskussion. In der Debatte schwingt die Frage nach der An- oder Aberkennung des epistemologischen Gehalts der Künste mit. Die Notwendigkeit dieser Diskussion zeigt sich in der bildenden Kunst, die sich als Disziplin mittels künstlerischer Forschung weiterentwickelt und auf die gegenwärtige sozio-politische Situation reagiert. Diese Notwendigkeit thematisiert der Rundgang 50Hertz im Jahr 2022.
Die Jury bestand aus Gabriele Knapstein, stv. Direktorin Hamburger Bahnhof, Sylvia Borcherding, Arbeitsdirektorin 50Hertz, Kerstin Maria Rippel, Leiterin Kommunikation & Politik 50Hertz, und dem Künstler und Filmemacher Felipe Castelblanco. Vorbereitet und moderiert wurde die Jurysitzung von Melanie Franke, Professorin für Kunstwissenschaft an der Universität Potsdam und Kuratorin Rundgang 50Hertz.
Clara Alisch (geb. 1986 in Münster, lebt in Bremen) thematisiert in ihrer Videoinstallation „Lactoland“ (2021) die verklärte Vorstellung, die mit dem Stillen an der Brust und dem damit verknüpften Mutterbild, das auf einer Innigkeit von Mutter und Kind basiert, verbunden ist. Es geht um reproduktive Arbeit (care work), die traditionell von Frauen im Bereich des Häuslichen geleistet und weder entlohnt noch von der Gesellschaft anerkannt wird. Hier kommt der Cyborg ins Spiel, ein Mischwesen aus Mensch und Maschine. Dieses wird zum Protagonisten einer von Alisch entworfenen Szenerie, in der es Milch durch Abpumpen zur Verfügung stellt. Mittels zahlreicher prothesenähnlicher Utensilien wird die Milch zu Bonbons verarbeitet. So entsteht ein doppelter Mehrwert: Das „Stillen“ verwandelt sich in das Produzieren von Milch und transformiert die idealisierte Vorstellung einer innigen Verbindung zwischen Mutter und Kind in die Erzählung von einer wertschöpfenden Arbeit. Auf diese Weise versucht die Künstlerin die Trennung der Geschlechter zu überwinden und kommt dem Ideal einer Transgender-Welt näher.
Die Videoinstallation „Crow Calls Twice“ (2021) von Steph Joyce ist das Ergebnis einer monatelangen Erforschung der Beziehungen zwischen Menschen und Krähen aus verschiedenen Blickwinkeln. Sie begegnen sich und es beginnt ein Austausch auf einer Ebene, der im Verlaufe der Arbeit immer intensiver wird und von wechselseitigem Verständnis geprägt zu sein scheint. Schließlich verbindet sich die Sphäre des Animalischen mit jener des Humanen in Richtung einer Kommunikation auf Augenhöhe.
Die Videoinstallation „Screentesting: (ghosts are made of bedsheets)“ (2021) zeigt teils verzerrte und geisterhafte Bilder, die Lisa Hoffmann (geb. 1991 in Schlema, lebt in Berlin) in einer Videoperformance in häuslicher Umgebung aufgenommen hat und auf Bioscreens projiziert. Diese Projektionsflächen bestehen aus von der Künstlerin hergestelltem kompostierbarem, gelatinebasiertem Bioplastik, das sich im Laufe der Zeit langsam auflöst. In der Installation wird das Verhältnis zwischen dem technisch projizierten Bild und der organischen Projektionsfläche je nach Blickwinkel immer verwirrender. Nachdem Wissen als etwas Gesichertes zum Verschwinden gebracht wurde, zeigt es sich in der Arbeit erneut – nun als etwas Phantasmatisches.
Der Rundgang 50Hertz ist ein Projekt zur Förderung von Hochschulabsolvent*innen der Studiengänge bildende/freie Kunst. Es basiert auf einer 2017 initialisierten Kooperation zwischen der Nationalgalerie – Staatliche Museen zu Berlin und dem Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz. Gefördert werden Arbeiten junger zeitgenössischer Künstler*innen der Universität der Künste Berlin, Kunsthochschule Weißensee in Berlin, Hochschule für bildende Künste Hamburg und der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig.
WANN?
Donnerstag, 29. September bis Montag, 3. Oktober 2022
WO?
Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin
Invalidenstraße 50/51
10557 Berlin-Mitte