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Freitag, Mai 3, 2024

Lenbachhaus: Three Horizons – TURNER | 28.10.2023–10.03.2024

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Die Ausstellung Three Horizons wird vom Lenbachhaus in Kooperation mit Tate, London, organisiert Lenbachhaus, Kunstbau.

Abb. oben: Snow Storm – Steam-Boat off a Harbour’s Mouth / Schneesturm – Ein Dampfschiff im flachen Wasser vor einer Hafeneinfahrt, exhibited 1842 / ausgestellt 1842, Joseph Mallord William Turner (1775-1851). Tate: Accepted by the nation as part of the Turner Bequest 1856 © Photo / Foto Tate

Joseph Mallord William Turner (1775–1851) gilt bis heute als Erneuerer der Landschaftsmalerei und Vorreiter der Moderne. In seinen Bildern entfaltete sich die Farbe in einer bis dahin ungesehenen Freiheit. Schon früh fiel Turner mit Landschafts- und Architekturzeichnungen auf und erhielt mit 14 Jahren ein Stipendium an der Royal Academy of Arts in London. Da es dort keinen Lehrstuhl für Landschaftsmalerei gab – sie galt erst im 19. Jahrhundert als akademische Gattung – erarbeitete sich Turner seine Kenntnisse und Techniken selbst: durch ein intensives Studium der Natur sowie berühmter künstlerischer Vorbilder. Stets mit einem Skizzenbuch ausgestattet, ging er nicht nur in die britische Landschaft, sondern bereiste ganz Europa und fertigte zahlreiche Skizzen an, die er im Atelier in Öl oder Aquarell umsetzte. Diese Unmittelbarkeit der Naturerfahrung drückt sich in den Werken aus. Mehr noch: Seine Bilder dokumentieren ihre Entstehungszeit und spiegeln eine Welt im rasanten Wandel. Während in dem Seestück Entrance of the Meuse (Mündung der Maas, 1819) noch ein Segelschiff zum Spielball der Wellen wird, ist es in Snow Storm (Schneesturm, 1842) ein Dampfschiff, das in einen Schneesturm gerät – beide Bilder sind in der Ausstellung zu sehen. Unabhängig davon, ob sich Turner mythologischer, historischer oder zeitgenössischer Themen annimmt, ist die Natur immer das dominierende Motiv. Besonders die Wiedergabe von Wetter und Atmosphäre steht im Fokus und zeugt von seinem Interesse an den Naturwissenschaften. In dem Versuch, das Überwältigende der Natur zu fassen, nimmt Turner zudem Bezug auf Edmund Burkes philosophisches Konzept des „Erhabenen“.

DEEDS NEWS - William Turner - Photo Tate
Grenoble Seen from the River Drac with Mont Blanc in the Distance / Grenoble vom Fluss Drac aus gesehen mit dem Mont Blanc in der Ferne, ca. 1802, Joseph Mallord William Turner (1775-1851). Tate: Accepted by the nation as part of the Turner Bequest 1856 © Photo / Foto Tate

In seinem künstlerischen Bemühen, einer alle Sinne umfassenden Naturerfahrung Ausdruck zu geben, verschob er zunehmend die Grenzen des Darstellbaren. Bald lösten sich seine Werke so deutlich von der anschaulichen Natur, dass sie in ihrer Reduktion auf Farbe und Licht die abbildende Funktion des Bildes in Frage stellten. Damit verblüffte und provozierte Turner seine Zeitgenoss*innen: Der Kunstkritiker William Hazlitt fand, dass die späteren Bilder zu stark vom Naturgegenstand abstrahierten. Für seinen jüngeren Kollegen John Ruskin stand hingegen fest: „Turner is like nature, and paints more of nature than any man who ever lived.“ Gerade diese widersprüchliche Rezeption prägte Turners Ruf als Vorläufer der Abstraktion.

DEEDS NEWS - Lenbachhaus - Joseph Mallord William Turner - Photo Tate
The Harbour of Brest: The Quayside and Château / Der Hafen von Brest: Die Kaianlage und das Château, ca. 1826-28, Joseph Mallord William Turner (1775-1851). Tate: Accepted by the nation as part of the Turner Bequest 1856 © Photo / Foto Tate

An diesem langlebigen Mythos war Turner nicht unbeteiligt. Im Gegenteil: Die Ausstellung Three Horizons geht der Frage nach, wie sich der Künstler (aus-)bildete und inszenierte. Sie widmet sich seinen inoffiziellen Experimenten abseits der Öffentlichkeit sowie seiner Selbstrepräsentation, wie etwa bei Ausstellungen in der Londoner Royal Academy. Die bereits zu Lebzeiten von ihm kuratierte Sammlung von 100 eigenen Werken (Teil des späteren Turner Bequest), die er als Geschenk der Öffentlichkeit vermachte, gehörte zu ebendieser Strategie. Doch der Weg zum Erfolg war für den aus einfachen Verhältnissen stammenden Turner nicht leicht und von zahlreichen Fehlschlägen begleitet. So wurde seine weniger erfolgreiche Lehrtätigkeit an der Academy wegen seines „mangelhaften“ Redetalents vielfach kritisiert, obwohl die dafür entstandenen und in der Ausstellung präsentierten Lecture Diagrams Ansätze der Perspektivtheorie treffend visualisieren

DEEDS NEWS - Joseph Mallord Turner - Photo Tate
Bridge of Sighs, Ducal Palace and Custom-House, Venice: Canaletti Painting / Seufzerbrücke, Dogenpalast und Zollamt, Venedig: Canaletto beim Malen, exhibited 1833 / ausgestellt 1833, Joseph Mallord William Turner (1775-1851). Tate: Accepted by the nation as part of the Turner Bequest 1856 © Photo / Foto Tate

Die Ausstellung Three Horizons – ein Verweis auf Three Seascapes (Drei Seeansichten, ca. 1827), in dem, je nach Blickwinkel, drei oder gar vier Ansichten des Meeres ineinander übergehen – möchte das Phänomen Turner aus drei Perspektiven ergründen: Der „offizielle“ Turner, der sich mit seinen Ausstellungsbildern in der Londoner Kunstszene positionierte; der private Turner, dessen künstlerische Experimente ihm halfen, Konventionen zu überwinden und abstrakt wirkende Bilder zu fertigen; und an dritter Stelle die Rezeptionsgeschichte seines Gesamtwerks, die von der Euphorie Ruskins über Hazlitts Kritik bis hin zum Narrativ des 20. Jahrhunderts von Turner als erstem modernen Maler reicht. Dass alle drei genannten Aspekte nicht strikt voneinander getrennt werden können, sondern ähnlich wie die Landschaften in Three Seascapes ineinandergreifen, wird im Zuge der Ausstellung deutlich.

DEEDS NEWS - Lenbachhaus - William Turner - Photo Tate
Coastal Terrain and Buildings, South of France or Italy (?) / Küstenlandschaft und Gebäude, Südfrankreich oder Süditalien (?), ca. 1834, Joseph Mallord William Turner (1775-1851). Tate: Accepted by the nation as part of the Turner Bequest 1856 © Photo / Foto Tate

Es ist ein lang gehegter Wunsch des Lenbachhauses, in seiner stetigen Erforschung der Geschichte der Abstraktion auch das Werk Turners in seiner ganzen Breite zeigen zu können. Dank der Kooperation mit Tate Britain, London, die seinen reichen Nachlass bewahrt, werden Turners Werdegang und seine bildnerischen Innovationen anschaulich nachvollziehbar. Der Turner Bequest, der in seiner Gesamtheit fünf Jahre nach dem Tod des Künstlers 1851 in öffentlichen Besitz gelangte und seit 1910 von der Tate als Teil der nationalen Kunstsammlung verwaltet wird, umfasst 300 Ölgemälde sowie mehrere tausend Skizzen und Aquarellarbeiten: Während die Gemäldesammlung das ganze Spektrum von Turners Ölarbeiten abdeckt und frühe Experimente, großformatige Ausstellungsstücke sowie sein oftmals als „impressionistisch“ bezeichnetes Spätwerk beinhaltet, geben die gesammelten Zeichnungen, Aquarelle und Skizzenbücher einen tiefen Einblick in seine Arbeitsmethoden. Aus dieser weltweit größten Turner Sammlung zeigen wir rund 40 Gemälde sowie 40 Aquarelle und Skizzen aus allen Werkphasen.

Kuratiert von Karin Althaus und Nicholas Maniu

WO?

Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München
Luisenstraße 33
80333 München

WANN?

Dienstag bis Sonntag und feiertags: 10–18 Uhr
Donnerstag: 10–20 Uhr
Montag: geschlossen

KOSTET?

Regulär: 10 Euro
Ermäßigt: 5 Euro

Der Audioguide ist im Preis inbegriffen.

Jeden ersten Donnerstag im Monat
von 18 bis 22 Uhr freier Eintritt

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