In der Sonderausstellung “Der Fotograf. Ein Blickwechsel” im Museum für Fotografie treten aktuelle künstlerische Positionen von Schüler*innen des Lette Vereins in einen offenen Dialog mit dem Nachlass eines Berliner Amateurfotografen – Kurt Rohde (1920–1996) – und damit in eine ästhetische wie kritische Auseinandersetzung mit Fotopraktiken im Angesicht der digitalen Transformation und dem Umgang mit Archiven.
Abb. oben: Sara-Lena Maierhofer, Der Fotograf, 2023, Scannogramm, © Sara-Lena Maierhofer
Fotografien erscheinen meist statisch. Eingebunden in Zirkulationsprozesse jedoch können sich ihre Bildaussagen wandeln. Selbst in Archiven sind sie selten nur mit einer einzigen Erzählung verbunden. Besonders deutlich wird das bei künstlerischen Interventionen in archivierte Bestände, die bisher wenig Sichtbares hervorholen und neue Zugänge schaffen können. Eine solche Intervention ist auch das Ausstellungsprojekt „Der Fotograf. Ein Blickwechsel“.
Am Anfang stand dabei die Begegnung von Fotografie-Schüler*innen des Berliner Lette Vereins mit einem Konvolut, das lange still im Depot der Sammlung Fotografie der Kunstbibliothek lag: der Nachlass des Amateurfotografen Kurt Rohde. Der 1920 in Berlin geboren Rohde hat vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg bis zu seinem Tod 1996 intensiv mit verschiedenen Kameras fotografiert und seine Bilder selbst in der Dunkelkammer vergrößert. „Selbst heute stehe ich fast täglich in meiner Dunkelkammer – – – und werde doch nie fertig.“, schrieb er 1996 einem Bekannten. Als studierter Chemiker war Rohde zunächst Betriebsingenieur bei Osram und später Professor am Institut für Technologie und Planung Druck an der Hochschule der Künste in Berlin.
Kurt Rohde fotografierte vor allem Porträts, Landschaften und Feste, wobei sich seine Aufnahmen oft an der Schnittstelle von öffentlicher und privater Fotografie bewegen. Aber auch Stadtansichten von Berlin und Paris sowie Akte gehören zu den Motiven. Er fotografierte zunächst in Schwarzweiß, begann dann aber mit der zunehmenden technischen Fortentwicklung der Farbfotografie auch diese zu nutzen. Später kamen Polaroids hinzu. Im Labor experimentierte er mit Panoramadias, Doppelbelichtungen, Solarisation, Filmfehlern und anderem mehr. Damit steht sein Nachlass nicht nur für das Werk eines leidenschaftlichen Fotografen, sondern gibt auch Einblicke in fotografische Praktiken vor der digitalen Transformation.
Nun wurden die vielfältigen Aufnahmen des Fotografen zum Ausgangspunkt einer künstlerischen Intervention von Fotografie-Schüler*innen des Berliner Lette Vereins. In ihren Arbeiten bringen sie die Bilder und ihre Ordnungsprinzipien wieder in Bewegung, führen deren Narrationen an die Grenzen und zeigen ihre Brüchigkeit auf: Was sehen wir in diesen Fotografien, ohne bestimmte Kontexte und Hintergründe zu kennen? Blicken wir heute anders auf die Sujets? Wie wird in Rohdes Bildern die historische Gegenwart sichtbar? Und wie liest eine Maschine die Fotografien? Welche Bildinformationen werden dabei als wichtig erachtet?
Für die künstlerische Auseinandersetzung mit solchen Fragen haben die neun Künstler*innen ganz unterschiedliche Zugänge gewählt. Sie beschäftigen sich unter anderem mit Körpervorstellungen und ihren Präsentationsformen, fragen nach den Erzählungen der Bilder und ihren Leerstellen und erproben maschinelle Übersetzungsmodi. Auch das Archivieren selbst und Konzepte des Bewahrens werden zum Thema gemacht. Dabei treffen Collage und Montage auf Animation und machine learning, bewegte Bilder auf den fixierten Moment. Analog trifft digital und Raum trifft Fläche.
Neben den neu entstandenen Arbeiten vermittelt die Ausstellung auch Einblicke in das Ausgangsmaterial. Sie lädt dazu ein, neue und vergangene Seh- und Gebrauchsweisen der Fotografie zu entdecken und zeigt, dass auch die künstlerischen Interventionen sich nicht als Ende, sondern als Teil eines Prozesses im Umgang mit Archiven verstehen. Im Verlauf der Ausstellung entsteht eine begleitende Publikation im Druckverfahren der Risographie, die die Fäden des Nachlasses, der neuen künstlerischen Arbeiten und der Ausstellung selbst zusammenführt.
„Der Fotograf. Ein Blickwechsel“ ist ein Projekt von und mit Anton Alexej Andrén, Lula Bornhak, Felicia Feith, Lisa Koch, NiKA, Vanessa Alica Kunert, Luis Jonas May, Veronika Rehm und Robin C. Wolf. Die Ausstellung wird kuratiert von Sara-Lena Maierhofer, Katja Böhlau, Patrick Knuchel und Benjamin Kummer.
WO?
Museum für Fotografie
Jebensstraße 2
10623 Berlin-Charlottenburg
WANN?
Freitag, 30. Juni – Sonntag, 17. September 2023
Öffnungszeiten: Di + Mi 11 – 19 Uhr, Do 11 – 20, Fr – So 11 – 19 Uhr
KOSTET?
Reguläres Ticket 10 Euro, ermäßigtes Ticket 5 Euro