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Mischa Kuball: (un)finished. Intervention in der St. Matthäus-Kirche im Berliner Kulturforum | 19.09.2021-02.01.2022

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Mischa Kuball, DYS(U)TOPIA, Intervention im Rahmen von „Utopie Kulturforum“, Berlin 2021 © Studio Mischa Kuball, Düsseldorf / VG Bild-Kunst, Bonn 2021 (Foto: Hannes Langbein)

Zum Ende der Berlin Art Week setzt der Düsseldorfer Künstler Mischa Kuball im Rahmen des kulturforumsübergreifenden Projekts „Utopie Kulturforum“ in der Berliner St. Matthäus-Kirche ein Zeichen: Während mit Blick auf den Bau des Museums des 20. Jahrhunderts direkt neben der Kirche von der baulichen „Vollendung“ des Kulturforums die Rede ist, wirbt Mischa Kuball für das kreative Potential der „Unvollendung“. Die Eröffnung der ortsspezifischen Intervention (un)finished findet am 19. September 2021 statt, dem letzten Tag der Berlin Art Week.

Das Berliner Kulturforum ist ein Sehnsuchtsort. Lange als städtebaulicher „Un-Ort“ geschmäht, umfasst es zugleich eine der vielversprechendsten kulturellen Konstellationen Berlins, die aktuell durch den Bau des Museums des 20. Jahrhunderts neue Dynamiken entfalten. Mittendrin die St. Matthäus-Kirche, die als ältestes Gebäude des Areals wie ein Erinnerungszeichen für das vielschichtige Werden des Areals in den Himmel ragt.

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Mischa Kuball, (un)finished, St. Matthäus-Kirche, Berlin 2021 © Archiv Mischa Kuball, Düsseldorf / VG Bild-Kunst, Bonn 2021, Foto: Stefanie Heider

Seit jeher reizt der „Un-Ort“ zu Projektionen: Wie könnte ein gelingendes Zusammenspiel der benachbarten Institutionen aussehen? Wie ließe sich an diesem Ort das Verhältnis von Kunst, Religion und Gesellschaft verstehen und neu entwickeln? Der Nicht-Ort, Griechisch „ou-topos“, öffnet den Raum für Projektionen.
Im Rahmen des kulturforumsübergreifenden Projektes „Utopie Kulturforum“ öffnet Mischa Kuball den Kirchenraum der St. Matthäus-Kirche – und den Blick auf das Kulturforum. Während mit Blick auf den Bau des Museums des 20. Jahrhunderts direkt neben der Kirche von der baulichen „Vollendung“ des Kulturforums die Rede ist, wirbt Mischa Kuball für die „Unvollendung“ im Sinne der treibenden Kräfte der Kunst und der Religion. Beide leben von einem offenen Horizont über die sichtbare Gestalt unserer Gegenwart hinaus.

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Mischa Kuball, (un)finished, St. Matthäus-Kirche, Berlin 2021 © Archiv Mischa Kuball, Düsseldorf / VG Bild-Kunst, Bonn 2021, Foto: Stefanie Heider

Mischa Kuball dazu: “‘Utopismus endet notwendig in Enttäuschung’, sagte der Kulturtheologe Paul Tillich (1886-1965), der in St. Matthäus ins Pfarramt eingeführt wurde. (UN)FINISHED ruft diese Möglichkeit als wahrscheinlich auf. Über dem Eingangsportal von St. Matthäus wird das leuchtende Signé zu einem mahnenden Mantra, gebauten ‚finalen Lösungen‘ gerade an einem Ort wie dem Kulturforum zu misstrauen!“

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Mischa Kuball, DYS(U)TOPIA, Intervention im Rahmen von „Utopie Kulturforum“, Berlin 2021 © Studio Mischa Kuball, Düsseldorf / VG Bild-Kunst, Bonn 2021, Foto: Stefanie Heider

Hannes Langbein ist Pfarrer in St. Matthäus und Direktor der Stiftung St. Matthäus, der Kunst- und Kulturstiftung der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Die Stiftung wurde 1999/2000 gegründet und dient dem Auftrag, den Dialog der Kirche mit den Künsten zu führen und zu fördern. Durch eigene Projekte und in Kooperationen fördert die Stiftung das nachhaltige Gespräch der Kirche mit Künstlerinnen und Künstlern. Hannes Langbein ist zudem Redakteur der Zeitschrift „kunst und kirche“ und Präsident der Gesellschaft für Gegenwartskunst und Kirche „Artheon“.

In seinem Text über Mischa Kuballs künstlerische Intervention erklärt Pfarrer Hannes Langbein auch die Entwicklung des alten Tiergartenviertels und dessen bewegte Geschichte:

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„(UN)FINISHED“ steht in leuchtenden Lettern über dem Hauptportal der St. MatthäusKirche – im stetigen Lichtwechsel zwischen „(UN)“ und „FINISHED“. In Sichtweite die Großbaustelle des im Bau befindlichen „Museum des 20. Jahrhunderts“, das mit der Aussicht wirbt, das Kulturforum baulich zu „vollenden“.
Der Düsseldorfer Künstler Mischa Kuball ist skeptisch was die Sehnsucht nach Vollendung angeht. Denn die Künste wie die Stadt leben von der Dynamik des Unabgeschlossenen, die Entwicklungsprozesse und offene Horizonte ermöglicht. Selbst das älteste Gebäude des Kulturforums, die St. Matthäus-Kirche, muss sich mit der Unvollendbarkeit ihrer Aufgabe auseinandersetzen.
Entsprechend schwebt über dem Altar der St. Matthäus Kirche ein leuchtendes „(u)“ – Signé für „unfinished“ „unvollendet“, aber auch für „Utopie“, Chiffre für die gesammelten Sehnsüchte der Menschheit nach einer besseren Welt und einem ersehnten Zustand der Vollendung.

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Mischa Kuball, (un)finished, St. Matthäus-Kirche, Berlin 2021 © Archiv Mischa Kuball, Düsseldorf / VG Bild-Kunst, Bonn 2021, Foto: Stefanie Heider

Schon der 1912 in St. Matthäus ordinierte Kulturtheologe Paul Tillich wies in den 1920er Jahren darauf hin, dass alle „utopistischen“ Versuche, einen weltlichen Zustand der Vollendung zu erreichen notwendig scheitern müssen, weil sie die Endlichkeit der Menschen ausblenden. Das „Reich Gottes“, der sprichwörtliche Himmel auf Erden, könne sich nur selbst durchsetzen bzw. ereignen und lebe von der stetigen Infragestellung menschlicher Möglichkeiten. Auch davon kündet das eingeklammerte „u“ (= Griechisch „nicht“) über dem Altar der Kirche.

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Mischa Kuball, (un)finished, St. Matthäus-Kirche, Berlin 2021 © Archiv Mischa Kuball, Düsseldorf / VG Bild-Kunst, Bonn 2021, Foto: Stefanie Heider

Wie nahe sich angesichts menschlicher Vollendungssehnsüchte Utopie und Dystopie stehen, lässt sich auf dem Boden der Kirche ablesen: Dort ist auf einem mehrfach geschichteten Stadtplan die Geschichte des Kulturforums und des alten Tiergartenviertels abzulesen: Wie ein Palimpsest liegt das Straßennetz des alten Tiergartenviertels (bis 1938) unter Albert Speers Planungen für eine Welthauptstadt „Germania“ (1938), die noch vor dem Krieg das alte Tiergartenviertel beinahe dem Erdboden gleich gemacht hätten. Auch die St. Matthäus-Kirche – als Ausschnitt in der Mitte des Stadtplans zu finden – hätte zugunsten der an diesem Ort geplanten Heeresverwaltung der Nationalsozialisten abgebaut werden sollen. Stattdessen hinterließ der Krieg das Viertel als Ruinenlandschaft und „tabula rasa“, in die hinein das heutige Kulturforum geplant wurde (ab 1960). In Mischa Kuballs „Stadtplan“ liegen alle drei Schichten übereinander.

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Mischa Kuball, (un)finished, St. Matthäus-Kirche, Berlin 2021 © Archiv Mischa Kuball, Düsseldorf / VG Bild-Kunst, Bonn 2021, Foto: Stefanie Heider

Die Gegenwart schiebt sich mittels beweglicher Videoprojektionen ins Bild: Der Stadtplan wird zur Projektionsfläche für bewegte Szenen der Vergangenheit und der Gegenwart: Bilder aus dem alten Tiergartenviertel, Modellansichten von Albert Speers Germania, Aktionen von Mischa Kuball im Kulturforum aus unterschiedlichen Zeiten: eine im Kulturforum grasende Schafherde aus dem Jahr 2005, die an die landwirtschaftliche Nutzung des Areals in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erinnert, das mobile Lichtzeichen „DYS(U)TOPIA“, das Mischa Kuball im August 2021 auf einem Sattelschlepper durch Berlin fahren ließ… –

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Mischa Kuball, (un)finished, St. Matthäus-Kirche, Berlin 2021 © Archiv Mischa Kuball, Düsseldorf / VG Bild-Kunst, Bonn 2021, Foto: Stefanie Heider

Die Bilder, die wie bewegliche Spots über den Kirchenboden gleiten, adressieren und dislozieren die Betrachter:innen – im Zusammenspiel mit durch den Raum irrenden Soundschnipseln – im Spannungsfeld von Geschichte und Gegenwart.

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Mischa Kuball, geboren 1959 in Düsseldorf, ist Konzeptkünstler; er lebt und arbeitet in Düsseldorf. Seit 1977 arbeitet Kuball im öffentlichen und institutionellen Raum. Mit Hilfe des Mediums Licht erforscht er architektonische Räume und deren soziale und politische Diskurse. Er reflektiert die unterschiedlichen Facetten, von kulturellen Sozialstrukturen bis hin zu architektonischen Eingriffen, die den Wahrzeichencharakter und den architekturgeschichtlichen Kontext betonen oder neu kodieren. In politisch motivierten und partizipatorischen Projekten verschränken sich öffentlicher und privater Raum. Es wird eine Kommunikation zwischen den Teilnehmern, dem Künstler, dem Werk und dem urbanen Raum ermöglicht. Seit 2007 ist Mischa Kuball Professor für public art an der Kunsthochschule für Medien, Köln, 2006-2008 Professor für Medienkunst an der Hochschule für Gestaltung/ZKM, Karlsruhe und seit 2015 Mitglied der Akademie der Wissenschaften und Künste NRW, Düsseldorf. Im Januar 2016 wurde er mit dem Deutschen Lichtkunstpreis ausgezeichnet.

TERMINE

Eröffnung

Sonntag, 19.09.2021, 18:00 Uhr
St. Matthäus-Kirche: Eröffnung im Rahmen eines hORA-Gottesdienstes: Kanzelrede: Prof. Bonaventure Soh Bejeng Ndikung, Kurator und Kunstkritiker; Liturgie: Pfarrer Hannes Langbein; Musik: Nathan Plante, Trompete, Lothar Knappe, Orgel

Zur Eröffnung spricht der designierte Leiter des Berliner Haus der Kulturen der Welt Prof. Bonaventure Soh Bejeng Ndikung im Rahmen eines Gottesdienstes über die Idee der Nachbarschaft und der bedingungslosen Gastfreundschaft: „Who is my neighbour? And why? And for how long?“
Im Anschluss ab ca. 19 Uhr findet im Außenbereich der Kirche eine diskursive Performance mit Kuball, Bejeng Ndikung und weiteren Beteiligten statt: Ein mit einer monumentalen Lichtinstallation versehener Truck dient als offene Bühne für den Austausch und die Interaktion mit Teilnehmenden, Nachbar:innen und allen Interessierten.

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(UN)FINISHED © Archiv Mischa Kuball, Düsseldorf / VG Bild-Kunst, Bonn 2021, Foto: Hannes Langbein

Gespräch

Donnerstag, 11.11.2021, 19:00 Uhr
St. Matthäus-Kirche: More than this. Dys(u)topisches Denken in den Künsten, Stadtgespräch mit Helgard Haug, Rimini Protokoll, Friedrich von Borries, Architekt, Mischa Kuball, Künstler, Moderation: Ann-Katrin Günzel, KUNSTFORUM International.

WO?

St. Matthäus-Kirche, Matthäikirchplatz, 10785 Berlin-Tiergarten

WANN?

Die St. Matthäus-Kirche ist Dienstag bis Sonntag von 11-18 Uhr geöffnet. Die Ausstellung kann kostenfrei besucht werden.

ÖPNV

U-Bahnlinie U2
S-Bahn-Linien S1, S2, S25, Haltestelle Potsdamer Platz, ca. 5 Minuten Fußweg
Bus-Linien: 200, M48 und M85 (bis Philharmonie)

Mehr hier:

www.mischakuball.com


www.public-preposition.net

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