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Sonntag, April 28, 2024

Tijana Titin: Immersed in Poetry – rk Galerie für zeitgenössische Kunst | bis 11.10.2023

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Die rk Galerie für zeitgenössische Kunst im Rathaus Berlin-Lichtenberg zeigt derzeit eine Einzelausstellung der in Berlin lebenden Künstlerin Tijana Titin. Auf rund 300 qm werden Titins großformatige abstrakt-wogende Bildwelten präsentiert. Die Ausstellung ist noch bis zum 11. Oktober 2023 zu besuchen. Zeitgleich sind weitere Arbeiten von Tijana Titin auf der Jeonnam International Sumuk Biennale 2023 in Südkorea ausgestellt (1. September – 31. Oktober 2023).

Abb. oben: Tijana Titin, Insomnia Swirls, 2023, Öl und Ölstift auf Leinwand, 170 x 420 cm, Installationsansicht zweiter Raum © Studio Tijana Titin

Auflösung und Wiederkehr

Was in den Bildern von Tijana Titin unmittelbar deutlich wird, ist die Verbindung zu den Elementen. Fast alle Bilder sind von einer Art Wässrigkeit durchdrungen und Spritzer von schaumigem Weiß rufen eine unwillkürliche Assoziation hervor: die von Wellen, die sich im Wind aufbäumen, gegeneinander brechen und sich jeder Richtung und äußeren Ordnung widersetzen. Dieser Eindruck wird durch die Materialität der Arbeiten unterstützt: Obwohl Titin fast ausschließlich mit Ölfarbe arbeitet, entziehen sich ihre Bilder einer gewissen Festigkeit in Farbe und Oberfläche. Vielmehr verleiht ihnen ein transluzenter Farbauftrag eine leichte und luftige Erscheinung: Farben korrespondieren mit darunter liegenden Schichten, verbinden sich und lassen den Prozess ihrer Entstehung nachvollziehen. Dieser fließende Charakter erinnert an Aquarelle – was den Eindruck von Wasser noch verstärkt.

DEEDS NEWS - Tijana Titin - Immersed in Poetry - solo show rk-Gallery Berlin 2023 - main room
Immersed in Poetry, Tijana Titin, Einzelausstellung in der rk-Gallery Berlin 2023, Ausstellungsansicht Hauptraum © Studio Tijana Titin

In der Ausstellung “Immersed in Poetry” gibt es eine Trennung in Titins Farbwelten: Die eine Hälfte besteht aus leuchtenden, hellen und warmen Farben, die andere aus dunkleren Tönen. Ambivalenzen sind jedoch in beiden zu finden. “Liquid Sun” entfaltet beispielsweise eine hell erleuchtete Szenerie. Die magmatischen Ausbrüche und Bewegungen in Gelb werden von einem kontrastierenden Violett unterbrochen, das sich umso deutlicher von den weißen Sprenkeln und hellen Akzenten des Bildes abhebt. So bleibt die Szene nicht sanft und sonnig, sondern erinnert eher an ein Höllenfeuer – reine, chaotische Formen und Flächen stehen in einem tumultartigen Gegensatz zueinander. Dennoch gibt es eine Ruhe in dieser Szene, ein sanftes Driften, das uns dazu verleiten will, vertraute Formen – die Silhouetten von Tieren, Menschen, Pflanzen – zu erkennen, wo keine sind.

DEEDS NEWS - Tijana Titin - Liquid Sun 2023 - installation photo main room
Tijana Titin, Liquid Sun, 2023, Öl und Ölstift auf Leinwand, 190 x 400 cm, Installationsfoto, Hauptraum © Studio Tijana Titin

Trotz der feurigen Erscheinungen schleicht sich oft auch eine Dunkelheit in Titins Farblandschaften ein, selbst in “Phoenix”, wo allgegenwärtiges, leuchtendes Rot und Orange die Betrachter zu einer Assoziation mit der aufgehenden Sonne verleiten. Bei genauerer Betrachtung entpuppt sich diese aber vielmehr als ein Stern, kurz davor, vor eigener Energie zu zerbersten. Die Komposition deutet eine menschliche Form an, doch die anhaltende Bedrohung und Gefahr, die von diesem feurigen Wesen ausgehen, wird nicht durch einen figürlichen Ansatz deutlich gemacht. Je länger wir das Bild betrachten, desto mehr entzieht es sich einer festen, geradlinigen Interpretation, zu der uns der Titel sonst verführen könnte. Es geht nicht um eine Phönix-Figur, sondern mehr um eine Geste oder Landschaft oder auch das Gefühl des Ausbrechens, das hier mit dem Wesen des Phoenix verknüpft wird.

DEEDS NEWS - Tijana Titin - Phoenix 2023
Tijana Titin, Phoenix, 2023, Öl auf Leinwand, 170 x 150 cm © Studio Tijana Titin

“Impromptu”, eine besonders dunkle Leinwand, erinnert sofort an eine Explosion – blasser, rot gefärbter Schaum und leuchtende Funken sprühen aus dem Zentrum heraus, die Formen ähneln Fragmenten von Schädeln und Knochen. Aber auch hier löst sich das, was auf den ersten Blick erkennbar ist, bald wieder auf und weicht etwas anderem: reiner, lebendiger Bewegung. Die Farbpalette des Gemäldes steht dabei in starkem Kontrast zu Werken wie “Liquid Sun”. Auch hier werden wir zu falschen Annahmen verleitet: Statt einer bestimmten Form oder eines Themas artikuliert das Werk ein Gefühl – eines, das eindringlich und zeitlos nur knapp unter der Oberfläche unseres Bewusstseins lauert.

DEEDS NEWS - Tijana Titin - Impromptu 2023
Tijana Titin, Impromptu, 2023, Öl auf Leinwand, 190 x 120 cm © Studio Tijana Titin

Vielleicht ließe sich auch ein dritter Weg finden – ein Mittelweg zwischen den Polen von Dunkelheit und Licht. Nämlich dort, wo Titin eine neutrale Farbpalette einsetzt: Weiß, Grau, Ocker, Blau und Hellbraun. Doch diese “Zwischenräume” sind keine Orte der Vermittlung und Verhandlung. Im Gegenteil dazu provozieren sie noch viel stärker diesen inneren Konflikt, denn in Gemälden wie “Immersed in Poetry VII” wird das Ineinander-Branden und -Bersten zu neuen Höhen getrieben: Bewegung verhüllt hier Form, Subjekte werden von Farben ganz überwältigt.

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Tijana Titin, Immersed in Poetry, 2023, Ausstellungsansicht rk-Gallery Berlin © Studio Tijana Titin

Was Titins Werke offenbaren, ist die Auseinandersetzung mit einer Art Urmaterie, die beständig überquillt, durch innere kraftvolle Bewegungen hervorgerufen. Wenn wir an die Welt der Teilchen und Quanten denken, dann ist die Realität ein reines Wogen und Sich Verschränken von Energien – manchmal als Welle, manchmal als Teilchen, zur selben Zeit lokal und überall. Titin fängt das Gefühl ein, dass aus diesem Chaos heraus etwas durch Menschen erschaffen und in die Welt gebracht wird. In diesem Sinne wird ihre Arbeit zu einer Reihe von Versuchen, das Namenlose – das, was nur gefühlt werden kann – in seiner ganzen Dynamik sichtbar zu machen. Es entsteht im Brechen und der Gischt, wo Pinselstriche aufsteigen und aufeinanderprallen, und schwappt in Wogen von den Zentren der Bilder zu ihren Rändern. Dieser Prozess vollzieht sich in einer Vielzahl von Handlungen: Suchen, Kollidieren, Bersten, Ausbrechen, Geworfensein, Driften, Umreißen und schließlich Begreifen. Letzteres kommt jedoch nie zu einem Abschluss, sondern verbleibt in einem Zustand endloser Bewegung – stetig weiter treibend, fortfließend und sich selbst weiter
tragend.

Text: Julianne Cordray, Peter Wagner  

Tijana Titin wurde in Zrenjanin, Serbien, geboren. Nach ihrem Abschluss an der Kunstakademie in Novi Sad im Jahr 2006 erhielt sie ein serbisches Regierungsstipendium und zog anschließend nach Deutschland, wo sie 2007 ein Studium der Malerei an der Universität der Künste (UdK) Berlin begann. Ihr Masterstudium an der UdK schloss sie 2010 ab (Klasse Prof. Held). Es folgten zahlreiche Ausstellungen, 2016 wurde Titin mit dem Dorothea-Konwiarz-Preis für Malerei ausgezeichnet. Von 2014 bis 2016 war sie zudem Gastdozentin an der Chinesisch-Deutschen Kunstakademie (CDK) in Hangzhou, China. Zu ihren jüngsten Ausstellungen gehört “The Agony and the Ecstasy” in der Maddox Gallery in Los Angeles. Derzeit ist ihre Einzelausstellung “Immersed in Poetry” in der rk – Galerie Berlin zu sehen (bis 11. Oktober 2023). Ihre Arbeiten werden ebenfalls auf der Jeonnam International Sumuk Biennale 2023 in Südkorea ausgestellt (1. September – 31. Oktober 2023).

WO?

Rathaus Lichtenberg
Möllendorfstr. 6
10367 Berlin

WANN?

Freitag, 07. Juli bis Mittwoch, 11. Oktober 2023

Mo – Fr 10:00 – 18:00 Uhr
Sa + So geschlossen

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