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Montag, April 29, 2024

Fassades – Scotty | 01.03.-13.04.2024

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Der Projektraum SCOTTY initiiert ab 1. März 2024 eine Ausstellung zum Jahresthema „Habitate“. Beteiligte Künstler: Liesbeth Bos (NL), Matthias Stuchtey (D), Liesbeth van Woerden (NL). Habitate sind fragile Lebensräume. In der von Liesbeth van Woerden kuratierten Ausstellung liegt der Fokus auf Orten, die für den menschlichen Aufenthalt bestimmt sind: die städtische Umgebung, die unmittelbare physische Umgebung, in der wir leben. „Städte bestehen wie Träume aus Wünschen und Ängsten, auch wenn der rote Faden ihres Diskurses geheim ist, ihre Regeln absurd sind, ihre Perspektiven trügerisch und alles etwas anderes verbirgt.“ – Italo Calvino, Unsichtbare Städte, 1972. Basierend auf Calvinos Textfragment wurde ‚FACADES‘ als Titel für die Ausstellung bei SCOTTY gewählt. Fassaden prägen das urbane Umfeld. Sie fungieren als Gesichter der Stadt. Was verbergen die Fassaden? Verdecken die Fassaden unseren Blick? Bieten die Fassaden uns einen Raum außerhalb der Sichtweite? Können wir existieren, ohne eine Fassade zu haben? Die drei teilnehmenden Künstler:innen untersuchen das Konzept der „Fassaden“ jeweils aus einer anderen Perspektive. Auch die Arbeitsweisen, Materialien und Techniken unterscheiden sich, was zu einer vielschichtigen Ausstellung führt. Der Sinn: Künstlerische Visionen und Aussagen prallen aufeinander, reiben sich, verstärken sich gegenseitig, treten in einen Dialog.

Abb oben: © Liesbeth van Woerden, Triptych “Isolation” (Klein), 2017, mixed media (photos on MDF, wallpaper on styrofoam, photo frame), 30 x 50 cm

Liesbeth van Woerden:
Städte verwirren van Woerden; ihre Größe, ihre Glätte, Fassaden, die verbergen, was wirklich vor sich geht. Im städtischen Umfeld ist vieles ungreifbar, unsichtbar und befremdlich. Ist es möglich, diesem Lebensraum zu widerstehen? Städte ziehen van Woerden an: die Fülle menschlicher Spuren. Artefakte, die benutzt, weggeworfen, vernachlässigt oder verloren wurden. Kann man aus dieser zivilen Informationsflut Schlüsse ziehen? Was verraten die Details im Außenbereich über das, was im Inneren passiert? Van Woerden sammelt lose Rückstände und verwendet sie als „Rohmaterial“. Die Stadt dient als Forschungsfeld, ein urbaner Spielplatz. In ihrem Atelier schafft v.W. ihre Kunstwerke, indem sie isoliert, vergrößert, reduziert, kombiniert, arrangiert und/oder eliminiert. Bis zu einem Punkt, an dem sich Perspektiven ergeben: Vertrautes und Befremdliches, Lustiges und Verstörendes, Sichtbares und Unsichtbares. Sedimente von verblasstem Ehrgeiz und menschlichem Unvermögen. “Isolation“ ist eine Serie von Triptychen, die sich mit unseren Annahmen über das, was sich hinter Fassaden verbirgt, auseinandersetzen. Die Installationen, Aktionen, Videos, Fotografien und Objekte von Liesbeth van Woerden entstehen aus ihrer Faszination für das Alltägliche. Der Alltag mit seiner unerträglichen Routine und seinen beruhigenden Ritualen ist eine Quelle der Langeweile und fasziniert zugleich. Der Alltag als etwas, an dem man sich in einer globalisierten Welt festhalten kann, aber auch als einschränkende und körperliche Last. Ein Alltag, der immer mehr von den allgegenwärtigen (neuen) Medien infiltriert wird. Das Alltägliche ist immer, überall und für jeden da, niemand kann sich ihm entziehen. Van Woerden versucht, die Geheimnisse des Alltäglichen einzufangen, um „eine Verklärung des Alltäglichen“ zu erreichen. Banale Dinge, Handlungen, Fragen, Stimmungen auf einer Mikroebene und alltäglicher Input auf der Makroebene werden kombiniert, vermischt und untersucht. Repräsentation, Wahrnehmung und Bedeutung werden unter Druck gesetzt. Die Arbeiten werden in Projekträumen, Galerien und im öffentlichen Raum gezeigt. Materialien und Techniken sind nicht festgelegt, sondern werden nach ihrer Funktionalität für ein bestimmtes Kunstwerk ausgewählt.

Liesbeth Bos:
Das Kunstprojekt Panta Rei ist eine Untersuchung über den nie endenden Wandel in einer Stadt. Wie der griechische Philosoph Heraklit, der von der Einheit der gegensätzlichen Teile sprach. Er meinte, dass nichts in unserer Welt gleich bleibt. Mit anderen Worten: Man streitet nicht mit jemandem, der sagt, die Flasche sei halb voll, während man selbst meint, sie sei halb leer. Die Dinge erscheinen auf ganz unterschiedliche Weise, sie sind zufällig in der Zeit und verschwinden schließlich. Das gilt nicht nur für uns, sondern auch für alle Dinge im Universum und vielleicht für das Universum selbst. Alle Dinge, an die wir denken, sind in Wirklichkeit instabile Objekte, die sich ständig weiterentwickeln. Heraklit verglich sie mit Flammen, die wie Gegenstände aussehen, aber in Wirklichkeit ein Prozess sind. Heraklit widersprach dem beruhigenden Gedanken, dass die Dinge stabil und dauerhaft sind. Das Leben selbst und das Universum hören nie auf, sich zu verändern. Dieses Gesetz der Veränderung herrscht überall. Man kann ihm nicht entkommen. Zurück zum Kunstprojekt Panta Rei: Eine Stadt ist eine Kette von Gebäuden, alle unterschiedlich in Form, Design und Größe. Jedes Gebäude hat seinen eigenen Zweck. Eine Stadt am Laufen zu halten, ist eine komplexe Angelegenheit, ein ständiger Prozess. Ein Gebäude, das einmal für einen bestimmten Zweck gebaut wurde, wird anders genutzt, wenn der nächste Eigentümer einzieht. In der Stadt gibt es ständig Bauprojekte. Sie scheinen verbindliche Glieder der realen Entwicklung einer Stadt zu sein. Gleichzeitig werden die Bauarbeiten durch bunte Baukleider vor uns verborgen. So wird Heraklits unausweichliches Gesetz visualisiert, indem eine Bestandsaufnahme gemacht wird und Baustellen gezeigt werden, die durch das bunte Tuch verborgen sind. Liesbeth Bos produziert fragmentarische Installationen, die Strukturen und aktuelle Fragen der Gesellschaft in einer ständigen Suche nach dem Gleichgewicht offenlegen. Ihre Motivation ist es, ein Gleichgewicht zwischen der fragmentarischen und impulsiven Welt auf der einen Seite und Momenten der Reflexion und Schönheit auf der anderen Seite zu finden. Je mehr man nach den Extremen sucht, desto größer ist die Gefahr, das Gleichgewicht zu verlieren; aber gleichzeitig spürt man intensiver, dass man existiert, dass man das, was man tut, mit Herz und Seele tun kann. In ihrem künstlerischen Prozess legt Liesbeth Bos die tieferen Strukturen des ursprünglichen Bildes frei. Extreme werden miteinander verbunden, das Einfache und das Komplexe, das Abstrakte und das Konkrete. Auf den ersten Blick sind es Variationen eines Themas, aber jedes aufeinander folgende Werk dringt tiefer in das Wesen der Frage ein, führt automatisch zur nächsten Frage und versucht, sie zu beantworten. Es entsteht ein Ganzes, eine neue Wirklichkeit, in der sich das Konkrete und das Poetische in einem eigenen Gleichgewicht begegnen.

Matthias Stuchtey:
Die Werke von Matthias Stuchtey überraschen durch ihre auffällige, eigenwillige Gestaltung. Er macht das Schwere leicht, bindet Leichtes zu blockhaften Arrangements und verblüfft durch Unverwechselbarkeit. Stuchtey arbeitet oft mit Fundmaterialien oder Möbelresten, deren Teile er auseinanderbaut, umarrangiert und dann neu zusammensetzt. Materialinteressiertheit und Materialkenntnis erlauben es ihm dabei, Werke von wohltuender Lebendigkeit und entlarvender Einfachheit zu schaffen.Neugier und Spielverhalten umkreisen das, was sich hinter der Oberfläche der Dinge befindet. Das Auseinandernehmen und Zueinanderkommen der Einzelteile begleitet den Prozess des künstlerischen Zusichselbstkommens. Die Verbindungen der Elemente, die Cluster-Bildungen teilen uns etwas mit über die Verbindung zwischen Raum und menschlichen Lebensverhältnissen. In seiner Arbeit reflektiert Stuchtey das Verhältnis von Behausung, Unbehaustheit und Heimatlosigkeit, von Verunsicherung aufgrund des Verlusts von Gewissheiten, aber auch vom Lebensgefühl der Leere als Wohlstandsphänomen. Dem stellen sich seine mannigfaltigen Formagglomerationen in einer Art Suchbewegung entgegen. Die Nachfragen nach dem Verhältnis von Kunstwerk, Baukörper und Lebenssinn orientieren insofern auf das Architektonische als Erweiterung des Selbst. Stuchtey bietet etwas an, das in dieser Kombination in der Bildenden Kunst zunehmend selten anzutreffen ist: Das Verständnis von Architektur als einem komplexen Bild von Körperlichkeit. Der Stoff der rekapitulierten und projizierten Existenz als Teil und Ganzes, Innen und Außen, Geöffnetes und Abgeschlossenes, Heiteres und Tragisches ist für ihn das einzig greifbare und deshalb unangreifbare Material, das es in dieser Welt gibt.

(Christoph Tannert)

Kurator: Liesbeth van Woerden

WANN?

Eröffnung: Freitag 01. März 2024, 19 Uhr

Ausstellung: Freitag, 01. März – Samstag, 13. April 2024
Fr 15 Uhr – 19 Uhr
Sa 14 Uhr – 18 Uhr

WO?

SCOTTY
Oranienstraße 46
10969 Berlin
U8 Moritzplatz

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